Hoppelnder
Initiationsritus
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So lustig der Name klingt, so „tierisch“ ernst wird das Kaninchenrennen von den Einwohnern des Städtchens Niederrhode genommen. In jedem Jahr treten alle Zehnjährigen gemeinsam mit ihrem Kaninchen zu einem Wettlauf an. In diesem Jahr ist Tim dabei, der bei seinen Großeltern aufwächst. Denen ist das Rennen fast genauso wichtig wie Tim selbst, denn es geht hier nicht nur ums Gewinnen, sondern die Familienehre steht auch auf dem Spiel. Also kämpfen die Kinder beim Training und beim Rennen mit harten Bandagen, während die Erwachsenen hinter den Kulissen ihre Beziehungen spielen lassen. So könnte es sein, wenn es heute noch bei uns Initiationsriten gäbe und ein alter Brauch in unsere Zeit katapultiert würde.
Vor knapp 400 Jahren, so erzählt es die Legende, entdeckten die Zwillingssöhne eines Bauern ein besonders schnelles und geschicktes Kaninchen. Um den aufgeweckten Kerl vor dem Kochtopf zu retten, floh einer der Brüder mit ihm nachts aus der Stadt. Kaum hatte er die Stadt verlassen, so fiel er auch schon einer berüchtigten Bande von Gesetzlosen in die Hände. Die plante für den nächsten Tag einen blutigen Überfall auf den Ort. Doch die Räuber hatten die Rechnung ohne das kluge Kaninchen gemacht. Während sie den Bruder packten, entkam das flinke Tier. Bei seiner dramatischen Flucht streifte ein Pfeil des Räuberhauptmanns seinen Löffel, so dass das arme Kaninchen blutend daheim eintraf. Das alarmierte den heimgebliebenen Bruder, und der weckte das „ganze“ Dorf. Bewaffnet mit Äxten und Knüppeln zogen alle Mann vor die Stadt, befreiten den gefangenen Jungen und vertrieben die finsteren Gesellen. So rettete das mutige Kaninchen die ganze Stadt und kam nicht in den Kochtopf. Stattdessen erinnert seither das Kaninchenrennen an diesen tapferen Vorfahren.
Seit 1627 wird also gehoppelt, und es geht dabei nicht immer gerecht zu. So bekommt Tim bei der Verlosung zur Freude seiner Wiedersacher ein dreibeiniges Tier übergeben. Doch Tim akzeptiert die Herausforderung und seinen munteren Dreibeiner, den er passender Weise nach dem Piraten Blackbeard nennt. Die Ungerechtigkeiten gehen weiter als das ohnehin schon benachteiligte Tier nicht einmal auf der offiziellen Trainingsfläche laufen darf. Das sei aus versicherungstechnischen Gründen unzulässig, erklärt der Bürgermeister Tim und seiner Großmutter und bietet sogar an, das entsprechende Dokument heraussuchen zu lassen. Die Oma lehnt ab, was Tim nicht versteht.
„Er hat mir die Wahl gelassen, abzulehnen oder ihn einen Lügner zu nennen. Hätte ich sein Wort angezweifelt, hätte er mich rausgeworfen und gesagt, das müsse er sich nicht bieten lassen. (…) Und ist es Dir aufgefallen? Immer wenn er von Verantwortung redet, redet er davon, dass man sie nicht übernehmen kann. Auch wenn er Blackbeard niemals einen Krüppel nennt, sondern arm, so lässt er ihn trotzdem nicht zu den anderen Kaninchen. Merk Dir das gut: Du erkennst die wahren Absichten eines Menschen nicht daran, ob seine Worte freundlich oder grob klingen. Achte immer darauf, was sich hinter den Worten verbirgt.“ (Boris Koch, Das Kaninchenrennen, S. 146)
In diesem Fall ist es der Sohn des Bürgermeisters, der auch beim Rennen antritt und der eigentlich schon vorher als Gewinner feststeht. Ungerecht? Sicher aber auch realistisch, ganz wie im wahren Leben. Tim und seine beiden Freunde geben nicht auf, sie trainieren ihre Kaninchen Blackbeard, Fersengeld und Goliath in einer selbst gezimmerten Trainingsbahn, und für Blackbeard gibt es sogar eine Hightech Prothese. So wird es wahrlich spannend beim Kaninchenrennen, doch gewinnen kann immer nur einer…
Obwohl es solche Kaninchenrennen nicht gibt, können die jungen Leser trotzdem daraus viel erfahren über Verantwortung und Hoffnung, über Fairness, aber auch über Ungerechtigkeit und Benachteiligung. Das Leben läuft nicht immer glatt, und nicht jedes Kaninchen hat vier Beine. Aber es lohnt sich sein Ziel zu verfolgen, und im Fall von Tim und Blackbeard macht es viel Spaß dies zu begleiten. Übrigens kann man Blackbeard als Daumenkino auf den rechten unteren Seiten im Buch beim Sprinten beobachten.
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Ellen Norten - 24. Januar 2015 ID 8383
Boris Koch Das Kaninchenrennen
Geb., 336 Seiten
EUR 12,99
Heyne fliegt, 2014
ISBN 978-3-453-26940-8
Weitere Infos siehe auch: http://www.randomhouse.de/Buch/Das-Kaninchenrennen-Roman/Boris-Koch/e450974.rhd
Post an Dr. Ellen Norten
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