Spirituelles | Erzählendes Sachbuch
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Mabel – spröde
Prinzessin der
Lüfte
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Bewertung:
Es ist ein ungewöhnliches Haustier, das sich die Autorin zulegt. Statt Hund oder Katze zieht ein Habichtweibchen bei ihr ein - und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als ihr Vater unerwartet stirbt. Ein Greifvogel als Therapie? Helen Macdonald kennt sich mit der Falknerei aus, doch gerade der Habicht, so lernen wir im Buch [H wie Habicht], ist spröde, schwierig zu zähmen, so der Ausdruck überhaupt auf einen Greifvogel zutreffen mag. Mabel, das junge Habichtweibchen wird für sie zur Herausforderung.
„Der Habicht starrt mich in Todesangst an, und ich spüre, wie sich die Stille zwischen unseren Herzschlägen synchronisiert. Ihre Augen leuchten silbern im Halbdunkel des Zimmers. Sie hat den Schnabel geöffnet und atmet mir heißen Habichtatem ins Gesicht. Er riecht nach Pfeffer und Moschus und verbranntem Stein. Sie hat das Gefieder halb aufgestellt und die Flügel halb geöffnet, mit den gebogenen schwarzen Klauen an den geschuppten gelben Füßen hält sie den Handschuh fest umklammert. Es fühlt sich an, als hielte ich eine lodernde Fackel in der Hand. Ich kann die Hitze ihrer Angst auf meinem Gesicht spüren. Sie starrt mich an. Starrt und starrt. Die Zeit zieht sich, unendlich langsam vergehen die Sekunden. Sie hat die Flügel tief gesenkt und duckt sich, bereit zum Fliegen. Ich sehe sie nicht an. Das darf ich nicht. Stattdessen konzentriere ich mich mit aller Macht darauf, nicht da zu sein.“ (S. 96)
Vogel und Mensch, die Grenzen werden fließend. Das Zusammensein mit dem Tier offenbart der Autorin unerwartete Gefühlsmomente, die sich - allerdings nicht nur positiv - niederschlagen. Der Verlust des Vaters hat bei Helen Mcdonald tiefe Spuren hinterlassen, und die Beschäftigung mit dem Habicht manifestiert dieses noch. Der Leser wird Zeuge einer zunehmenden Depression, die das Lesen des Textes nicht immer einfach macht. So ist es kein heiteres Buch, dennoch lädt es mich immer wieder ein in die Welt von Helen und Mabel einzutauchen.
Dazu lerne ich den britischen Schriftsteller T.H. White kennen, den Autor vom König auf Camelot, der sich ebenfalls als Falkner versuchte, dies in dem Werk The Goshawk niederschrieb und letztendlich an seinem Habicht Gos scheiterte. Helen beschäftigt sich mit seinem Buch und seinem Leben. Durch sie sehen wir White als unglücklichen Menschen, der zeitlebens gegen seine homosexuellen, sadistischen Neigungen angeht. Helen ist von ihm in gewisser Weise fasziniert, erfährt manche Erweiterung ihres Blickfeldes, verstärkt damit aber auch zunehmend die Tristesse im macdonaldschen Haus.
„In der Zeit mit Mabel habe ich gelernt, das man sich menschlicher fühlt, wenn man erst einmal erfahren hat – und sei es auch nur in der Fantasie -, wie es ist, nicht menschlich zu sein. Und ich habe auch die Gefahr kennengelernt, die es birgt, wenn man die Wildheit, die wir mit einer Sache assoziieren, mit der Wildheit verwechselt, die ihr tatsächlich innewohnt. Habichte sind mit Tod, Blut und Gewalt verknüpft, aber keine Ausrede für Grausamkeiten. Wir sollten ihre Unmenschlichkeit zu schätzen wissen, weil das, was sie tun, nichts mit uns zu tun hat.“ (S. 377)
Das Buch kommt nicht als leichte Kost daher, es folgt keinerlei Mainstream, und mich erstaunt, dass es in England mit dem Costa Award zum besten Buch des Jahres gekürt wurde. Dies will jedoch nicht als Kritik an der Qualität des Textes verstanden sein. Es ist ein ungewöhnliches Buch, das uns in eine besondere Welt entführt, uns der Falknerei und dem Wesen eines Habichts nahebringt, uns vom Trauern und dem Umgang damit berichtet und gleichzeitig Bezüge zum Schriftsteller T.H. White herstellt. Wer sich auf das Buch einlassen will, wird nicht enttäuscht werden, er muss nur wissen, worauf er sich einlässt.
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Ellen Norten - 28. August 2015 ID 8835
Helen Macdonald | H wie Habicht
Hardcover, geb. m. Schutzumschlag
416 Seiten
Hardcover | EUR 20,00
ePub | EUR 16,99
Ullstein Buchverlage, 2015
ISBN 978-3-7934-2298-3
Weitere Infos siehe auch: http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/buch/details/h-wie-habicht-9783793422983.html
Post an Dr. Ellen Norten
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