Der Mörder
als Märchen-
onkel
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Bewertung:
Man muss nicht lange um den heißen Brei reden: Jo Nesbø ist ein erstklassiger Kriminalautor. Was natürlich nicht bedeutet, dass kein Einwände gestattet wären. Sein neuster Thriller jedenfalls bestätigt diese These ohne Wenn und Aber. Dieser Autor weiß, wie man Spannung erzeugt, die nie ins Gefällige abgleitet. Nesbø ist zwar kein Autor, der sein Genre neu definiert. Aber er hat einiges dafür getan, um den Kriminalroman neuer Schule vor einer allzu großen Anbiederung an den Publikumsgeschmack zu bewahren. Das ist schon eine beachtliche Leistung.
Olav Johansen ist ein Auftragskiller von erstaunlicher Sentimentalität. Schaut man genauer hin, dann besitzt dieser Protagonist sogar noch mehr Potential als jener an sich schon komplexe Charakter Harry Hole, der ermittelnde Antiheld der zehn vorhergehenden Krimis Nesbøs. Blood on Snow. Der Auftrag, dessen Fortsetzung Das Versteck im Februar folgen soll, ist der gelungene Versuch, einen literarischen Pulproman mit interessanten Charakteren zu verfassen.
Die Handlung verlegt Nesbø ins Oslo der Siebzigerjahre. Das Buch ist schmal und nur auf den ersten Blick einfach. Zunächst liest man auch hier, wie meistens bei Nesbø, mit angehaltenem Atem. Das liegt an der geschmeidigen und verführerischen, bisweilen aber auch harten Sprache des Autors. Nicht zu vergessen sein überragendes Geschick, was die Plotführung betrifft.
Olav Johansen bekommt von Daniel Hoffmann, der die eine Hälfte der Osloer Unterwelt regiert, den Auftrag, seine untreue Ehefrau zu liquidieren. Es kommt anders als geplant. Johansen verliebt sich in die mysteriöse Schöne und ermordet ihren Geliebten, von dem sich bald herausstellt, dass es sich um Hoffmanns Sohn handelt. Bald setzt der Gangsterboss ein Kopfgeld auf seinen Killer aus. Aus Verzweiflung wendet sich Johanson an den Gangsterboss, der die andere Hälfte der Stadt beherrscht.
Der literarische Kniff des Autors besteht darin - abgesehen von der durchaus spannenden und kurzweiligen Kriminalgeschichte -, die Gestaltung des Charakters Johanson zunehmend zu erodieren. Denn wie sich herausstellt, ist dieser Auftragskiller ganz und gar nicht romantisch, jedenfalls nicht so , wie er den Leser glauben lassen will. Man sollte ihn sentimental nennen. Oder, noch besser: romantisch im ursprünglichen Wortsinne. Dieser Erzähler fingiert die Realität seiner Gefühle mit der Absicht sie zu transzendieren. Das bereitet ein erstaunliches Lesevergnügen.
Der Ich-Erzähler als fantasievoller Märchenonkel, der sich und sein Leben in den Vexierspiegel seiner Sehnsüchte taucht. Einer, der gerne Bücher liest und sich selbst zu einem sensiblen Helden stilisiert, der er tatsächlich nicht ist. So schreibt er seine vielen Lieblingsbücher um und verliert sich selbst in den eigenen literarischen Varianten.
Also nur vordergründig ein klassischer Thriller. In Wahrheit eine unterhaltsame Ego-Inszenierung, wobei es ein Vergnügen ist, von Buchseite zu Buchseite des Helden Wahrheiten und Unwahrheiten zu vermessen, um ihm am Ende doch nicht ganz auf die Spur zu kommen. Sicher nicht Nesbøs wesentlichstes Werk. Aber ein beeindruckendes Zeugnis dafür, dass dieser Autor die Fähigkeit besitzt, sich neu zu erfinden.
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Jo Balle - 20. Oktober 2015 ID 8934
Jo Nesbø | Blood on snow. Der Auftrag
Hardcover, Klappenbroschur
192 Seiten
€ 12,99 [D] € 13,40 [A]
Ullstein Verlag, 2015
ISBN-13 9783550080777
Weitere Infos siehe auch: http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/buch/details/blood-on-snow-der-auftrag-9783550080777.html
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