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Buchkritik

Ein schel-

mischer

Ärztinnen-

roman



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Ärzte gehören nach wie vor zu den bestverdienendsten Berufsgruppen im deutschsprachigen Raum. Sie leisten sich teure Imagekampagnen, die Repräsentanten des Berufszweigs als Sympathieträger etablieren, wie etwa seit 2014 u.a. landesweit die aufmerksamkeitsheischenden „Wir arbeiten für Ihr Leben gern“-Plakate mit Ärzteporträtfotos beweisen. Kein Wunder also, dass sich dem illustren Berufszweig mit der verantwortungsvollen Aufgabe Menschenleben zu retten, zunehmend auch wieder namhafte Autoren widmen. Von einer aufopferungsvollen, beinahe selbstlosen Notfallärztin erzählte so etwa 2014 Kristof Magnussons Bestseller Arztroman. Mit dem in Vergessenheit geratenen Genre des sogenannten Arztromans spielt auch die Berlinerin Juliane Beer in Frau Doktor E. liebt die Abendsonne. In dem jüngst erschienen Roman porträtiert sie die tägliche Arbeitsbelastung und Verantwortung einer ledigen Ärztin, Mitte vierzig, atmosphärisch und unterhaltsam aus einem zuweilen verschrobenen Blickwinkel. Ihre Protagonistin wird neu an einer Klinik eingearbeitet. Sie versucht ehrgeizig Patienten besonders mitfühlend, sorgfältig und besonnen zu begegnen. Beers Roman ist jedoch bald weniger ein Arztroman denn ein Schelmenroman, wie sich spätestens im zweiten Drittel herausstellt. Denn schon bald beschäftigt sich ihre Protagonistin nicht nur gedanklich mit beunruhigenden Warnungen vor einer Frau, die in Kliniken arbeitet, ohne ausgebildete Ärztin zu sein. Sie spricht mit ihrem Jugendfreund Benni, einem Kommissar, über die Meldungen von der selbsternannten Ärztin. Er erklärt salopp im Gespräch, er halte die Meldungen für ein Gerücht und verrät dabei eigene Ressentiments gegenüber dem anderen Geschlecht:


[...]Eine solche Tat ist männlich. Oder sagen wir es ganz korrekt: Es ist noch nicht vorgekommen, dass eine Frau so etwas durchzieht. Diese Art von Hochstapelei war bislang männlich.“ – „Aber Politikerinnen lassen sich doch auch Doktorarbeiten schreiben.“ „Das ist etwas anderes. Sie riskieren damit nicht, ihren Mitmenschen Schaden zuzufügen, zumindest nicht direkt. […] (S. 128)


Der Leser wird bald zum Komplizen einer Protagonistin, die intime Kontakte zu Kollegen scheut, ihren Arbeitgeber nach kurzer Zeit wieder wechselt und von Hamburg nach Kiel zieht. Als ärztliche Teamleitung eines selbstorganisierten Seniorenwohnheims liegt ihr das Wohl des Teams wieder besonders am Herzen, wenn sie etwa darauf bedacht ist, dass Vorbereitungen anstehender Veranstaltungen nur in den Dienstzeiten gemacht werden. Ihre Rücksichtnahme auf ihr Team und ihre ungeteilte Anteilnahme scheint gedanklich tief verankert:


[…] die Tür ist geöffnet, keineswegs möchte ich, dass unter meiner Crew der Eindruck entsteht, ich würde mich abschotten. Dann aber, nach ein paar Minuten, überkommt mich die Sorge, meine Mitarbeiter*innen könnten denken, ich würde die Tür auflassen, um sie zu kontrollieren. Obwohl ich längst weiß, dass sie das nicht denken, gar nicht drauf kommen, weil sie es ganz normal finden, dass immer und überall jemand Chef*in ist, lässt mir die Sache keine Ruhe.“ (S. 139)


Während Frau Doktor E. zunehmend erfolgreich mit dem selbstorganisierten Seniorenheim ist und sogar Schlagzeilen in der Lokalpresse macht, nimmt sie wahr, dass ein Nachbarpärchen aus ihrem Berufszweig weniger Glück hat. Die ausgebildeten Ärzte dürfen nicht arbeiten, weil die deutschen Behörden Zeugnisse aus anderen Ländern, wie den Iran, nicht anerkennen:


„Herr und Frau Asjadi sind beide Internist*innen, doch über sie steht nichts in der Kieler Lokalpresse. Kein Wort. Hier in Deutschland, wo sie aus politischen Gründen seit fast zehn Jahren leben, haben sie keine Erlaubnis, als Ärzt*innen zu arbeiten. Im iranischen Krankenhaus, in dem die beiden lange Jahre tätig waren, weigere man sich, ihnen ein Zeugnis auszustellen, berichteten sie. Auf Nachfrage der deutschen Behörden wurde im Iran behauptet, die beiden wären dort lediglich Putzkräfte gewesen. Von iranischen Universitätsabschlüssen und Zeugnissen, die die beiden vorlegten, lassen die deutschen Behörden sich nicht beeindrucken. Die könnten nämlich gefälscht sein. Wie sollte man die Papiere denn von hier aus auf Richtigkeit überprüfen?“ (S. 179)


Doch nicht alle haben den Mut für das eigene berufliche Fortkommen den Schritt in die Illegalität zu wagen und gesetzesuntreu zu werden. Juliane Beer schmückt in ihren Romanen meist im Prekariat angesiedelte Schicksale lebensnah mit viel Liebe zum Detail, erfrischenden Witz und einem guten Schuss Verschrobenheit aus. Sicheres Gespür für originelle, abwegige und skurrile Gedankenwelten bewies sie schon zuvor im Roman Eines Nachts habe ich einen Ausflug gemacht (2007), wo sie die triste Lebenswelt eines jungen, schüchternen und schwulen Arbeitssuchenden witzig porträtiert. Auch Arbeit kann zu einen langsamen und schmerzhaften Tod führen (2010) überraschte mit einem ungewöhnlichen Sujet. Hier wird detailreich der Alltag einer desillusionierten Jobcenter-Mitarbeiterin erzählt, deren Kundinnen sich vereinzelt das Leben nehmen, in dem sie ohne Arbeit keinen Sinn mehr sehen. Juliane Beers jüngster Roman Frau Doktor E. liebt die Abendsonne ist wieder ein ungewöhnlicher Lesegenuss, der die Figuren genau beobachtet, Zeiten und Handlungen kunstvoll verschränkt und mit Wendungen überrascht, etwa wenn sich die Erzählerin ihre Arbeit mit ungewöhnlichen Mitteln selbst schafft. Überraschend verschroben und frech. Lesenswert.
Ansgar Skoda - 1. September 2015
ID 8842
Juliane Beer I Frau Doktor E. liebt die Abendsonne
Taschenbuch, 236 Seiten
€ 14,90 [D] I € 15,50 [A] I CHF 21,90
Marta Press, Hamburg, 2015
ISBN: 978-3-944442-31-0


Weitere Infos siehe auch: http://www.marta-press.de/cms/verlagsprogramm-belletristik/julianebeer-fraudreliebtdieabendsonne


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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