Sprachakrobatik
über die Nach-
kriegsgeneration
der BRD
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Bewertung:
"Ich liege wach in der Nacht, und sehe das Loch, Großvaters Wunde. Granatensplitter. Als würde die Haut an dieser Stelle nach innen gezogen. Wie ein, Anus. Ich stecke den Finger hinein, immer wieder. "
(Anm.: der Ich-Erzähler ist traumatisiert von einer Prostata Untersuchung.)
"Das Gesicht des Großvaters verzieht sich vor Schmerz. Ich will, dass er geht. Ich will, dass er sich ein anderes Heim sucht. Ich will seinen Geruch loswerden, Knoblauchschnaps, Schweiß. Kein Mensch braucht Großvater. Sein steifes Bein, wie angelehnt, wie eine Latte an einem Schuppen, die hat jemand dort abgestellt, nicht mehr zu gebrauchen."
(Seite 47)
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Walter Nowak, 68 Jahre alt, könnte zufrieden sein. Seine zweite Frau Yvonne, Spitzname Yvonnenschein, ist hübsch und frisch, mehr als 20 Jahre jünger als er. Seine Firma für Baumaschinen hat er meistbietend verkauft. Jeden Morgen schwimmt er 1.000 Meter im Freibad. Eines Morgens findet er sich der Länge nach ausgestreckt auf dem Boden seines Badezimmers wieder, bewegungsunfähig und auf sich allein gestellt. Filme aus der Vergangenheit stürzen auf ihn ein: der prügelnde, kriegstraumatisierte Großvater, das Weihnachtsfest mit seiner ersten Frau Gisela, ihr Schweinebraten. Der Blick seines Sohnes Felix, als er von der Trennung erfährt. Seine eigene Kindheit als unehelicher Sohn eines GI´s und dann die Diagnose seiner Ärztin. Er gerät in einen Strudel der Erinnerungen, die er nicht mehr kontrollieren kann. Auf dem Höhepunkt, als er nahe daran ist durchzudrehen, steht plötzlich sein Sohn Felix vor der Tür.
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Unprätentiös und mit überraschender Souveränität zeichnet die 1980 geborene Julia Wolf ein subtiles Männerporträt. Mit unheimlicher Detailgenauigkeit dreht sie sich in die Psyche der männlichen Nachkriegsgeneration, lässt sich einmal selbst aus der Perspektive dieser Generation beschreiben:
"Der Moderator liest etwas von einer Karte, begrüßt seinen Gast. Neben dem Gast sitzt ein Mädchen, eine sehr junge Frau. Sie guckt milde und gelangweilt. Guckt, als gehöre sie nicht in diese Sendung. Als hätte das alles mit ihr nichts zu tun. So ein sommersprossiges Ding, Pippi und Puppe."
(Seite 66)
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Man braucht ein paar Seiten, um sich in diese artistische Sprache einzulesen. Wolfs kühler Blick ist leicht, aber niemals flapsig. Humorvolle Stellen poppen ganz unerwartet auf. Aus einer Anteilnahme heraus, die man ihr auch abnimmt, darf sie sich auch mal lustig machen über die scheinbar so rationalen und durchorganisierten Industriekapitäne der Nachkriegszeit.
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Steffen Kühn - 3. April 2017 ID 9957
Julia Wolf | Walter Nowak bleibt liegen
Geb., farb. Vorsatzpapier
200 Seiten
EUR 21,00
Frankfurter Verlagsanstalt, 2017
ISBN 978-3-627-00233-6
Weitere Infos siehe auch: http://cms.frankfurter-verlagsanstalt.de/fva.php?page&p=DE,27497
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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