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Buchkritik

Vom Anfang und vom Ende des sogenannten Glücks



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Die Dinge einfach sagen. Einfach und gleichzeitig wahrhaftig. Wer besitzt dieses besondere Talent, oder ist es Disziplin oder ein spezielles Daseinsgefühl? Was auch immer es ist, es zeichnet diejenigen aus, die uns mit ihren Kunstwerken das ganze Leben zeigen. Und doch ist dies eine Kunst, die uns so leicht verführt, dass man ihr nur schwer vertrauen mag. So etwas kann es doch nicht geben, denkt man. Und so verfestigt sich bisweilen das Vorurteil, und am Ende mag man diesen Werken überhaupt keinen Glauben mehr schenken.

Und doch gibt es sie, diese Literatur, die unsere Existenz in ganz einfachen Sätzen wiederspiegelt. Kristine Bilkau gehört zu den Ausnahmetalenten, denen das gelingt. Das, was sie in ihrem Roman Die Glücklichen erzählt, ist so unglaublich konkret, dass man sich nach der Lektüre dabei ertappt, das Gelesene mit Teilen des eigenen Lebens zu verwechseln. Man sollte dieser Kunst vertrauen, um zu begreifen, wie einfach und wie kompliziert zugleich, wie harmlos und wie gefährlich zugleich das Leben ist.

Die beiden Helden, Isabell und Georg, ein Paar in den Dreißigern, vermutlich in Berlin, Eltern eines Sohnes, sind stolz auf ihr Leben. Er ist Journalist, sie Musikerin. Sie haben ihre Liebe und eine Familie, sie haben ihre Traumjobs, und sie sind glücklich. Doch natürlich, das ist unvermeidlich, entstehen Risse auf der glatten Oberfläche ihrer Existenz. Das eben ist die Musik, die in unserem Leben entsteht, diese Kratzer und Kerben bilden die spezielle Melodie, die uns umgibt und zu dem macht, was wir sind. Ohne diese Rillen würde die Schellackplatte unserer Existenz nur ein unerhebliches Einerlei wiedergeben.

Isabell, die Cellistin, hat plötzlich ihre Hände nicht mehr unter Kontrolle. Sie flattern und zittern während der Auftritte, so dass sie ihre Arbeit verliert. Und auch Georgs Zeitungsverlag muss personelle Kürzungen vornehmen, und natürlich sind es die jungen Kollegen, die diesen Einsparungen zum Opfer fallen. Es zeugt von großer Kunstfertigkeit, wie Bilkau diese Geschichte eines Liebespaares erzählt, das immer weiter abkommt vom vermeintlich glücklichen Lebensweg und immer tiefer zu fallen scheint.

Wie treffsicher Bilkau ihre Charaktere ausformt, ist schon erstaunlich. Auch hier gilt das Prinzip: Das Komplexe einfach und anschaulich darstellen. Es gelingt zwar nicht immer, zuweilen erschöpft sich die Lakonie der Erzählstimme, und man wünschte sich stattdessen eine etwas arabeskere Gedanklichkeit. Insbesondere deshalb, weil es gerade die versponnenen Traumwelten und Sehnsüchte sind, die das Paar definieren. Und tatsächlich sind wir ja vor allem das, das wir uns wünschen - und nicht so sehr der schnöde Alltag, den wir leben.

Die Sehnsucht nach einer behaglichen konservativen Welt ist, wen wundert es, in Zeiten der wirtschaftlichen Unbeständigkeit und beruflichen Dauerüberforderung, besonders hartnäckig. Die symbolträchtige Plastikplane, die vor der Fassade des maroden Hauses hängt, gibt diesem Leben ein genaues Bild, wenn sie, die milchige Hülle, die Wohnung der beiden zu einem verborgenen Ort werden lässt. Eine schutzverheißende, doch illusorische Höhle - fernab des allgegenwärtigen Leistungswahns unserer Tage.

Auch dafür übrigens ist Literatur unersetzlich: Sie tröstet uns, wenn wir meinen, die eigenen Gedanken und Gefühle seien tatsächlich so absonderlich wie uns die Gesellschaft gelegentlich weis machen will. In guten Büchern wie diesem werden unsere irrationalen und beleidigten und kleinmütigen und fiesen und nach Gerechtigkeit schnappenden und kindischen Zwischengedanken, die feinkörnigen Anmutungen mit Blick auf die kapitalistische Anforderungen sowie die kleinflächigen Gefühle des allzu unerheblichen Alltags präsent und erhalten ihr Recht. Wie oft denkt man bei der Lektüre dieses wunderbaren Romans: Also kann man das doch denken und fühlen! Vielleicht ist es ja doch nicht ganz so abwegig, was man dachte!

Kristine Bilkau besitzt ein feines Sensorium für die Abgründe, in denen wir uns tagtäglich wiederfinden und verfügt über eine wundervoll einfache Sprache, um sie unerschrocken zum Ausdruck zu bringen. Man ist wie selten nach einem Buch verwirrt und irgendwie fast versöhnt, aber nein: Das schafft natürlich auch dieser Roman nicht, denn das wäre doch ein wahre Ungeheuerlichkeit.
Jo Balle - 9. August 2015
ID 8803
Kristine Bilkau | Die Glücklichen
Geb., m. Schutzumschlag
304 Seiten
13,5 x 21,5 cm
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 26,90
Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87453-1


Weitere Infos siehe auch: http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Gluecklichen-Roman/Kristine-Bilkau/e462474.rhd


Post an Dr. Johannes Balle



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