Triggerwarnung
Könnte unwillkürliche Denkanstöße verursachen
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Bewertung:
Die Politische Korrektheit meint es ja gut, reglementiert aber manchmal derart, dass es ins Absurde abdriftet. Sie erfindet Sprachgebilde, die so hölzern klingen, dass sie an die Anfänge der automatisierten Übersetzungsprogramme erinnern und mit all den Abkürzungen, Klammerungen, Binnen-Is, Schrägstrichen und Sternchen Texte mitunter bis zur Unleserlichkeit verhackstücken. Wenn dann noch umständliche Doppelbenennungen und unpersönliche Abstraktionen hinzukommen, bleibt die Leselust, wenn sie überhaupt je vorhanden war, völlig auf der Strecke. Da fangen wir jetzt gleich mal mit ein paar Abkürzungen an, liebe LuL, (Leser und Leserinnen), damit wir uns an - wohlgemerkt - den Auswüchsen der PC (Political Correctness) erfreuen können, die uns ein POC (Person of Color) näher bringt, der als Wiederholungstäter nicht vom bösen, bösen Wort „Neger“ lassen will.
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Marius Jung ist in erster Linie als Kabarettist bekannt. Als Sohn einer deutschen Mutter und eines afro-amerikanischen GIs wuchs er im Deutschland der 1960er und 1970er Jahre in Umgebungen auf, in denen er der einzige Schwarze war. Später hat er den Umgang der Deutschen mit Minderheiten in seinen Kabarettprogrammen immer gerne aufs Korn genommen. Mit seinem ersten Buch Singen können die alle – Ein Handbuch für Negerfreunde (2013) war er so erfolgreich, dass schon im April 2015 seine nächste Publikation Moral für Dumme – Das Elend der Politischen Korrektheit, die er gemeinsam mit dem Humorlektor des Carlsen-Verlags Oliver Domzalski schrieb, erschien. Die Abhandlung richtet sich nicht gegen Personen, sondern sie beleuchtet vielmehr eine bedenkliche Geisteshaltung, die sich unter dem Deckmantel der PC verbergen kann. Politische Korrektheit erlaubt es Menschen, die vom Bildungssystem nicht erreicht wurden, sich der moralisch richtigen Seite zuordnen zu können, schreibt Jung, „weil es ein klares Regelsystem gibt, das auch Leuten mit Blockwart-Mentalität ein Plätzchen in der warmen Stube der überlegenen Moral bietet.“
Es ist richtig, wenn wir auf unsere Sprache achten. Jung führt Begriffe wie „Arbeitnehmer“, „Kontoinhaber“ und „Minister“ an. Vor gar nicht allzu langer Zeit galten diese fast ausschließlich für Männer. Frauen durften nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten und ein Konto führen. Die Frauenbewegung hat zurecht auf derartige Missstände aufmerksam gemacht und sie teilweise erfolgreich ändern können. Wenn jetzt aber tatsächlich die genderneutrale Sprache auf die Spitze getrieben würde, dürfte man Begriffe wie Mann oder Frau nicht mehr nennen, sondern nur noch „Person“ sagen. Beliebte Comic-Helden müssten dann in „Superperson“ und „Batperson“ umbenannt werden und Kinder dürften bis zum „Sandpersönchen“ aufbleiben, aber das ist nur die lustige Seite der Medaille. Die durch PC weichgespülte Sprache verliert an Präzision und Aussagekraft. Sie führt dazu, dass z. B. auffällige Kinder als „verhaltensoriginell“ bezeichnet werden sollen. Das geht an der Ernsthaftigkeit des Problems völlig vorbei. Bei Obdachlosen ist das noch schlimmer. Sie sollen jetzt „Wohnungssuchende“ genannt werden. (Falls eine/r unserer LuL einen Penner sichten sollte, der in der FAZ ein Penthouse im Frankfurter Bankenviertel sucht, möchte sich diese Person bitte umgehend an die Redaktion wenden).
Die übersensiblen Vertreter und Vertreterinnen der PC fordern gar, dass man Dinge nicht mehr benennen darf, die negativ aufgefasst werden könnten. Einerseits soll die Inklusion vorangetrieben, aber Begriffe wie Behinderungen, fremde Herkunft, Religion, Kultur und Handicaps dürfen nicht benannt werden. Durch eine fortschreitende Tabuisierung unangenehmer Tatsachen kann es dazu kommen, dass Abweichungen von politisch korrekten Meinungen auch nicht mehr geduldet werden. Das ist ein wunderbares Spielfeld für selbst ernannte Sprachpolizeipersonen, die unsere Sprache und längerfristig damit auch unser Denken kontrollieren und nivellieren. Jung erinnert an den Roman von George Orwell 1984, in dem der Protagonist im „Ministerium für Wahrheit“ arbeitet, für das er historische Wahrheiten fälscht. Jung vergleicht das u.a. mit dem berühmten Plattencover der Beatles, die auf einem Zebrastreifen in der Abbey Road in London fotografiert wurden. Paul McCartney hält da eine Zigarette in der Hand. Das war 1969. Es gibt Bestrebungen, die Zigarette aus dem Bild herauszulöschen. Das ist in der Tat Geschichtsfälschung à la Orwell.
Alle Worte, die Unterschiede, unangenehme Konnotationen oder mutmaßlichen schlechten Einfluss auf Kinder haben, sollen nun aus Kinderbüchern und -filmen eliminiert werden. Dazu gehört auch Pippi Langstrumpf von Astrid Lindgren, wo der Begriff „Negerkönig“ bereinigt werden soll. Der Filmausschnitt, in dem Pippi die Schlitzaugen eines Chinesen nachahmt, wird auch der Zensur zum Opfer fallen. Es wird weder den Kindern, noch ihren Eltern zugetraut, das geschichtlich selber einordnen zu können. Pippi bekommt wegen ihres Freigeistes ja auch immer Ärger. Marius Jung fragt sich, ob unsere Kinder tatsächlich solche Mimosen sind, oder ob es nicht eher die Helikoptereltern sind, die ein Problem haben. Früher sei es so gewesen, dass die Kinder lernten, wie die Welt beschaffen war und sich darin zurecht zu finden. Heute sei es umgekehrt. Die Welt würde sprachlich in Watte gepackt und der angeblichen Empfindlichkeit der Kinder angepasst. Damit würden die Eltern ihre eigenen Ängste und Tabus auf ihre Kinder übertragen und ihnen damit einen offenen und neugierigen Blick in die Welt verwehren. Toleranz und Gelassenheit gingen dabei oft verloren. „Kulturtechniken wie Argumentieren, Lesen und Zuhören werden ersetzt durch reflexhafte Reaktionen auf bestimmte Reizwörter.“
Marius Jung führt noch eine Vielzahl weiterer Beispiele an. Abschließend distanziert er sich von der „orwellschen Gleichschaltung der Gedanken“ und auch von der sprachlichen Abschaffung von Geschlechtern. Er hält die durch unsere Ungleichheit entstehende Reibung für „das Salz in der Suppe unseres Zusammenlebens“.
Klingt das nicht alles sehr polemisch? Ja! Jung bezeichnet sein Buch selbst als „satirisch-polemische Abrechnung“.
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Helga Fitzner - 24. April 2015 ID 8595
Marius Jung | Moral für Dumme
Das Ende der Politischen Korrektheit
Tb., 192 S.
12,00 x 18,70 cm
D: 11,99 € | A: 12,40 € | CH: 17,90 sFr
Carlsen Verlag, 2015
ISBN 978-3-551-68358-8
Weitere Infos siehe auch: https://www.carlsen.de/taschenbuch/moral-fuer-dumme/57762
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