Schwimmen
lernen
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Bewertung:
Was für ein Jammer, wenn es einem die Sprache verschlägt! Es ist, als ertränke man. Wer es aber schafft, wieder aufzutauchen, dem kann es passieren, dass die Welt für ihn auf dem Kopf steht. So ergeht es den Figuren in dem Erzählungsband von Saša Stanišić. Etwa dem Justiziar Georg Horvath. Auf seiner Reise nach Brasilien kommt ihm buchstäblich die Sprache abhanden. Er begibt sich im Auftrag seiner Firma nach Rio, um Übernahmeverhandlungen mit einer Brauerei zu führen. Doch hier verliert Horvath seine Sprache. Gleichgültig, ob es sich um profane Ausdrücke wie Sandalen oder Zugpferde handelt. Mit der Zeit büßen die Wörter für ihn ihre Unschuld ein. Mit diesen Zeichen verliert Horvath sich selbst. Aber dieser doppelte Verlust erweist sich als die Chance zu einem Neuanfang. Es ist dieses schillernde Motiv der Wiedergeburt, das in diesen Erzählungen ausgeleuchtet und variiert wird.
Stanišićs Geschichten, versammelt unter dem Titel Fallensteller, sprühen vor herzerfrischender Komik. Dabei erweist sich dieser Autor als Meister der Fabulierkunst, weshalb seine Texte buchstäblich als Sprachspiele zu verstehen sind. Besonders augenfällig wird dies in den grotesken Geschichten um Mo. Hier läuft Stanišić zur Bestform auf. Das artistische Spiel mit der Sprache fasziniert, gleichzeitig aber gebiert diese Prosa wahrhaftige Monster, als träume die Sprache. In dieser Traumarbeit kommt der Autor ganz zu sich selbst. Denn hier sind nicht nur komische und irrwitzige Wendungen zu entdecken, sondern ebenso berührende und scharfsinnige Formulierungen. Und schließlich vermag Stanišić einen Charakter wie Mo zu entwickeln, der einen nicht mehr los lässt mit seiner Albernheit, seinem Schmerz und seiner Fähigkeit, noch die furchtbarsten Situationen zu überstehen. Man hätte sich für diesen Mo einen eigenen Roman gewünscht.
Stanišićs Kunst ist nicht zuletzt das Erzeugnis einer melancholischen Seele. In Bosnien geboren, tauchte er als Vierzehnjähriger in die Sprache jenes Landes ein, die er heute so brillant modelliert. In der abschließenden Geschichte entsinnt sich der Erzähler, während er durch ein sonnengeflecktes Frankreich reist, an seine Kindheit in einem kriegsversehrten Land. Auf der Suche nach dieser verlorenen Zeit schweifen seine Gedanken zurück zum Großvater, der dem Jungen einst lapidar bescheinigte, es komme im Leben darauf an, schwimmen zu lernen. Eine Lehre, die nicht ohne Pointe bleibt, wenn der eigene Vater gerade im Fluss ertrunken ist. In dieser Erzählung kommen nicht nur wichtige Motive des Autors zusammen, sondern hier drängt ans Licht der Lektüre, was im Untergrund der Geschichten von Anfang an aktiv war: Die Erkenntnis, dass die literarische Sprache oft das allerletzte Mittel des Überlebens darstellt.
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Jo Balle - 28. Mai 2016 ID 9345
Saša Stanišić | Fallensteller€ 19,99 [D]
Geb., m. Schutzumschlag
€ 19,90 [D] € 20,60 [A] | CHF 26,90
Luchterhand Literaturverlag, 2016
ISBN 978-3-630-87471-5
Weitere Infos siehe auch: http://www.randomhouse.de/Buch/Fallensteller/Sasa-Stanisic/Luchterhand-Literaturverlag/e474638.rhd
Post an Dr. Johannes Balle
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