Hitler
als Cineast
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Bewertung:
Volker Koop hat sich als Autor von über 30 Sachbüchern – primär zu Themen der deutschen und europäischen Nachkriegsgeschichte – bundesweit und international einen hervorragenden Ruf erworben. Er hat sich seit etlichen Jahren verstärkt der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus gewidmet und dazu eine imponierende Reihe von Monographien vorgelegt – u.a. Das schmutzige Vermögen: Das Dritte Reich, die I.G. Farben und die Schweiz (2005); Dem Führer ein Kind schenken: Die SS-Organisation Lebensborn e.V. (2007); In Hitlers Hand: Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS (2010) sowie Gedichte für Hitler: Zeugnisse von Wahn und Verblendung im "Dritten Reich" (2013).
Jetzt hat der Journalist mit Warum Hitler King Kong liebte, aber den Deutschen Micky Mouse verbot. Die geheimen Lieblingsfilme der Nazi-Elite ein umfangreiches, äußerst aufschlussreiches und dabei höchst spannendes Werk darüber vorgelegt, wie Hitler als oberster Zensor des Reiches, doch zuvorderst, um seiner exzessiven Kinoleidenschaft zu frönen, während eines erheblichen Teils seines Lebens damit befasst war, sich Zelluloidstreifen anzuschauen: "Zum Leidwesen seiner Umgebung verbrachte der Parteiführer und Reichskanzler Tag für Tag – richtiger: Nacht für Nacht – ungezählte Stunden bei Filmvorführungen im ›Berghof‹, in der ›Reichskanzlei‹ und selbst in seinen 'Führerhauptquartieren'."
Sehr differenziert charakterisiert der Verfasser Hitlers Filmgeschmack, der für ihn "genau so rätselhaft und widersprüchlich wie der Rest seiner Psyche" ist: "Auch im Film versuchte er die Welt nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Was nicht in sein einfach gestricktes Weltbild passte, wollte er auch auf der Leinwand nicht sehen: ›Hinterhausmilieus‹, Schmutz, ethnische Minderheiten, 'katholischen Zauberkram', russische Zaren, Frauen in Männerrollen – all das war ihm ein Graus."
Den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, der offiziell federführend für den cineastischen Bereich im »Dritten Reich« zuständig war, charakterisiert Koop in einer längeren Abhandlung als einen Filmminister mit begrenzter Macht, denn tatsächlich lag in allen Bereichen das letzte Wort bei Hitler.
Ein umfangreiches Kapitel des Buches ist vor allem den Stars und Sternchen unterm Hakenkreuz gewidmet, von denen sich der Diktator angezogen fühlte: u.a. Marika Rökk, Olga Tschechowa, Henny Porten, Brigitte Horney, Dinah Grace, Zarah Leander, Pola Negri, Clara Tabody, Imperio Argentina, Lida Baarová, Greta Garbo, Marlene Dietrich (mit der es erst zum Bruch kam, als sie die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm) und Kristina Söderbaum: "Letztere", so Koop, "seit 1939 verheiratet mit dem regimetreuen Regisseur Veit Harlan, war die einzige unter den genannten, die vom Äußeren her dem ›arischen‹ Ideal entsprach.« Detailliert wird zudem darüber berichtet, dass sich Hitler als großzügig erwies, wenn es um das materielle Wohl von Schauspie-lerinnen und Schauspielern ging: »Im Jahr 1937 erhielten zum Beispiel Paul Hartmann 114990 Reichsmark, Albrecht Schoenhals 162720, Karl Ludwig Diehl 173107, Gustav Fröhlich 178118 und Hans Albers gar 562000." Auch war es Hitler vorbehalten, "Staatsschauspieler" zu ernennen und Professorentitel zu verleihen: u.a. Heinrich George, Hans Albers, Lil Dagover, Karl Ludwig Diehl, Gustav Fröhlich, Otto Gebühr, Bernard Minetti, Hans Moser, Käthe von Nagy, Erich Ponto, Albrecht Schoenhals, Hans Söhnker, Luis Trenker und Heinz Rühmann (letzterer auf Anregung von Goebbels) wurden ausgezeichnet. Überdies waren Filmschaffende wie die Regisseure Karl Ritter und Veit Harlan bei den NS-Größen hoch angesehen; nach 1933 stellte auch Emil Jannings, einer der bedeutendsten Schauspieler der Weimarer Republik, "seine Kunst in den Dienst des NS-Regimes. Als einer der Lieblingsschauspieler von Adolf Hitler verkörpert er in zahlreichen Filmen den von der nationalsozialistischen Propaganda idealisierten 'Herrenmenschen'."
Weitere Kapitel sind Hitlers Regisseurin Leni Riefenstahl, den "staatspolitisch wertvollen" Spielfilmen zur Verherrlichung der Partei, aber auch dem Treiben der NS-Elite gewidmet, klamheimlich die offiziell verbotenen Früchte zu genießen und die Filmzensur zu umgehen. Das Schlusskapitel ist den größenwahnsinnigen architektonischen Plänen gewidmet, im Rahmen der Umgestaltung Berlins zur "Welthauptstadt Germania" auch ein bombastischen Premierenkino schaffen zu wollen.
Im Nachwort seiner scharfsinnigen Analyse bilanziert Koop nüchtern: "Am Ende erwies sich …, dass der 'Führer' in einer Traum- und Wahnwelt gelebt hatte. Immerhin konnte sich sein dramatischer Untergang mit dem Ende seines Leinwandhelden King Kong messen – erschütternd nur, dass Hitler Millionen echter Menschen mit in den Tod riss."
Hilfreich für den historisch interessierten Leser sind auch das im Anhang präsentierte umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis zu den acht Buchkapiteln mit detaillierten Hinweisen zu den Filmgesellschaften, Regisseuren und Darstellern sowie ein ergänzendes, akribisch geführtes Film- und Personenregister. Nicht zuletzt die hervorragend in den Text integrierten Fotos der genannten Politiker, Schauspieler sowie etlicher Filmplakate tragen erheblich zum Lesevergnügen bei und machen dieses verlagsseitig auch drucktechnisch fein durchgestaltete Werk zu einem Musterbeispiel überzeugend aufbereiteter kultur- und gesellschaftspolitischer Forschungsarbeit.
[Am 19. November 2015 wird Volker Koop im Bücherbogen am Savignyplatz (Stadtbahnbogen 593, 10623 Berlin) aus seinem Buch lesen.]
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Christoph Gutknecht – 3. November 2015 ID 8960
Volker Koop | Warum Hitler King Kong liebte, aber den Deutschen Micky Mouse verbot. Die geheimen Lieblingsfilme der Nazi-Elite
256 S., geb. m. 40 Abb.
14 x 22 cm
19,95 EUR
be.bra verlag, 2015
ISBN 9783898091251
Weitere Infos siehe auch: http://www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/685-warum-hitler-king-kong-liebte-aber-den-deutschen-micky-maus-verbot.html
Post an Prof. Dr. Christoph Gutknecht
http://www.christoph-gutknecht.de
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