Schicksale prominenter Künstler im Zweiten Weltkrieg
|
|
Die Diktatur des Dritten Reiches (1933-1945) forderte in einem beispiellosen Unrechtsstaat immer neue, unmenschliche Opfer. Für viele war das Leben bestimmt durch Angst, Entbehrungen, Gewalt und Misstrauen. Schicksalsschläge deutscher Bürger dieser Zeit machen sprachlos. 2018 erschienen Hans Joachim Schädlich Felix und Felka und Hans Pleschinskis Wiesenstein, welche das Los prominenter Künstler im Zweiten Weltkrieg detailreich beleuchten. Die Autoren weben in ihre Werke den Lebensweg der betrachteten historischen Personen, ihr Umfeld und ausgewählte Aufzeichnungen von ihnen mit ein. Sie lassen die damalige Zeit so in all ihrer Unfassbarkeit und Härte anschaulich werden.
* *
Der 82jährige Schriftsteller Hans Joachim Schädlich beschreibt in seinem kurzweiligen Roman Felix und Felka episodenhaft die letzten Jahre des deutschen Malers Felix Nussbaum (1904-1944) und seiner Lebenspartnerin und späteren Ehefrau, der polnischen Malerin Felka Platek (1899-1944). Felix Nussbaum hatte in den 1930er Jahren große Ausstellungserfolge in Berlin. Felka Platek begleitet ihn 1932 zu seinem Aufenthaltsstipendium in die Villa Massimo in Rom. Das jüdische Malerpaar befindet sich zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Italiens Hauptstadt. Der Roman beginnt damit, dass Hanns Hubertus Graf von Merveldt, ein deutscher Malerkollege, Felix plötzlich vor der Villa Massimo tätlich angreift. Dieser Kollege, ebenfalls ein Stipendiat, versetzt Felix Boxhiebe und schlägt ihm im Beisein von Felka und anderen ins Gesicht. Später verweigert er, trotz des Anratens Dritter, sich für seine Schläge zu entschuldigen. Felix und Felka fliehen daraufhin vor den Nationalsozialisten von Italien über Frankreich nach Belgien. Ihr Leben im Exil gestaltet sich als entbehrungsreich. Trotz der Warnungen von Freunden, nicht in Europa zu bleiben, sind beide guter Hoffnung, dass sich die verheerenden Entwicklungen wieder ändern werden. Mit ihrem Optimismus sind sie nicht allein. Felix´ Bruder Justus betreibt in Osnabrück weiterhin die Firma des Vaters.
Es sind schlichte und kurze Sätze, in denen der Autor Schädlich das Leben des Malerpaars stimmungsvoll skizziert. Das Künstlerpaar bemüht sich auch im Exil einen ausgefüllten Alltag zu leben und einer Verdienstmöglichkeit nachzugehen. Beide versuchen auf dem meist zu kleine Wohnterrain künstlerisch tätig zu werden. Gespräche handeln weniger von Politik und drehen sich mehr um die gegenwärtige Existenzsicherung und Alltagsbeobachtungen in der teils noch fremden Umgebung. Das Paar macht neue Bekanntschaften. Felix schreibt liebevolle Briefe an Freunde und Förderer im fernen Amerika. Felka tauscht mit der Nachbarin Kochrezepte aus, die im Roman wiedergegeben werden. Beim Lesen entsteht eine Spannung zwischen den Beobachtungen, wie Felix und Felka ihr Exildasein mehr schlecht als recht meistern, und dem, wovon der Leser bereits ahnt, was noch kommen wird. Bald fliehen auch Felix´ Bruder und Eltern aus Deutschland ins holländische oder belgische Exil.
Als Deutschland die Niederlande, Belgien und Luxemburg im Mai 1940 überfällt, weiß das Künstlerpaar, dass es nun auch in Belgien nicht mehr sicher ist. Können sie binnen kürzester Zeit einen Unterschlupf finden und untertauchen? Es stellt sich die Frage, wem Felka und Felix noch vertrauen können. Hans Joachim Schädlich zitiert im Roman viele Zeitzeugen, wie etwa die Malerin und Schriftstellerin Irene Awret, die Felix kurz vor seinem Tod in einem Sammellager kennenlernt. Meisterhaft gelingt es dem Autor, ein authentisches Bild des anfangs noch hoffnungsvoll-gutgläubigen Künstlerpaares zu vermitteln.
Bewertung:
Der mit 552 Seiten sehr viel umfangreichere Roman Wiesenstein des 61jährigen Schriftsteller Hans Pleschinski bebildert einen sehr viel kürzeren Zeitraum gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. März 1945 flieht der berühmte Schriftsteller Gerhart Hauptmann zusammen mit seiner Frau Margarete aus dem zerstörten Dresden mit dem Zug nach Osten. Sie fahren zu ihrer Villa Wiesenstein in Schlesien. Begleitet werden sie von ihrem Masseur und Hauptmanns Sekretärin. Das Anwesen im Riesengebirge oberhalb von Agnetendorf soll als prächtige Trutzburg Schutz inmitten des Krieges bieten. Zahlreiche Bedienstete versuchen dem 82jährigen Literaturnobelpreisträgers zu einem möglichst angenehmen Aufenthalt zu verhelfen. Auch Hausgäste, denen auf Wiesenstein Unterschlupf gewährt wird, erhoffen sich inmitten der Kriegswirren besonderen Schutz durch die internationale Berühmtheit des Hausherrn.
Mit Schrecken beobachten die Bewohner Wiesensteins, wie die Agnetendorfer erst vom russischen Militär und dann von anrückenden Polen heimgesucht und überfallen werden. Die Villa Hauptmanns selbst bleibt jedoch lange Zeit verschont, und das Verbleiben Hauptmanns wird durch einen Schutzbrief vorübergehend ermöglicht. Bald suchen Polen, die sich mal als Kriminalbeamte oder Journalisten ausgeben, Wiesenstein heim und rauben hier unkontrolliert Wertgegenstände:
„Die Spuren des Überfalls, die aufgerissenen Schubladen und durchwühlten Schränke erschütterten die Bewohner tiefer als eine bloße Verwüstung. Der Zugriff auf das Persönliche, das Private erniedrigte und versehrte die Seele. Immer genauer – ganz vielleicht nicht -, konnte man sich in jene Menschen einfühlen, denen Gewalt widerfuhr, deren Körper schutzlos wurden. Sie fanden nie wieder zu sich, nährten bleibend ein Grauen.“ (S. 475 f.)
Der Romanfokus liegt nur selten auf der Perspektive der Figur Hauptmanns. Schicksale seines Dienstpersonals wie der Raumpflegerinnen Wilma und Minna Köstritz rücken oft momenthaft in den Erzählfokus. Immer wieder werden auch Bewusstseinsströme anderer Bewohner Wiesensteins widergegeben, die Hauptmann in seinen letzten Tagen auf dem Ansitz nahestanden. Der Alltag und die Ängste und Gefühle des Heers der Bediensteten werden detailreich beschrieben. Trotzdem behandelt der Roman auch das vielschichtige Werk des berühmten Autors.
So diskutieren die Protagonisten teilweise lebendig über seine Prosa. Hauptmanns Bahnwärter Thiel (1888), Atlantis (1912), Der Ketzer von Soana (1918) und Die Insel der großen Mutter (1924) und seine Dramen Die Weber (1892), Hanneles Himmelfahrt (1894) oder die Atriden-Tetralogie (1944) finden im Roman vielfach Erwähnung. Einzelne Protagonisten lesen ausgewählte Werke Hauptmanns. Hauptmann selbst überarbeitet mit seiner Sekretärin Annie Pollack verschiedene seiner Manuskripte. Auch erinnert er sich etwa in Tagträumen an Details früherer Aufzeichnungen und literarisch verarbeiteter Geschichten.
Interessant wird es, als Hauptmann noch vor Kriegsende auf Wiesenstein von führenden Nationalsozialisten besucht wird, die von ihm ermutigende Worte für die kriegsmüden Bürger einfordern. Gegen Ende denkt Hauptmann über seine Rolle im Nationalsozialismus nach. Er befragt sein Gewissen, ob er eine mögliche Mitschuld tragen könnte oder nur ein Opfer seiner Zeit geworden ist. Schlesien ist mittlerweile in den polnischen Staat eingegliedert. April 1946 wird Hauptmann von sowjetischer Seite mitgeteilt, dass die polnische Regierung nun auch auf seiner Aussiedlung bestehe. Skizzenhafte Tagebuchaufzeichnungen von Margarete Hauptmann fließen in den Roman ein, die nun Auskunft über den kritischen Gesundheitszustandes des mittlerweile 83jährigen geben.
Neben einer sehr bilderreichen Sprache, die auch Gedichte anderer Autoren wie Andreas Gryphius und Johannes Robert Becher einfließen lässt, gehören insbesondere Beschreibungen des Kriegsende-Chaos in Schlesien zu den Stärken des leider oft etwas weitschweig in Detailbeobachtungen schwelgenden und manchmal etwas effekthascherisch oder pathetisch daherkommenden Romans:
„Bisherige Hauseigentümer mussten für ihren Besitz nun Miete zahlen. Ohne Geld und Konten eine Unmöglichkeit, aber die Nichtbefolgung machte dennoch strafbar. Zugleich schienen Polizei und Justizbehörden nicht zu existieren. Das Stille Ducken blieb die Überlebensstrategie.“ (S. 420 f.)
Bewertung:
|
Ansgar Skoda - 5. April 2018 ID 10621
Buch-Links:
https://www.rowohlt.de/hardcover/hans-joachim-schaedlich-felix-und-felka.html
https://www.chbeck.de/pleschinski-wiesenstein/product/21986031
Post an Ansgar Skoda
skoda-webservice.de
Buchkritiken
Lesen im Urlaub
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeige:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTORENLESUNGEN
BUCHKRITIKEN
DEBATTEN
ETYMOLOGISCHES von Professor Gutknecht
INTERVIEWS
KURZGESCHICHTEN- WETTBEWERB [Archiv]
LESEN IM URLAUB
PORTRÄTS Autoren, Bibliotheken, Verlage
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|