Essen und Trinken
hält Leib und Seele
zusammen
Kulinarische Ausdrücke mit jiddischen Wurzeln
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Der Volkskundler Abraham Moses Tendlau betont in seinem Werk Sprichwörter und Redensarten deutsch-jüdischer Vorzeit, aufgezeichnet aus dem Munde des Volkes und nach Wort und Sinn erläutert (Frankfurt aM. 1860), dass "die irdischen und himmlischen Bedürfnisse beide befriedigt sein" wollen. Wenn jemand beim Essen schüchtern tat, hieß es: "Wer sich charpent zu esse, um zu ore, is hier und dort verlore." In dem schönen Sprichwort ist das jiddische Verb "sich charpenen" – mit deutscher Endung – vom hebräischen "cherpah" (Scham) abgeleitet, das verballhornte "oren" deutet auf das lateinische "orare" (beten). Neben dieser Lebensregel, die auch schon in Moritz Blaß‘ Sammlung Jüdischer Sprichwörter (Leipzig 1857) in der Wendung "Wer sich schämt zur essen und zu oren (beten), ist in der ganzen Welt verloren" auftauchte, hält das Deutsche etliche kulinarische Ausdrücke mit jiddischen Wurzeln bereit, teils in lustige Reime gekleidet.
Den Satz "Essen, Trinken, Slafengan: Die Arbeit Dütschheren han" wies der Heidelberger "Oberbibliothekar" Josua Eiselein (1791–1856) bei seinen Sprichwörtern und Sinnreden des deutschen Volkes in alter und neuer Zeit (Freiburg 1840) dem "Volksmund" zu. Doch statt jenes schlichten Diktums zitierte Kafkas Hebräischlehrer Jiří Mordechai Langer in der Schrift Das jüdische Ideal der körperlichen Arbeit und seine Schicksale (1928/29) den "ironisch gemeinten Spruch des reichsdeutschen Jargon: 'Achele, bachele, bōfe is die beste meloche (essen, trinken, schlafen – ist das beste Handwerk).'". Den gilt es zu interpretieren: Werner Weinbergs Arbeit über die Reste des Jiddischdeutschen (Stuttgart 1973) lässt offen, ob "bacheln" und "bofen" als "bedeutungsloser Reim oder Alliteration gelten", aber "bofen" dürfte, wie das dialektale "pofen", für "schlafen" stehen. "Bacheln" deutet Tendlau als "bechern, vom lateinischen poculum, Pokal", Ingeborg-Liane Schack rückt in Der Mensch tracht un Got lacht (Mainz 1977) die Variante "bajchelen" zu den deutschen Verben "picheln" bzw. "pitschen".
Es bleibt das etymologisch reizvolle Verb "acheln" – für das Grimm’sche Wörterbuch "ein aus der jüdischen und Gaunersprache entnommenes Wort", das uns schon 1572 in Johann Fischarts frühneuhochdeutschem Werk Aller Praktik Großmutter begegnet: "wann sie den Hans von Geller (= das grobe Brot) nicht acheln mögen".
Bis heute steht das über das Rotwelsche in die Umgangssprache gelangte Lexem – vor allem im Berlinischen, Hessischen, Moselfränkischen, Pfälzischen, Rheinischen und in Wien – für "tüchtig/mit Behagen essen". Es leitet sich vom jiddischen "achilen" her, das auf das hebräische Verb "a’chal" (essen) und das Deverbativ "achi’lah" (Mahlzeit) zurückgeht. Zum jiddischen Wortfeld gehört neben dem "Achler" (dem Fresser) auch der "Achelpeter" (der Vielfraß): er taucht bei Auricher, Eichstetter und Engadiner Juden auf – bei letzteren heißt es: "Emene Achelpejter sinn aach zwei Stick Kuche nit zu vill." Im Rotwelschen ist der Achelpeter ein Armenhäusler, dem es an "Achelkies" (Verpflegungsgeld) für das "Acheliniken" (Essen) und die "Achelsore" (Esswaren) fehlt.
Literaten und Linguisten nutzten das "Acheln" gern für ihre Späße: "Laß uns nach dem langen Reisen hier ein wenig ruhn und acheln" heißt es in Karl Immermanns Lustspiel Die Verkleidungen (1828). Kurt Tucholsky witzelte als Theobald Tiger 1929 in der Weltbühne bei der Persiflage deutschen Vereinslebens: "Der Igel saß stumm, ohne zu acheln und sträubte träumerisch seine Stacheln." Der populäre Nachkriegsautor Stefan Andres fragte im Roman Der Knabe im Brunnen (1953): "Willste hören die Spitzmäus‘ acheln?" Und auch dem Hebraisten Werner Weinberg war der kecke Schüttelreim nicht fremd: "Was nützet mir ein Kachelofen, kann ich mir nichts zum Acheln kofen."
Christoph Gutknecht - 2. Mai 2020 ID 12207
https://en.wikipedia.org/wiki/Christoph_Gutknecht
Post an Prof. Dr. Christoph Gutknecht
https://www.slm.uni-hamburg.de/iaa/personen/ehemalige-emeriti/gutknecht-christoph.html
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