Tod als Voraussetzung
Hermann L. Gremliza, der Herausgeber und Kolumnist von konkret seit 1974, ist tot
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Auf ZEIT ONLINE schreibt David Hugendick: „Er begriff sich selbst als Kommunist. Er war auch mal Sozialdemokrat, aber nachdem die SPD zur Deutschen Einheit das Deutschlandlied gesungen hatte, trat er aus der Partei aus. Vom Spiegel war er da schon längst geflohen, wo er Mitte der Sechzigerjahre als jüngster leitender Redakteur in der Geschichte des Magazins begonnen hatte. Nach einem Streit mit Rudolf Augstein um redaktionelle Mitbestimmung verließ er das Blatt. […] Gremlizas Unerbittlichkeit, seine Uneinsichtigkeit und seine Sprachkritik, die er tatsächlich noch als, im Sinne der kritischen Theorie, Ideologiekritik verstand, richtete sich gegen die BRD. In deren Strukturen erkannte er noch viele Verfallsformen des nationalsozialistischen, geschichtsrevisionistischen Denkens. […] Gremliza verband Denken und Schreiben auf eine Weise, die selbst von vielen jener geachtet und beneidet wurde, die ihm politisch niemals zugestimmt hätten, die fanden, dass er sich irrte (was er auch bisweilen tat), die ihn für zu radikal hielten oder denen er sonst wie in herzlicher Abneigung verbunden war. Es war ja schwer, seine Texte nicht zu bewundern, egal wo man politisch stehen mochte. […] Er selbst sah sich, in seiner journalistischen Unerschütterlichkeit, in der Tradition von Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und natürlich Karl Kraus, als dessen solitärer, sprachkritischer Nachfolger Gremliza sich sah. Nicht umsonst trug ein von ihm ausgelobter Preis den Namen von Kraus: 10.000 D-Mark für einen Schreiber, der sich mit der Annahme des Preisgeldes dazu verpflichtete, nie wieder eine Zeile aufs Papier zu bringen. Die Idee wäre übrigens heute noch immer charmant, leider vermutlich, wie damals schon, ohne Aussicht auf Erfolg.“
SPIEGEL ONLINE meint: „Wegen seiner scharfzüngigen Artikel wurde Gremliza immer wieder angefeindet, ihm wurden 'vulgärmarxistisches Gedröhns' (NZZ) und ein 'fatales Geschick des Vereinfachens' (SZ) attestiert. Für andere gehörte Gremliza zu den besten Autoren des Landes.“
In der Frankfurter Allgemeinen schreibt Dietmar Dath, der als Autor eigentlich mit Gremliza mehr gemeinsam hat als mit der Zeitung, deren Redakteur er vorübergehend war und in der er jetzt dem ehemaligen Freund nachrufen darf: „Gremlizas Schriften gehören wie ihr Verfasser zur linken deutschen Geschichte; sie kennt nicht viele Arbeiten, die man so gern wieder liest wie seine, selbst, wo man nicht einsehen mag, was sie lehren.“
In der Süddeutschen Zeitung erinnert Willi Winkler: „Während die Frankfurter Straßenkämpfer Joschka Fischer und Thomas Schmid heiße Zähren um die im Gefängnis sterbenden Kombattanten von der RAF vergossen, zog Gremliza dem Sentiment die messerscharfe Analyse vor: 'Ulrike Meinhofs Weg in den Untergrund begann, als Sozialdemokraten einen Goebbels-Referenten zum Bundeskanzler wählten.' So nämlich hob sein Nachruf auf seine Vorgängerin in der konkret-Chefredaktion an. […] Gremliza wurde Anführer der 'Anti-Deutschen' und entwickelte gegen die für grundsätzlich antisemitisch verdächtigten Linken eine späte Liebe zu Israel. Als Chefredakteur war Gremliza aber ebenso großzügig wie als Kolumnist streng. Mit wahrer Freundesliebe betreute er den Endreimfanatiker Horst Tomayer, förderte junge Talente wie Dietmar Dath und Gerhard Henschel, ließ Otto Köhler schreiben und döberte dann wieder über das Deutschland, mit dem er zeitlebens nicht glücklich werden konnte.“
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All dies ist richtig. Zu Gremlizas Lebzeiten hat es kaum jemand ausgesprochen. Der „vielleicht größte Stilist des Landes“ – das „vielleicht“ ist eine einzige Unverschämtheit –, der sich als „solitärer, sprachkritischer Nachfolger“ von Karl Kraus nicht sah, sondern es tatsächlich war, wurde vom bürgerlichen Mainstream dieses Landes „nicht einmal ignoriert“. Für einen Linken, der diese Bezeichnung verdient, gibt es nur eine Chance, Gerechtigkeit zu erfahren: Er muss sterben.
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Thomas Rothschild - 23. Dezember 2019 ID 11903
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