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Roman

Lesen im Urlaub >>> Siri Hustvedt, Die gleißende Welt



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„Es werden drei sein, genau wie im Märchen. Drei Masken in verschiedenen Schattierungen und Erscheinungsbildern, sodass die Geschichte ihre perfekte Form haben wird. Drei Masken, drei Wünsche, immer drei. Und die Geschichte wird blutige Zähne zeigen.“ (Siri Hustvedt, Die gleißende Welt, S. 220)

*

Ist es implizit frauenfeindlich, wenn eine Protagonistin als einzigen Weg für mehr künstlerische Reputation ihre Werke von drei Strohmännern ausstellen lässt? Verleugnet die Protagonistin hier gar ihre eigene Weiblichkeit mit einem allzu negativ geprägten Selbstbild?

Es gibt wohl kaum ein Buch, über das ich so kontrovers und lebendig in meinem Bekanntenkreis diskutierte, wie Siri Hustvedts Roman Die gleißende Welt. Und das, obwohl ich als Kritiker befangen sein müsste, wenn ich als Mann ein literarisches Werk beurteile, in dem es im Kern darum geht, dass sich eine Frau als Künstlerin in einem patriarchalisch geprägten Kunstbetrieb verkannt fühlt und deshalb mutig mittels eines gefährlichen Experimentes aufbegehrt. Zahlreiche unterschiedliche Erzählstimmen beschäftigen sich mit der Künstlerin Harriet Burden, ihrem Werk und der traditionell von Männern dominierten Kunstszene. Harriet selbst kommt in zahlreichen eingebetteten Tagebucheinträgen zu Wort. Über die Witwe eines bedeutenden Kunstsammlers und ihr verhängnisvolles Experiment sprechen außerdem ihre Kinder, Freunde und Bekannte der Künstlerin, Menschen, die sie nur vom Hörensagen kannten und auch einige Kunstkritiker wie etwa Rosemary Lerner. Lerner begründet anfangs ihre Vermutung, warum es anderen Kritikern schwer gefallen sein mag, Kunstwerke in Burdens Ausstellungen angemessen bewerten und einschätzen zu können folgendermaßen:


„Alle möglichen Kritiker fühlen sich gern einem Kunstwerk überlegen. Wenn es sie verwirrt oder einschüchtert, werden sie es höchstwahrscheinlich schlecht besprechen. Viele Künstler sind keine Intellektuellen, aber Burden war eine, und ihr Werk reflektiert ihr breites Wissen. Ihre Verweise umfassten viele Gebiete und konnten oft nicht ausfindig gemacht werden. An ihrer Kunst war auch etwas Literarisches, Erzählendes, wogegen sich viele sträubten. Ich bin davon überzeugt, dass alleine ihre Kenntnisse auf manche Kritiker als Ärgernis wirkten. Einmal unterhielt ich mich mit einem Mann, der kein gutes Haar an ihrer Einzelausstellung gelassen hatte. Als ich auf seine Kritik zu sprechen kam und zur Verteidigung ihres Werks anhob, reagierte er feindselig.“ (S. 97)


Später wird Burden die Urheberschaft an Werken, die in New York in drei Einzelausstellungen junger Männer gezeigt wurden, für sich beanspruchen. Die ausgestellten Kunstwerke weckten das Interesse der Kunsthändler und des Publikums gleichermaßen, wenn auch unterschiedlich stark. Rachel Briefman sieht die Motivation ihrer guten Freundin Burden für ihr Experiment wie folgt begründet:


„Sie sagte, ihre Idee sei es nicht nur, jene bloßzustellen, die ihr in die Falle gingen, sondern die komplexe Dynamik von Wahrnehmung als solcher zu untersuchen, wie wir alle erschaffen, was wir sehen, um Menschen auf diese Weise zu zwingen, ihre eigenen Sehgewohnheiten zu hinterfragen und ihren selbstgefälligen vorgefertigten Meinungen die Grundlage zu entziehen.“ (S. 150)


Die gleißende Welt behandelt die unterschiedliche Wahrnehmung von Dingen und Theorien des Selbst in der Welt. Ironisch wird mit Urheberschaft und Positionen gespielt, wenn etwa plötzlich Siri Hustvedts Romandebüt Die unsichtbare Frau (1992) in einer Fußnote (S. 357/358) eine tragende Rolle zukommt.

Es ernüchtert mitunter, wenn die Romanheldin in dieselben Fallen tappt, die sie anderen vorwirft. So muss Burdens Liebhaber Bruno erkennen, dass sie seinen zärtlichen Liebeserklärungen wenig wertschätzende Beachtung schenkt und in ihrer schöpferischen Welt kaum Platz für seine Zuwendungen ist. Gleichzeitig gibt es auch immer wieder Momente, in denen die Protagonistin ihrer unmittelbaren Umwelt aufmerksam, fürsorglich und vorausschauend begegnet.

Hustvedts geistvoller und facettenreicher Roman erinnert in seiner Komplexität und Vielzahl unterschiedlicher Erzählstimmen oft an Brigitte Kronauers Gewäsch und Gewimmel, dreht sich jedoch inhaltlich konzentrierter um eine Figur und ist aufgrund einer stets mitschwingenden intertextuellen Ebene und einem ambitionierteren Sujet etwas intellektueller angelegt. Denn ihr Roman ist nicht nur eine Hommage an das gleichnamige utopische Werk The Blazing World (1666) der adligen englischen Schriftstellerin Margaret Cavendish (1623-1673), welche die Romanheldin Harriet Burden bewundernd zur Identifikationsfigur erhebt, sondern thematisiert auch Wahrnehmungstheorien bekannter Philosophen, wie etwa den Begriff der Performativität einer Judith Butler, ihrerseits Vordenkerin der Queer Theorie.

Leider ist besonders die Einleitung mit Namen und Verweisen sehr überladen und auch über spätere langatmige Fußnoten versucht man geflissentlich hinwegzulesen. Einige Erzählpassagen muten zudem etwas pathetisch, klischeehaft oder plakativ an. Manchmal ist es auch schwer, die einzelnen Erzählstimmen voneinander zu unterscheiden, da sie vom Erzählgestus her einander ähneln. Eine der vielen Ausnahmen ist hier die Figur der esoterischen, skurril-sympathischen Assistentin Sweet Autumn Pinkney, die ihre Begegnung mit Harriet in zwei unterschiedlichen Lebensphasen aus einer arglosen Sicht der Außenstehenden schildert. Mit dieser und anderen Figuren, wie u.a. später Kirsten Larsen Smith, schafft es Hustvedt immer wieder pointiert, die Geschichte aus einem erfrischend neuen Blickwinkel zu beleuchten. Eine große Stärke des Romans ist somit, dass er immer wieder überrascht, inspiriert und zum Nachdenken anregt.
Ansgar Skoda - 16. Juli 2016
ID 9434
Siri Hustvedt | Die gleißende Welt
Geb. m. Schutzumschlag
496 Seiten
€ 22,95 [D]
Rowohlt Verlag, 2015
ISBN: 978-3-498-03024-7


Weitere Infos siehe auch: http://www.rowohlt.de/hardcover/siri-hustvedt-die-gleissende-welt.html


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de

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