Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 2

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Lesung

Judith Hermann war in der Kultur Kirche Köln



Foto (C) Andreas Labes | Bildquelle: fischerverlage.de

Manchmal hat man an diesem Abend in der Kulturkirche Köln den Eindruck, als habe Judith Hermann nichts Bedeutendes zu erzählen, was nicht heißen soll, sie könne nicht bedeutsam erzählen. Denn Judith Hermann ist eine ganz wunderbare Erzählerin, und man fragt sich an diesem Abend oft, warum in aller Welt gerade diese begnadete Schriftstellerin jüngst all diese harsche Kritik einstecken musste für ihren ersten Roman Aller Liebe Anfang. Vielleicht liegt es ein wenig daran, dass sie ohne jede Attitüde schreibt. Als würde sich ihre Erzählung nicht im geringsten um das scheren, was um sie herum geschieht - am allerwenigsten um Trends und Moden und Kritikermeinungen.

Die Geschichte um Stella, die durch einen Stalker aus ihrer Vorortidylle gerissen wird und deren Leben im Zuge der Erzählung aus den Fugen gerät, hat, wie immer bei der Hermann, eine erschreckend einfache symbolische Kraft. Wir leicht die Existenz zerbrechen kann und wie verletzlich das Konstrukt unseres Lebens am Ende doch ist, erfährt man in allen ihren Büchern. Man mag das vielleicht nicht mehr hören, ist es doch ein Hauptthema der literarischen Moderne. Doch muss man Judith Hermann zugutehalten, dass sie entwaffnend einfache Bilder dafür findet und sagenhaft musikalische Sequenzen verfasst, die jenes Fluidum abbilden, das die dünne Luft unserer Existenz ausmacht. Die Autorin kommentiert das an diesem Abend so: In gewisser Weise sei dieser erste Roman auch der Roman einer Vertreibung vom Ort des angestammten Wohnens, wie sie es selbst nach zwanzig Jahren in ihrer Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg erleben musste. Der Verlust einer Heimat. Nun wäre Judith Hermann nicht diese großartige Erzählerin, die sie tatsächlich ist, wenn sie diese Banalität, diese Belanglosigkeit nicht in die sinnreiche und eindringliche Sprache vom existentiellen Verlustiggehen schlechthin verwandeln könnte. Eben darum ist dieser Roman auch mehr als nur eine Geschichte, die eine alte Idee der Moderne variiert: Er macht dem Leser spürbar, wie es sich anfühlt, wenn man im eigenen Leben heimatlos wird und alles aus den Fugen gerät. Das ist an sich ja schon eine sehr beachtliche Leistung.

Zugeben: Diese Autorin hat ihre Vorbilder, sie sind allenthalben spürbar und doch, gerade beim direkten Vortrag, mag man davor zurückschrecken, ihrer Prosa Originalität im Wortsinne abzusprechen. Denn Judith Hermanns Sprache schlingert gekonnt zwischen den Klippen eines erzwungenen Nichtssagens, zwischen der Skylla der Banalität unserer Zeit und der Charybdis einer erzählerischen Exzentrik, und dabei erreicht sie ein erstaunliches technisches Niveau. Man denkt dann oft: Diese Sprache ist einfach zu gut, zu poetisch, zu perfekt für viele Kritiker, die sich mit Spott und Häme und Nörgeleien an diesem Roman abgearbeitet haben. Das traf die Autorin schwer - sie gibt das unverhohlen zu an diesem Abend. Und das ist ungemein sympathisch. Andererseits wird aber auch deutlich, dass die Hermann in Zukunft wohl immer wieder Leser finden wird. Denn eigentlich gibt es an diesem Roman nichts auszusetzen, es ist schlichtweg ein gelungenes Stück Literatur, dem man viele Leser wünscht.

Angenehm auch, wie Judith Herman über ihre Arbeit spricht. Ohne Prätention, schlicht und treffend, so, wie sie auch schreibt. Sie hat das Zeug dazu, in ihren Texten ein gewisses Geheimnis am Leben zu halten. Sie ist eine, die das gut kann, die genug Skrupel hat: Die das Gefasel der Zeit meidet und andererseits die poetische Fähigkeit besitzt, dem eigenen Ton so etwas wie eine erschreckend schlichte Welthaftigkeit zu verleihen. Es ist erstaunlich, wie sie das macht, und an diesem Abend hat sie auch deshalb das Publikum auf ihrer Seite. Vielleicht ist Judith Hermann wirklich ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber welcher Künstler von Rang ist das nicht?


Jo Balle - 23. September 2014
ID 8116
Judith Hermann | Aller Liebe Anfang
Hardcover
Preis € (D) 19,99 | € (A) 20,60 | SFR 28,90
S. Fischer Verlag
ISBN 978-3-10-033183-0


Weitere Infos siehe auch: http://www.fischerverlage.de/buch/aller_liebe_anfang/9783100331830


Post an Dr. Johannes Balle



  Anzeige:




LITERATUR Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTORENLESUNGEN

BUCHKRITIKEN

DEBATTEN

ETYMOLOGISCHES
von Professor Gutknecht

INTERVIEWS

KURZGESCHICHTEN-
WETTBEWERB
[Archiv]

LESEN IM URLAUB

PORTRÄTS
Autoren, Bibliotheken, Verlage

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal





Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)