Über das dichterische Wort dringt der Geist des arabischen Westens in die Welt hinaus - Hassan Najmi hilft Marokko seine poetische Identität zu finden
|
Der marokkanische Dichter Hassan Najmi
|
Die Arabische Welt verbinden die Europäer bereits seit dem Klassizismus mit einer Melancholie und aufwallenden Emotionalität, die sich besonders in der Dichtung ausdrücke. Dabei hatten die europäischen Interessierten stets Gedichte, aber auch Novellen und Dramen mittelöstlichen Ursprungs im Blick.
Mehr und mehr dringt ihnen jedoch ins Bewusstsein, dass der Arabische Raum nicht nur lingual, sondern auch literarisch - hier vor allem in der Lyrik - bereits am Mittelatlantik beginnt und der Maghreb - einst Zentrum der morgenländischen Kulturbegegnung mit dem Abendland – sich wieder zu einer der Hauptquellen arabischer poetischer Kreativität entwickelt. Marokko, das Königreich am nordwestlichsten Zipfel Afrikas, unmittelbar jenseits der Straße von Gibraltar vor den Toren Europas gelegen, sucht in der Dichtung sogar einen wesentlichen Bestandteil seiner modernen Identität.
Dieser Identität auf die Spur zu gehen und sie im eigenen Schreibstil zum Ausdruck gelangen zu lassen, ist eines der Herzensanliegen des am 7. März 1960 im marokkanischen Ibn Ahme geborenen Dichters Hassan Najmi. Bereits seit 1977 bringt der Absolvent für Arabische Literatur am Rabater Kolleg für Literatur und Humanwissenschaften in verschiedenen Zeitungen in Marokko, aber auch in anderen arabischen Staaten seine Gedichte heraus. Bisher konnte der sowohl in der Lyrik als auch in der Prosa sich zu Hause fühlende Najmi die marokkanische Literatur bereits um vier Gedichtbände, eine Novelle und zwei Bücher mit Essays (eines davon zusammen mit Kacimi herausgebracht) bereichern.
Ebenso aber fühlt er sich der oxidentalen Literatur zugeneigt und lässt seine Landsleute wie die übrigen arabischsprachigen Interessierten mittels Übersetzungen aus dem Französischen an der dichterisch vermittelten Botschaft aus europäischer Feder teilhaben. Seine Übersetzungen betreffen nicht ausschließlich Werke französischer Autoren, sondern auch Poesie italienischer, griechischer und portugiesischer Urheberschaft. Sogar an einige Kostproben des japanischen Dichters Haiku hat er sich herangewagt.
Seine jahrelange Arbeit als Feuilletonherausgeber bei der Zeitung Al-Ittihad al-Ishtiraki hat ihn niemals den Blickwinkel für die allgemeingebildete Leserschaft aus dem Auge verlieren lassen. Zwar vollzieht sein Stil durchaus den Wandel von der traditionellen, der sein erster Gedichtband Das Lavendelfüstentum (1982) zuzurechnen ist, hin zur modernen marokkanischen Dichtung nach, der er in seiner späteren Lyrik, vor allem im Gedichtband Ein kleines Leben (1995), folgt. Insgesamt bleibt er jedoch sach- und vor allem realitätsbezogen.
Außerdem ist er stets um eine verständliche und eindeutige Sprache bemüht. Mögen einige Passagen beim erstmaligen Lesen seiner Poesie vielleicht unverständlich erscheinen - wer jedoch mit seinem Stil ein wenig vertraut ist, wird aus seiner Literatur keine elitäre Abwendung von der Gesellschaft herauslesen können.
Die Eindeutigkeit und Verständlichkeit seiner Sprache erweisen sich als Basis dafür, seine auf Arabisch verfassten Werke ebenfalls in andere Sprachen zu übersetzen und des Arabischen nicht mächtige Interessierte an seiner Dichtung Gefallen finden zu lassen. Hat Najmi die Übersetzung ins Französische bei einigen seiner Werke sogar selbst vorgenommen, fand er Übersetzer und Verlage, welche Literatur von ihm ins Französische, Spanische, Englische, Deutsche, Portugiesische, Niederländische, Griechische oder Persische übertragen und in Europa oder Amerika herausgegeben haben. Sogar spanische, englische und französische Zeitschriften haben bereits Gedichte von ihm in ihren jeweiligen Landessprachen präsentiert.
Trotz der Tatsache, dass Najmi sich sprachlich zuletzt ein wenig von der majoritär zu beobachtenden Tendenz in der zeitgenössischen marokkanischen Poesie distanzierte, fühlt er sich als Gründungsmitglied des Hauses der marokkanischen Dichtung (1996) einem spezifisch marokkanischen Stil weiterhin verpflichtet. Zwischen 1998 und 2005 stand er schließlich dem marokkanischen Schriftstellerverband als Präsident vor und übte hernach bis 2011 die Funktion des Generaldirektors der Buch- und Publikationsabteilung des Rabater Kulturministeriums aus.
|
Hassan Najmi
|
Häufiger Inhalt seiner Dichtung und Prosa sind häusliche Gegenstände wie Blumentöpfe, sowie gesellschaftliche Themen wie alleinstehende Frauen oder das Alter. Aber auch politische Motive tauchen bei Najmi, der einst selbst politischer Aktivist war, immer wieder auf. Als Patriot thematisiert er selbstverständlich die Befreiungsbewegung gegen Frankreich, welche letztlich die Wiedererlangung der marokkanischen Souveränität 1956 herbeigeführt hatte.
Die frankophone Historie seines Heimatlandes hat Najmi natürlich immer wieder mit französischer Kultur und vor allem Literatur konfrontiert. Schließlich übersetzt er sogar seine eigene Literatur gelegentlich ins Französische. Den Deutschen und der deutschen Kultur zeigt er sich jedoch mindestens ebenso aufgeschlossen. Für seinen Roman Gertrud (2010), der über eine deutsche Philosophin handelt, ist er bereits für mehrere Preise in die engere Auswahl gezogen worden. Aktuell plant er einen Roman unter dem Titel Der deutsche Schlüssel über Mitglieder der marokkanischen Befreiungsbewegung, denen es gelang, aus einem politischen Gefangenenlager der französischen Besatzungsmacht zu entkommen. Die entscheidende Hilfestellung für die erfolgreiche Flucht bot ihnen ein technisch begabter deutscher Mithäftling, welcher den heimlich den Wärtern entwendeten Schlüssel vervielfältigte und auf diese Weise den marokkanischen Häftlingen den Weg in die Freiheit ebnete.
Sofern die poetische Identität Marokkos auf dem literarischen Werk und den gesellschaftlichen Idealen Najmis beruht, ist sie sowohl patriotisch als auch international und kosmopolitisch. Mit sicherem marokkanischem Boden unter den Füßen dringt sie als sanfter, nach Weihrauch duftender Windhauch in die Welt hinaus.
|
Hassan Najmi
|
Mohammed Khallouk - 4. Januar 2013 ID 6459
Weitere Infos siehe auch: http://mohammedkhallouk.wordpress.com
Dr. Mohammed Khallouk
Politologe und Islamwissenschaftler
|
|
|
Anzeige:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTORENLESUNGEN
BUCHKRITIKEN
DEBATTEN
ETYMOLOGISCHES von Professor Gutknecht
INTERVIEWS
KURZGESCHICHTEN- WETTBEWERB [Archiv]
LESEN IM URLAUB
PORTRÄTS Autoren, Bibliotheken, Verlage
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|