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MUSIKFEST BERLIN 2023

Rundfunkchor Berlin

Gijs Leenaars


Bewertung:    



Seit ich ab dem Millenniumswechsel in Berlin wohne und arbeite, bin ich noch nie in der Gethsemanekirche gewesen, und obwohl sie für die sogenannte Wende (also auch für mich als in Gera geborenem und dort seine gesamte DDR-Kindheit und -Jugend verbrachtem "Ostler") eine nicht zu unterschätzende historische Bedeutung hat.

Gestern Abend holte ich dieses Versäumnis nach und weilte über eine Stunde lang in ihren Gemäuern, Anlass war ein MUSIKFEST-Konzert des Rundfunkchors Berlin (Dirigent: Gijs Leenaars) mit Rachmaninows Ganznächtlicher Vigil.



Apropos Gethsemanekirche

"Während der 1980er Jahre war die Gethsemanegemeinde, ebenso wie andere Berliner Gemeinden, ein Sammelpunkt für Oppositionelle und die DDR-Friedensbewegung.

[...]

Unter verschiedenen bürgerrechtlichen Gruppierungen unter dem Dach der Gethsemanegemeinde befand sich seit 1983/1984 eine der wenigen explizit lesbischen Gruppierungen in der DDR, der Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche.

Die Gemeinde veranstaltete Fürbittgottesdienste, Friedensgebete und öffentliche Diskussionen zum Kirchentag 1987, nach den Verhaftungen auf der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration am 17. Januar 1988, auf der Transparente mit dem Luxemburg-Zitat 'Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden' gezeigt wurden, nach den gefälschten Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 und nach dem Massaker an der chinesischen Demokratiebewegung am 4. Juni 1989. Vor allem Pfarrer Werner Widrat unterstützte in dieser Zeit die oppositionellen Basisgruppen, die seit Anfang 1989 in der Gemeinde ein Kontakttelefon für Informations- und Vernetzungsarbeit betreiben konnten, an dem u.a. Ulrike Poppe und Marianne Birthler mitarbeiteten.

Ab 2. Oktober 1989 war die Kirche Tag und Nacht geöffnet, die Mahnwachen (das Motto 'Wachet und betet' war wiederum der Gethsemane-Geschichte des Matthäusevangeliums entnommen) und Diskussionsveranstaltungen wurden von Tausenden besucht, ein Meer brennender Kerzen bedeckte den Vorplatz und wurde zum Symbol für den gewaltfreien Protest. Am 7. Oktober, dem Nationalfeiertag und 40. Jahrestag der Staatsgründung der DDR, gingen Einheiten der Volkspolizei und der Staatssicherheit in der Schönhauser Allee mit Gewalt gegen Demonstranten vor, von denen sich viele in die Gethsemanekirche flüchten konnten. Trotzdem wurden über 1000 Menschen verhaftet und teilweise mehrere Wochen gefangengehalten. In den folgenden Tagen sammelte die Kontakttelefongruppe im Gemeinderaum Gedächtnisprotokolle von Zeugen der Gewaltübergriffe und freigelassenen Inhaftierten.

Am 9. Oktober forderte Bischof Gottfried Forck in der Gethsemanekirche die DDR-Führung auf, 'deutlich und glaubhaft Schritte einzuleiten, damit (...) eine demokratische und rechtsstaatliche Perspektive für die DDR gefunden wird'.

Am 5. November spielte die Staatskapelle Berlin in der Gethsemanekirche Beethovens 3. Symphonie (Eroica), ein Konzert, bei dem der damalige Generalmusikdirektor der Komischen Oper, Rolf Reuter, unter großem Beifall forderte: 'Die Mauer muss weg!' Danach formierte sich ein spontaner Demonstrationszug durch die Schönhauser Allee.

Nach dem Rücktritt der alten DDR-Führung war die Kirche ein Treffpunkt und Diskussionsforum der Bürgerbewegung. Zur Eröffnung der ersten und einzigen frei gewählten Volkskammer im März 1990 kam diese hier zu einem Gottesdienst zusammen."


(Quelle: Wikipedia)




Mit der Aufführung von Rachmaninows Vesper feierte der Chor nach eigenem Bekennen...


"...einen Komponisten, dessen Oeuvre die Liebe zu seinem Vaterland sprichwörtlich 'atmet'. Dass diese Liebe auf eine harte Probe gestellt wird, zeigt sich bereits im Jahr 1917, als der 44-jährige Komponist Russland verlässt und nie zurückkehren wird. Auch im Exil in den USA setzt er seine Verbundenheit nicht nur musikalisch fort. Er zeigt sich zutiefst solidarisch mit dem Los der russischen Bevölkerung und erhebt kritisch seine Stimme – u.a. durch die Unterzeichnung eines offenen Briefes in der New York Times von 1931, der die Gräueltaten des kommunistischen Regimes in seinem Heimatland anprangert. Was hätte Rachmaninow, der das Konservatorium von Kiew mitgründete und der regelmäßig als Pianist und Dirigent in Kiew, Odessa und Charkiw auftrat, wohl angesichts des heutigen russisch-ukrainischen Krieges gesagt?

[...]

'Mir ist es ein persönliches Anliegen', sagt Chefdirigent Gijs Leenaars, 'diesen herausragenden Komponisten und Musiker sowie seine aufrichtige Haltung gegenüber dem damaligen politischen Geschehen in seinem Heimatland mit der Aufführung dieses A-cappella-Werks zu würdigen und in unsere heutige Zeit zu übertragen. Die in der Ganznächtlichen Vigil enthaltene Bitte nach Frieden ist heute wichtiger denn je.'"

(Quelle: Rundfunkchor Berlin)



Starker Text [s.o.].

*

Das 15-sätzige Werk erschließt sich in seiner (auch textlichen) Komplexität nicht sofort. Man hätte den Text im digitalen Programmheft des Rundfunkchors auch mitlesen können, sowohl sein in lateinischen Buchstaben transkribiertes Original als auch dessen interlineare Übersetzung ins Deutsche standen diesbezüglich zur Verfügung - ich gab die Lektüre allerdings bald auf und lauschte "nur noch" unbeeindruckt (von dem Text) der teils schon sphärischen aber auch überwiegend bodenständig-kräftigen Musik.

Der Nachhall in der Kirche war nicht allzu groß, auch dadurch war es hörbar möglich Stimmen oder Stimmengruppen einzeln zu sortieren, um Detailschönheiten auszumachen. Von meinem Sitz aus (ziemlich rechts im Schiff) wurde mein Ohrenmerk verstärkt und permanent auf die paar Bässe des Chors gerichtet (oder war es gar ein einziger?), die/ der dann schon extremtief sangen/ sang; das fand ich insgesamt dann schon total beeindruckend.

Judith Simonis (Alt) und Holger Marks (Tenor) traten bei (mindestens) zwei der fünfzehn Sätze solistisch in den Vordergrund.



Der Rundfunkchor Berlin mit Rachmaninows Ganznächtlicher Vigil - in der Gethsemanekirche am 6. September 2023 | Foto (C) Peter Adamik

Andre Sokolowski - 7. September 2023
ID 14377
MUSIKFEST BERLIN (Gethsemanekirche, 06.09.2023)
Sergej Rachmaninow: Ganznächtliche Vigil op. 37
Judith Simonis, Alt
Holger Marks, Tenor
Rundfunkchor Berlin
Dirigent: Gijs Leenaars


Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinerfestspiele.de/musikfest-berlin


https://www.andre-sokolowski.de

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