Same same
but different
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INES an der Oper Köln | Foto (C) Matthias Jung
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Bewertung:
Kurz vor Schluss der Uraufführung von INES gibt es diesen musikalisch bewegenden Moment, wenn sich 400 Jahre Musikgeschichte die Hände reichen: O (also eigentlich Orpheus) betrauert in Ondřej Adámeks Oper den Strahlentod seiner Frau E (also Eurydike). Bariton Hagen Matzeit singt hier in abgehackten Silben, und man fühlt sich als Zubehörende:r nicht von ungefähr an Henry Purcells King Arthur erinnert. Diese Erinnerung stellt sich natürlich auch dadurch ein, dass Matzeit hier im Counter singt, der barocken Stimmlage schlechthin.
Adámek und seine Librettistin Katharina Schmitt (zugleich Regisseurin) erzählen in Köln den bekannten Mythos von Orpheus und Eurydike, allerdings in einer Welt, wie sie sich nach einer nuklearen Katastrophe darstellt. Der Titel der Oper (INES) bezieht sich dabei auf die internationale Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse. E kommt hier nicht durch einen Schlangenbiss ums Leben, sondern eben bei einem nicht näher beschriebenen atomaren Zwischenfall, wie es in der Regel etwas beschönigend heißt. Auch der Geigerzähler ist von Beginn an musikalisch präsent.
Die Bühne im kleineren Saal im Staatenhaus ist weit aufgezogen, in Reih und Glied stehen weiße Plastiksäcke, wie sie für die Beseitigung von atomarem Müll benötigt werden. Auch der Chor ist in Schutzkleidung gekleidet, nur O trägt Alltagskleidung (Bühne und Kostüme: Patricia Talacko). In dieses Grundsetting hinein, bei dem Chor und Orchester auf der Bühne sitzen, z.T. auch einzelne Gruppen hinter die Zuschauenden verteilt sind, werden weitere Bühnenelemente geschoben: zunächst Vitrinen aus einem Naturkundemuseum, in dem E arbeitet und schließlich auch ums Leben kommt, und ein Krankenhauszimmer, in dem sie stirbt.
Szenisch könnte vieles mutiger sein. So ist die Bühnensituation zwar ungewöhnlich mit einer sehr breiten Spielfläche, aber die einzelnen Szenen zwischen O und E spielen dennoch nur an einem Ort. Die Ausstattung wirkt seltsam glatt. Und natürlich, wie es sich für ein Opernbühnenbild gehört, sind zwischen den Säcken auch Sitzmöglichkeiten für die Protagonistinnen und Protagonisten versteckt. Warum nicht mehr Chaos, mehr Dreck, mehr Dezentrales, ohne gleich den Fokus zu verlieren? So bleibt vieles oberflächlich, schön anzuschauen, aber eben nicht bewegend.
An den Darstellenden liegt das nicht: Hagen Matzeit (als O) und Kathrin Zukowski (als E) überzeugen mit einer guten szenischen Präsenz. Matzeits Rolle zeichnet sich, zumindest in der ersten Hälfte, eher durch Sprechgesang aus, erst nach der Katastrophe „kippt“ er in den Counter. Zukowski brilliert mit einer tollen Stimmführung. Für etwas Ablenkung sorgen die drei Girls of Hiroshima (Olga Siemieńczuk, Tara Khozein, Alina König Rannenberg), die mit bewusst heiterem Duktus und unterlegt mit Swing-Rhythmen ihren Brief an den Piloten zitieren, der die Atombombe auf Hiroshima geworfen hat.
Aber die Frage bleibt: Warum erzählt INES eine Variante des Orpheus-Mythos und erzählt damit von einem Protagonisten und einer Protagonistin, also vom Schicksal zweier Individuen, und eben nicht vom Kollektiv? Für die nukleare Katastrophe bringt das keinen Mehrwert. Auch der Ansatz, Eurydike mehr in den Fokus zu rücken, indem man ihr einen Beruf gibt, bringt keine wirklich neuen tiefgreifenden Erkenntnisse für den Mythos. Allein die Videos in Schwarzweiß, die gelegentlich auf die Bühnenrückwand projiziert werden und die ein Haus zeigen, vor dem mal E und mal O zu sehen sind – und gelegentlich auch ein Wolf –, spannen einen Bogen der individuellen Geschichte zu einer nuklearen Katastrophe, weil sie sich deutlich vom Ursprungsmythos entfernen. Wo steht dieses Haus? Irgendwo in der Nähe von Tschernobyl?
Dazu passt, dass der Chor in INES, obwohl das Werk als Choroper firmiert, seltsam wenig präsent ist. Das gilt weniger musikalisch als szenisch. Es gibt mal einen Gang aller über die Bühne, dann werden Säcke gesichtet. Aber das Kollektiv als solches ist nicht betroffen von der Handlung, die atomare Katastrophe bleibt Folie, weil sie nicht erlebt wird von irgendjemanden auf der Bühne - außer E und 0.
Nur selten gibt es Irritationsmomente, wie am Anfang, als das Publikum erwartungsvoll auf seinen Stühlen sitzt und von irgendwoher ein Stimmengewirr erklingt, was alle glauben lässt, es werde noch gequatscht. Weit gefehlt: Es ist schon Teil der Aufführung, auch wenn Dirigent und Komponist Ondřej Adámek noch nicht an seinem Platz ist.
Musikalisch gelingen Adámek in seiner Komposition sowohl die leisen Töne als auch das Hereinbrechen der atomaren Katastrophe. Vieles macht Sinn, wie der Wechsel des Stimmfachs bei O im Laufe der Erzählung oder die Aufsplittung von E in vier Figuren nach ihrem Strahlentod. Auch die Anleihen in der Musikgeschichte betten sich sinnhaft ein, von dem erwähnten Purcell über amerikanischen Swing bis hin zu einem gregorianischen Männerchor (David Howes, George Ziwziwadze, Lasha Ziwziwadze). Überzeugend auch das reine Aufzählen von atomaren Zwischenfällen, chronologisch und nach Einordnung gemäß INES-Skala. Auf frappierende Weise kommen hier die verschiedenen Stimmen aus allen Ecken des Raumes zusammen, Sprecher:innen wie Sänger:innen des Chors. Mehr davon wäre wünschenswert gewesen.
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INES an der Oper Köln | Foto (C) Matthias Jung
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Karoline Bendig - 20. Juni 2024 ID 14808
INES (Kleiner Saal im Staatenhaus, 16.06.2024)
Oper in einem Prolog und fünf Bildern von Ondřej Adámek
Libretto von Katharina Schmitt
Musikalische Leitung: Ondřej Adámek
Regie: Katharina Schmitt
Bühne und Kostüme: Patricia Talacko
Licht: Nicol Hungsberg
Video: Rebecca Riedel
Dramaturgie: Svenja Gottsmann
Mit: Hagen Matzeit (O/Orpheus), Kathrin Zukowski (E/Eurydike), Olga Siemieńczuk, Tara Khozein, Alina König Rannenberg (Doppelgängerinnen von E/Girls of Hiroshima), David Howes, George Ziwziwadze, Lasha Ziwziwadze (Männer im Schutzanzug), KS Dalia Schaechter (Ärztin), Meiyan Han (Krankenschwester) und Boris Djuric (Eine Stimme) sowie Eva Budde, Tina Drole, Alicia Grünwald, Tinka Pypker, Artjom Korotkov, Anthony Sandle, Emanuel Tomljenović und Michael Terada (Sprecherinnen und Sprecher)
Statisterie der Oper Köln
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
UA an der Oper Köln: 16. Juni 2024
Weitere Termine: 22., 26., 28., 30.06./ 03.07.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper.koeln
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