Das Monster
in uns
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Layla Claire und Randall Scotting in Venere e Adone an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Brinkhoff/Mögenburg
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Bewertung:
Salvatore Sciarrino (76) dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach der in Deutschland meistgespielte zeitgenössische Komponist Italiens sein. Allein die Staatsoper Unter den Linden verzeichnete während der Intendanz von Jürgen Flimm mindestens fünf abendfüllende Musiktheaterwerke, die dort zu Ur- bzw. deutschen Erstaufführungen gelangten; so gesehen war der im Februar dieses Jahres im Alter von 82 Jahren verstorbene Grandseigneur des bundesrepublikanischen Theaters ein echter Sciarrino-Fan - wie übrigens auch alle diejenigen Theaterbesucher, die diese nicht unerhebliche Berliner Aufführungsserie zu seiner Zeit freiwillig und natürlich live dort miterlebten; und auch ich erinnere mich daher gern an meine eigenen Besuche beispielsweise von Infinito Nero (2010), Vanitas (2013), Lohengrin und Macbeth (2014) oder Ti vedo, ti sento, mi perdo (2018).
Gestern war es wieder soweit - zwar nicht in Berlin, doch immerhin: Die Hamburgische Staatsoper hob Sciarinnos neuestes Opus Venere e Adone aus der Taufe, und kein Geringerer als Kent Nagano, einer der weltweiten Spezialisten auch und vor allem für das Neue, dirigierte; ein Gesamtereignis also:
"Klänge aus der Stille. Sie kommen näher, bewegen sich und lösen sich in Dunkelheit auf. Ihre Natur ist das Sein und Nicht-Sein, das Entstehen und Vergehen – gleich aller Lebewesen in der ewigen Illusion von Leben und Tod. Es sind Klänge, wie sie die Menschen umgeben, eine naturnahe Musik. Sie erzählen von mythischen Gestalten: Venus und Mars, die einst Amor zeugten. Amor, der nun den betrogenen Vater rächen soll. Dem schönen Adonis, dem seine Liebe zu Venus zum Verhängnis wird. Und über allem: das Ungeheuer, das keine Zuneigung kennt, keine Liebe, keinen Hass, sich selbst am allerwenigsten. Es wartet, unbekannt und todbringend, malträtiert von den Stimmen der Welt. Eine uralte Geschichte windet sich durch das Dickicht mythologischer Verflechtungen und findet neue Pfade. Wer wird triumphieren, Liebe oder Tod?" (Quelle: staatsoper-hamburg.de)
Der dürre Plot der Stückvorlage (Text von Fabio Casadei und Sciarrino selbst) - Adonis entflieht der drückenden Liebesumarmung der ihn fast mütterlich beherrschenden Venus und gibt vor, dass "es" an seinem Jagdtrieb liegen würde; justament gerät er zwischen die Eckzähne eines wilden Ebers, was natürlich einer bösen göttlichen Vorsehung entsprach - wird umgehend zum Steilpass dessen, was man herkömmlich auch als Philosophie bezeichnen könnte à la "was ist besser", zu viel Hitze oder zu viel Regen? oder "was war eigentlich zuerst", das Ei oder die Henne??
Ja und zwischen allen diesen schönen komplizierten oder weniger will sagen "unkomplizierten" Fragen nach dem immer wiederkehrenden Sinn des Lebens spielt sich groß und mächtig und (das ist das klanglich zwingend Tolle dieser neuesten Sciarrinomusik:) grandios wie wunderschön das große, große Ungeheuer in uns/ vor uns auf; und der nicht minder grandios wie wunderschön singende und auch aussehende Evan Hughes (!) singt und spielt es; am Anfang elektronisch assistiert, am Ende pur und rein.
Sciarrino hatte schließlich die Idee, jene von liebestödlicher Sehnsucht gepiesackte Seele des einen (Adonis) zum andern (Monster = Ungeheuer) wandern zu lassen, also wird Adonis zum Monster, und das Monster zum Adonis; und das austarierte Gleichgewicht zwischen den beiden - Gut & Böse - stimmte/ stimmt letztendlich wieder zuversichtlich.
Mit nicht viel mehr als 70 Minuten Dauer erlebt sich dieser inkl. Prolog/ Epilog achtszenig veranschlagte "Schiffbruch eines Mythos" (so der Untertitel von Sciarrinos Oper Venere e Adone) als recht kurzweilig und für die Ohren über alle Maßen angenehm. In der akustischen Verhaftung bleiben beispielsweise sehr geradlinig gesungene und ausgehalt'ne Anfangstöne, die die Sängerinnen oder Sänger mit recht rasch sie anschließenden und beinahe hektisch anmutenden Textfortläufen kulminieren ließen - und ich war während der Heimreise von Hamburg nach Berlin versucht das eine oder andere (gedanklich) nachzusingen, ergo tat ich mich an die Musik konkret erinnern, was an sich kein schlechtes Zeichen dafür ist, dass Neue oder neuere Musik mitunter auch bei Laien hin und wieder hängen bleiben kann.
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Zum musikalischen Erfolg der schönen Produktion trugen vor allem (und an dieser Stelle besonders hervorgehoben:) der phänomenale Countertenor Randall Scotting (als Adonis) wie auch die mit ihren artistischen Höhen beeindruckende Layla Claire (als Venus) bei; aber auch alle anderen [Namen s.u.] beeindruckten aufs Stärkste.
Intendant Georges Delnon, der bis dahin nicht gerade als Regie-Leuchte bekannt oder berüchtigt war, tat höchstpersönlich und höchst rätselhaft das alles inszenieren - und das schlichte Bühnenbild Varvara Timofeevas sowie die stylischen Kostüme der Designerin Marie-Thérèse Jossen trugen auch nicht dazu bei, den mythologisch überfrachteten Gehalt des Werks zu dechiffrieren; doch das machte ungeachtet dessen reinweg nichts, wenigstens sah es schön und also schön-geheimnisvoll im Ganzen aus.
Herzlicher Schlussapplaus, der Komponist nahm ihn gerührt entgegen.
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Evan Hughes als Monster in Salvatore Sciarrinos Venere e Adone an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) (C) Brinkhoff/Mögenburg
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Andre Sokolowski - 29. Mai 2023 ID 14221
VENERE A ADONE (Hamburgische Staatsoper, 28.05.2023)
von Salvatore Sciarrino
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: Georges Delnon
Bühnenbild: Varvara Timofeeva
Kostüme: Marie-Thérèse Jossen
Licht: Carsten Sander
Dramaturgie: Klaus-Peter Kehr
Besetzung:
Venere ... Layla Claire
Adone ... Randall Scotting
Marte ... Matthias Klink
Vulcano ... Cody Quattlebaum
Amore ... Kady Evanyshyn
Il Mostro ... Evan Hughes
La Fama (Sopran) ... Vera Talerko
La Fama (Bariton) ... Nicholas Mogg
Vokalensemble Venere e Adone:
Olivia Boen, Lini Gong, Rebecca Hardwick, Rosamund Thomas, Fabian Düberg, Samuel Levine, Michael Burke und Viktor Rydén
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
UA war am 28. Mai 2023.
Weitere Termine: 31.05./ 03., 06., 08.06./ 29.09./ 01., 03.10.2023
Ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-hamburg.de
https://www.andre-sokolowski.de
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