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Repertoire

Ethel

Smyths

Standrecht



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Stürmisches Meer, fanatisch ausgedeutete christliche Moral, tragische Liebe und grausamer Tod – ein britisches Sujet aus dem Cornwall des 17. Jahrhunderts und eine eher am damaligen deutschen Geschmack ausgerichtete hochdramatische Musik – das alles bietet die Oper Strandrecht/ The Wreckers der englischen Opernkomponistin Ethel Smyth (1858–1944), die in Leipzig studiert hatte. Dort fand auch die Uraufführung am 11. November 1906 am Neuen Theater statt.

Am vergangenen Sonntag erhielt das Publikum zum vorläufig letzten Mal die Chance, die Oper am MECKLENBURGISCHEN STAATSTHEATER SCHWERIN zu sehen. Sechs Mal wurde die Produktion gespielt und mit einem Wochenende voller „Begegnungen mit Ethel Smyth“ vorbereitet und mit einer Theaterpredigt von Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland, flankiert, die es zum Nachlesen auf der Website des Theaters gibt.

Damit war das Theater in Schwerin - neben dem Staatstheater Meiningen und dem Badischen Staatstheater Karlsruhe - das dritte Haus in dieser Saison, das Smyths Oper ins Programm aufnahm. Das Badische Staatstheater kündigt bereits eine Wiederaufnahme in 2026 an, und auch in Schwerin wird darüber nachgedacht. Bereits in der Saison 2006/07 erlebte die Oper unter dem Namen Strandräuber am Stadttheater Gießen (100 Jahre nach der Leipziger Uraufführung) seine erste Wiederaufnahme in Deutschland. Das Interesse an der Oper in dieser Saison bedingt sich durch die Produktion in der originalen französischen Fassung Les Naufrageurs beim Glyndebourne Festival 2022 und der anschließenden halbszenischen Aufführung durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin. Denn wie sooft bei Komponistinnen ist die Quellenlage kompliziert und die Noten sind schwer zugänglich. Allein sechs verschiedene Fassungen auf drei Sprachen, französisch, deutsch und englisch, erstellte die Komponistin in Zusammenarbeit mit zwei Verlagen und sechs Opernhäusern zu Lebzeiten. In Schwerin orientierte man sich an der in Glyndebourne erstellten Ausgabe, wählte aber nicht die französische Originalsprache, sondern eine deutsche angepasste Fassung.

*

Inszeniert wurde die Oper von Regisseurin Daniela Kerck zeitlos, bildgewaltig und sehr nah am Original. Neben dem moralisch integeren, heimlichen Liebespaar Mark (Marius Pallesen) und Thurza (Karis Tucker), die sich gemeinsam gegen die Konvention der Dorfgemeinschaft in Cornwall stellen, bewusst Schiffbrüche herbeizuführen, gibt es die intrigante Avis (Karen Leiber), die ihre Jugendliebe Mark zurück erobern will, und den alternden Dorfprediger Pasko (Brian Davis), Thurzas Ehemann, der die Dorfgemeinschaft zu ihren Taten anstiftet und diese fanatisch religiös rechtfertigt. Sehr deutlich inszenatorisch hervorgehoben werden außerdem die zwei weiteren indirekten Hauptakteure, nämlich das Meer und die Dorfgemeinschaft (Chor des Mecklenburgischen Staatstheaters). Das wogende Meer wird fast durchgängig in der Ästhetik alter Schwarz-Weiß-Filme auf die hintere Bühnenwand oder bei den Orchesterstücken auf dem vorderen Gaze-Vorhang, dann mit kenternden Schiffen im Bild, projiziert (Video: Astrid Steiner). Der Chor bleibt sowohl im ersten wie im dritten Akt permanent auf der Bühne, und zwar mit dem Rücken zum Publikum sitzend im Kirchenraum und als Gerichtsversammlung in der Höhle. Die Dramen um die gegensätzlichen religiösen moralischen Vorstellungen und die tragischen Liebesgeschichten spielen sich damit stets vor den beiden auslösenden Faktoren ab, der Dorfgemeinschaft, die vom Strandgut lebt, und dem unberechenbaren Meer, das Leben gibt und nimmt.

Das maritime Flair wird durch Fischernetze, Taue und Holztruhen ebenso unterstrichen (Bühne: Hannah König) wie durch die dunkelblauen und schwarzen Kostüme (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer) – ein Zeichen für die eingeschworene, in Armut lebende und deshalb plündernde und mordende Gemeinschaft. Erst als sich Thirza zu ihrer eigentlichen Überzeugung und Leidenschaft öffentlich bekennt, zum Leuchtfeuer als Warnung für die Schiffe und zu ihrer Liebe zu Mark, und bereit ist dafür in den Tod zu gehen, legt sie die blaue Jacke ab und ihr rotes Kleid kommt als Zeichen der Emanzipation zum Vorschein.

In einem Punkt jedoch weicht Kerck von der Vorlage ab. Während Smyth, wie auch bei ihrer vierten Oper The Boatswain’s Mate, einen offenen Schluss wählt, löst Kerck ihn auf. Nachdem Mark und Thurza sich zum Verrat an der Dorfgemeinschaft durch das Anzünden von Signalfeuern und zu ihrer Liebe, und damit Thurza zum Ehebruch, bekannt haben, werden sie von der Dorfgemeinschaft gefesselt und in der bald vom Meer überfluteten Höhle zurückgelassen. Doch Kerck löst diese Situation der Totgeweihten auf, indem der Junge Jack den beiden die Fesseln löst, Jack, der in Avis verliebt ist, von ihr aber ebenfalls nur für ihre eigentlichen Zwecke benutzt worden war. So siegt in dieser Inszenierung die heutige Moralvorstellung. Smyth hingegen wollte Interpretationsspielraum lassen, die Situation nicht auflösen, weder durch Rettung noch durch den tatsächlichen Tod. Denn ist die moralische Frage wirklich so eindeutig zu beantworten, wenn die Kinder des Dorfes Hunger leiden, weil das Fischen nicht genug Ertrag bringt? Sollten wir nicht alle gerade in der heutigen Zeit, in der moralische Grundsätze unserer Gesellschaft in Frage gestellt werde, versuchen, mehr miteinander zu sprechen, offener zu sein für neue Lösungsansätze, aufeinander zuzugehen und aufhören, in schwarz und weiß zu denken, eben anders als sowohl das Liebespaar wie auch die Dorfgemeinschaft in Strandrecht? Jack zeigt Empathie und wählt in dieser Inszenierung seinen Weg der Rebellion, aber heimlich. Die inneren Konflikte von Avis und Pasko sind durchaus deutlich spürbar, der Schmerz, das Zögern, die Hilflosigkeit – nur Thurza und Mark bleiben moralisch integer, geradlinig und standhaft und gerade dadurch vielleicht zu wenig empathisch? Der Opernstoff um die Frage nach der christlichen Moral ist auf jeden Fall heute aktueller denn je und die Antworten darauf sind nicht immer einfach.

Das unbedingt noch zu erwähnende Highlight ist natürlich die herausragende, spätromantisch großangelegte Musik, die insbesondere in der Ouvertüre und im Zwischenspiel hervorsticht. Smyth findet in ihrer dritten Oper zu ihrem eigenen Stil, der hier durch die klangfarbenreiche Orchestrierung, die lautmalerischen Elemente und den teils ironischen und subversiven Subtext der Musik voll und ganz hervortritt. Sowohl die Ouvertüre als auch das Zwischenspiel On the Cliffs of Cornwall fanden bereits zu Smyths Lebzeiten Eingang ins Orchesterrepertoire, unter anderem beim London Symphony Orchestra und dem Queen’s Hall Orchestra, und gehören genauso wie die fast dreistündige Oper selbst unbedingt ins Repertoire. Die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin unter GMD Mark Rohde meistert die kraftvolle, leidenschaftliche Musik souverän. Der von Aki Schmitt einstudierte Chor singt ebenfalls mit großer Intensität und voller Stimmgewalt und wird seiner umfangreichen Partie absolut gerecht.

Man kann nur hoffen, dass es nicht nur in Karlsruhe, sondern auch in Schwerin zu einer Wiederaufnahme kommt.



Standrecht von Ethel Smyth am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin | Foto (C) Irmin Kerck

Marleen Hoffmann – 10. April 2025
ID 15223
STANDRECHT (Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, 06.04.2025)
Oper in drei Akten von Ethel Smyth

Musikalische Leitung: Mark Rohde
Regie: Daniela Kerck
Bühne: Hannah König
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer
Video: Astrid Steiner
Chor: Aki Schmitt
Dramaturgie: Thomas Schmidt-Ehrenberg und Saskia Kruse
Besetzung:
Mark … Marius Pallesen
Thurza … Karis Tucker
Avis … Karen Leiber
Pasko … Brian Davis
Jack … Martha-Luise Urbanek
Lorenz … Martin Gerke
Tallan … Sebastian Köppl
Harvey … Joa Helgesson
Ein Mann … Jaewon Kim
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Mecklenburgische Staatskapelle
Premiere war am 7. Februar 2025.

Weitere Infos siehe auch: https://www.mecklenburgisches-staatstheater.de


Post an Dr. Marleen Hoffmann

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