Sechs Jahre
vor der
Dreigroschenoper
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Kurt Weills Zaubernacht mit dem ARTE ENSEMBLE Hannover | Foto (C) Peter Pöschl
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Bewertung:
Im ebenso schönen wie intimen Wilhelma Theater, in dem die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart der Öffentlichkeit routinemäßig die Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellt, am Rande des gleichnamigen Zoos, fand ein ungewöhnliches Gastspiel statt. Gezeigt wurde das erste Bühnenwerk von Kurt Weill, der im deutschsprachigen Raum vor allem für die zusammen mit Bertolt Brecht kreierte Dreigroschenoper bekannt ist. In den USA kennt man ihn als Komponisten von Musicals, aus denen einige bis heute populäre Standards wie beispielsweise der September Song stammen. Zaubernacht wurde 1922 geschrieben. Da war Kurt Weill gerade 22 Jahre alt. Sie figuriert als „Kinderpantomime in einem Akt“.
Die Musik zu diesem einstündigen Spektakel hat noch nicht den typischen Weill-Sound. Aber sie klingt keineswegs wie die Fingerübung eines Anfängers. Man kann verstehen, was Brecht an Weill interessiert hat. Schon die Zaubernacht verdient die Kennzeichnung als „gestische Musik“. Virtuos wechselt sie Tempi, Rhythmen und Stimmungen, Zitate aus Barock und Klassik und aus der Tanzmusik. Zudem erweist sich der junge Weill als ein Meister der Instrumentierung. Diese Komposition kann auch für sich, im Konzertsaal bestehen.
Auf die Bühne gebracht hat das vergessene Werk, das lange als verschollen galt, jetzt, nach einem ersten Versuch vor 12 Jahren, Nina Kurzeja. Sie ist seit langer Zeit ein Festposten der Stuttgarter Tanzszene, insbesondere auch als Theaterpädagogin. Die Position im Schatten zweier weltberühmter Compagnien – des Staatsballetts und von Gauthier Dance – ist Segen und Hürde zugleich. Einerseits profitiert Kurzeja vom Interesse der Bevölkerung, die durch das quantitative und qualitative Angebot mehr als anderswo für Tanztheater empfänglich ist. Andererseits sind die Ansprüche gesteigert, wo die Latte so hoch gehängt wird wie eben hier.
Zaubernacht ist ein Zwischending zwischen Pantomime und Tanz. Es ist den Darbietungen verwandt, mit denen Cilli Wang (wer kennt sie noch?) ein paar Jahre später auftrat. Die Handlung ist schlicht und nicht sonderlich originell. Man mag an das Ballett schlechthin, an Tschaikowskis Nussknacker denken. Einem Mädchen und einem Jungen erscheint im Schlaf das zum Leben erweckte Spielzeug ihrer Umgebung: ein Hampelmann, ein Pferd, eine marionettenhafte Puppe in Rosa, ein Bär, ein chinesischer Arzt, ein Stehaufmännchen auf Rollschuhen, eine Fee und ein Flieger – der romantische Held der zwanziger Jahre.
Sie alle wären allerdings nichts, wäre da nicht das formidable zehnköpfige ARTE ENSEMBLE aus Hannover, das aus dem Graben, ohne Dirigenten, die Musik treffsicher und perfekt beisteuert. Ihm gebührt nicht weniger Applaus als den Bühnenfiguren. Man möchte dieser Produktion viele Aufführungen, zumal vor Kindern, wünschen. Es muss ja nicht unbedingt im Wilhelma Theater sein. Obwohl: ein wenig schade wäre das schon. Ein schöneres Ambiente wird nicht leicht zu finden sein.
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Zaubernacht von Kurt Weill mit dem ARTE ENSEMBLE Hannover | Foto (C) Peter Pöschl
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Thomas Rothschild - 12. März 2022 ID 13512
ZAUBERNACHT (Wilhelma Theater Stuttgart, 11.03.2022)
Choreografie/Regie: Nina Kurzeja
Bühnenbild: Bernhard M. Eusterschulte
Kostüme: Marie Freihofer
Mit: ARTE ENSEMBLE Hannover
Premiere war am 11. März 2022.
Weitere Termine: 12., 13.03.2022
Eine Produktion der BLOMST! gUG
Weitere Infos siehe auch: https://www.wilhelma-theater.de/
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