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Konzertkritik

Kurtágs irre klingenden

Glissandi und anderes mehr

Die amerikanisch-ungarische Pianistin Julia Hamos verblüfft bei ihrem Solo-Debüt im Berliner Pierre Boulez Saal

Bewertung:    



Im vergangenen Jahr saß Julia Hamos schon einmal am Steinway-Flügel des Berliner Pierre Boulez Saals, wo sie als Solistin des Klavierkonzerts von György Ligeti (mit dem Boulez Ensemble unter Leitung von Matthias Pintscher) mitwirkte.

Gestern kam es zu ihrem längst überfälligen Solo-Debüt im selben Raum.

Mit ihren 34 Jahren ist sie längst zur internationalen Pianistinnen- und Pianistenelite aufgestiegen – ihre musikalische Ausbildung vervollkommnete sie außer in London und New York auch an der Barenboim-Said Akademie (“anseitig” des Boulezsaals) bei keinem Geringeren als András Schiff, den sie im Übrigen bis heute zu ihren größten Förderern zählt.

Sie ist von natürlicher, uneitler Art und so dem Publikum mehr oder weniger kalküllos zugeneigt – auch wenn sie sich nach ihrem kräftezehrenden Programm mit Werken von Mozart, Kurtág, Janáček und Schumann einer von ihren sie geradezu umarmt habenden Hörerinnen und Hörern insgeheim erbetnen Zugabe freundlich aber bestimmt verweigert. Sie klappt einfach den Klavierdeckel ganz sachte zu und lächelt hierzu in den Raum hinein, scheint jeden einzelnen dort “um Verständnis bittend” anzuschauen; und das hat schon was Entwaffnendes.

Tatsächlich ist ihr anderthalbstündiges Programm überaus anspruchsvoll; sie spielt es auswändig, und es ist seh- und spürbar, dass sie zu dem allem, was sie da für uns in petto hat, etwas zu sagen hat – beim Mozart ist es die fürs damalige Wunderkind erstaunlich frei also privat und überraschend schwer gewählte Melancholie seiner a-moll-Sonate KV 310 [“Mozart habe das Stück nur für sich geschrieben, als Selbstbekenntnis in einer verzweifelten Lebenssituation. Tatsächlich fallen in die gleiche Zeit die Zurückweisung durch seine große Liebe Aloysia Weber und der Tod der Mutter”, vermerkt Jürgen Ostmann im digitalen Programmheft], die sie während ihres Spiels im Hinterkopf zu haben scheint; bei Schumanns großer C-Dur-Fantasie hingegen setzt sie durchgehend auf Tempo, entsentimentalisiert sie fast.

Die Highlights sind dann allerdings ihre zwei Blöcke mit Kompositionen ihres mittlerweile 99-jährigen ungarischen Landsmanns György Kurtág. Charakteristisch für dessen Werke wäre [lt. Jürgen Ostmann]...



“...zum einen ihre aphoristische Kürze, zum anderen die außerordentliche Vielfalt der musikalischen Mittel. Oft hat die spezielle Klangqualität eines Stückes mit Widmungsträger:innen zu tun, deren Stil Kurtág aufgreift oder deren Persönlichkeit er in Tönen darstellt. ‘Hommage à…’ oder ‘In memoriam…’ sind denn auch häufige anzutreffende Werktitel in seinem Œuvre; darin finden sich Hommagen an zahlreiche Komponisten der Vergangenheit, aber auch an Freunde, Kolleginnen, künstlerische Partnerinnen - darunter auch seine Frau Martá, mit der er oft und gern gemeinsam auftrat. Typisch für Kurtág erscheint außerdem, dass er viele Stücke in offenen Werkreihen zusammenstellte, die unabgeschlossen weiterwuchsen und in beliebiger Auswahl aufgeführt werden können. Zu diesen zählen auch das 1973 begonnene Játékok (‘Spiele’) für Klavier zu zwei oder vier Händen. Die Reihe umfasst mittlerweile mehrere hundert Miniaturen.”


Sechs solche Miniaturen [s.o.] plus Kurtágs 1960er Acht Klavierstücke op. 3 präsentiert sie nach und nach, und jedes dieser Kleinods klingt dann völlig anders als das jeweils andere – am auffälligsten das 1979er “Perpetuum mobile (Objet trouvé)”, das aus einer Aufeinanderfolge atemberaubender Glissandi besteht und von Hamos mit “fingerlosen” Opernhandschuhen, die sie sich vor-/ nachher bis zu ihren Ellenbögen über- und wieder abstreift, serviert wird. Derart behandschuht bringt sie ebenso das abschließende “Vivo” aus Opus 3 zum Klingen, wobei sie sich stellenweise mit aller Wucht ihrer beiden Unterame auf die Klaviatur legt; toller Anblick!

Auch mit den vier Stücken aus Janáčeks V mlhách (dt.: Im Nebel) konnte Hamos etwas anfangen und uns, ihre geneigte Hörerschaft, vollumfänglich interessieren und – mit ihrer virtuosen Spielfreude – begeistern.

Spektakulärer Klavierabend.




Die amerikanisch-ungarische Pianistin Julia Hamos | Foto: Thomas Müller; Bildquelle: juliahamos.com

Andre Sokolowski – 12. März 2025
ID 15183
SOLODEBÜT JULIA HAMOS (Pierre Boulez Saal, 11.03.2025)
Wolfgang Amadeus Mozart: Klaviersonate a-moll KV 310 (300d)
György Kurtág: Játékok für Klavier
- Hommage à Kurtág Márta (1979)
- Felhangjáték (Spiel mit Obertönen) 4 (1979)
- Capriccioso – luminoso (1986)
- Perpetuum mobile (Objet trouvé) (1979)
- Tears (1998)
- Doina (1992)

Leoš Janáček: V mlhách (dt.: Im Nebel) für Klavier
Kurtág : Acht Klavierstücke op. 3
Robert Schumann: Fantasie C-Dur op. 17
Julia Hamos, Klavier

Weitere Infos siehe auch: https://www.juliahamos.com


https://www.andre-sokolowski.de

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