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Konzertkritik

Punta vs.

Polly

"How to decolonize the BEGGAR´S OPERA?"


Bewertung:    



Die lautten compagney BERLIN, eines der renommiertesten Instrumentalensembles für historische Aufführungspraxis, feiert ihr 40-jähriges Bestehen, und ihr Terminkalender ist daher in diesem Jahr praller als sonst gefüllt. Bis Jahresende sind allein (Stand heute: 14. September) 59 Auftritte angezeigt, darunter 20 mal Der Teufel im Lift (in der Neuköllner Oper) oder 7 mal Monteverdis L'Orfeo (im schweizerischen Winterthur). Sie spielt in unterschiedlichen Formationen und kann daher mit ebensoviel unterschiedlichen Programmen "gleichzeitig" aufwarten.

Seit vorigem Jahr bestreitet sie - in Kooperation mit dem Humboldt Forum - die Projektreihe MUSICAL BELONGINGS, bei der sie sich gemeinsam mit Musikerinnen und Musikern aus verschiedenen Kulturkreisen dieser Welt auf die Suche nach einer "transkulturellen Praxis" begibt. So konfrontierte sie sich in den drei zurückliegenden Programmen mit indischer Raga Musik (17. Juni 2023), mit indigener Musik aus Lateinamerika (11. November 2023) und mit chinesischer Musik und Poesie (14. April d.J.). Sie tritt regelmäßig auch außereuropäisch international auf. Als nächstes produziert sie beispielsweise MUSICAL BELONGINGS - Special Mongolei am 27. und 28. September in Ulan Bator, Mongolei.

Gestern gab's das mittlerweile vierte Programm dieser ethno-musikalischen Weltreise, es stand unter der Überschrift Punta gegen Polly – Wie man die Beggar's Opera dekolonisiert und betraf diesmal Karibische Punta-Musik.



"Der Punta ist der bekannteste traditionelle Tanz der Garifuna, ein Kreistanz mit binärem Rhythmus, der große Ähnlichkeit mit dem westafrikanischen Mande-Tanz aufweist. 1978 hat Pen Cayetano den Punta Rock erfunden, das historische Erbe mit seiner Turtle Shell Band neu interpretiert und damit die Musikgeschichte entscheidend beeinflusst. Seine Lieder bringen die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme und Interessen der Garífuna zum Ausdruck."

(Quelle: lautten compagney BERLIN)



Desiree Diego, Pen Cayetano, Denmark Flores und Kenrick Lewis (v.l.n.r.) bei Punta gegen Polly (MUSICAL BELONGINGS IV) im Berliner Humboldt Forum | (C) Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss/ Frank Sperling


Pen Cayetano und die drei Musikerinnen und Musiker aus Belize (die Sängerin Desiree Diego sowie die beiden Percussionisten und Sänger Kenrick Lewis und Denmark Flores vom Garifuna Collective) begreifen sich als Botschafter der Kultur der Garífuna, deren Vorfahren aus Westafrika und aus der Karibik stammen, vor allem von der Insel St. Vincent.


"Zur besonderen Geschichte der sogenannten 'Black Caribs' gehört, dass sie sich der Sklaverei erfolgreich widersetzt haben und ihre Traditionen auch in der Diaspora seit über 300 Jahren pflegen. Heute wohnen die etwa 600.000 Garífuna people vor allem auf Saint Vincent, in Belize, Honduras, Guatemala, Nicaragua und in den USA." (Quelle: dto.)


Als abendländischen Gegenpol zur Musik der Garifuna bestimmte die lautten compagney die sog. Ballad Opera Polly von Johann Christoph Pepusch und John Gay, welche 1729 als Fortsetzung von The Beggar’s Opera, die in einer imaginierten Karibik spielt, entstand und aus Zensurgründen erst 1777 uraufgeführt wurde. Eine mehr als interessante Konstellation also!



lautten compagney BERLIN bei Punta gegen Polly (MUSICAL BELONGINGS IV) im Berliner Humboldt Forum | (C) Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss/ Frank Sperling


Die dramaturgische Anordnung dieser "Durchmischung" (s.o.) besorgte Christian Filips (auch Regie). D.h. dass mittels eines roten Fadens - indem der Countertenor Georg Bochow als Polly-Librettist John Gay (1685-1732) quasi sein eigenes Stück zu conferencieren versuchte - sämtliche geistigen wie musikalischen Fallhöhen und -tiefen des suspekten Machwerks markiert und konterkariert wurden; insbesondere auf den kolonialistischen Inhalt wurde diesbezüglich abgehoben, und das war so derart spitz und teils saukomisch, dass sogar die karibischen Mitmusizierenden, die die frechen Dialoge zwischen den insgesamt 33 Musik-Nummern staunend mitverfolgten, vom verwundernden Vergnügen ins laute Lachen gerieten.

Es ging dann schonmal damit los, dass Wolfgang Katschner die Ouvertüre zur Dreigroschenoper von Brecht/Weill - und selbige fußt ja schließlich, was die wenigsten wissen, auf der Beggar's Opera von Johann Christoph Pepusch (1667-1752) - mit dem historischen bzw. historisch nachempfundenen Instrumentarium seiner Formation musizieren ließ; das klang erstaunlich gut.

Auch (apropos Dreigroschenoper) verblüffte es total, wie Counter Bochow, zwischen Brust- und Kopfstimme alternierend, die Ballade der Seeräuber-Jenny zu performen vermochte; hochgenial!

Und immer wieder jede Menge Punta Rock sowie Musik der Garifuna (mit Percussions in Gestalt von zusammengebundenen Schildkrötenpanzern, zwei unterschiedlich großen Garifuna-Trommeln und einem Paar Maracas-Rasseln), Cayetano sang und spielte E-Gitarre - und musikalisch assistierten gelegentlich Leute von der lautten compagney auf ihren eigenen Instrumenten.

Sopranistin Aminata Toscana (erst 20!) spielte und sang sehr anrührend und witzig obendrein die Polly. Tenor Christoph Pfaller elektrisierte als Karibe Cawwakee; zudem rückte er sich, sogar "weit aus der Ferne" also rein vom Schauspielernden her, gewaltig in den Vordergrund; er verfügt über eine Art und Weise sich in Szene zu setzen, die dann schon eine gewisse Rampensauhaftigkeit bei ihm stark vermuten lässt, allein mit ihr (und seiner durchschlagenden Stimme sowieso) wird er in Zukunft noch Furore machen; bin ich mir ganz sicher. Und beim jugendlichen Bariton Raphael Riebesells (als Macheath) fiel mir dessen schöner und sehr angenehmer Schmelz beim Hören auf.

Die Videoprojektionen im Hintergrund (Adrian Terzic) zeigten Gemälde von Pen Cayatano, Textilkunst von Ingrid Cayetano sowie satirische Grafiken aus dem 18. Jahrhundert.

Das emotionale Erreichtwordensein war geradezu total, der musikalische Funke - sowohl aus der einen wie aus der anderen Richtung der sich gegenseitig beglückt habenden enharmonischen Verwechslung - sprang direkt über.

Hat Spaß gemacht dabei gewesen zu sein.

Mehr hiervon!!




Nach getaner Arbeit: Raphael Riebesell, Desiree Diego, Georg Bochow, Pen Cayetano, Kenrick Lewis, Christoph Pfaller, Denmark Flores und Aminata Toscano (v.l.n.r.) beim Schlussapplaus zu Punta gegen Polly (MUSICAL BELONGINGS IV) im Berliner Humboldt Forum | Foto: KE


Andre Sokolowski - 14. September 2024
ID 14914
MUSICAL BELONGINGS IV (Humboldt Forum, 13.09.2024)
Punta gegen Polly – Wie man die Beggar´s Opera dekolonisiert
lautten compagney BERLIN trifft Karibische Punta-Musik


Musik der Garifuna
Musik aus Die Dreigroschenoper von Brecht/Weill (Arrangements: Bo Wiget)
Musik aus der Ballad Opera Polly (1729) von Johann Christoph Pepusch & John Gay

Pen Cayetano, Gitarren & Gesang
Mitglieder des Garifuna Collective:
- Desiree Diego, Percussion & Gesang
- Kenrick Lewis, Turtle Shells & Gesang
- Denmark Flores, Garifuna Drums
Capella Angelica:
- Aminata Toscano, Sopran
- Christoph Pfaller, Tenor
- Georg Bochow, Altist
- Raphael Riebesell, Bariton
lautten compagney BERLIN
Leitung: Wolfgang Katschner

Regie & Dramaturgie: Christian Filips

Premiere war am 13. September 2024.
Weitere Termine: 14. + 15.09.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.lauttencompagney.de


https://www.andre-sokolowski.de

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