Clash of
Cultures
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Bewertung:
Wer wollte ein Spielverderber sein bei einer Veranstaltung, deren Erlös zwei Unternehmungen mit gutem Zweck zufließt? Die Absicht ist löblich, aber eine Kritik, die sich davon bestimmen lässt, ist keine. Wo die Einkünfte nicht aus Spenden stammen, sondern aus einer künstlerischen Darbietung, muss diese nach ihren Maßstäben bewertet werden. Ohnedies kann man den Eindruck gewinnen, dass sich die Kritik im tradierten Verständnis – es muss ja nicht gleich ein Verriss sein, obwohl auch der gelegentlich seine Berechtigung hat – zunehmend abschafft zugunsten von Gefälligkeitsrezensionen, die mehr mit PR zu tun haben als mit Analyse. Das ist, im Sinne der Aufklärung und Transparenz, bedauerlich genug, aber schlimmer noch ist die Tatsache, dass eine nachwachsende Journalistengeneration dabei keine Bedenken hat. Sie hält alles für förderungswert, was Geld einbringt, und scheut den Konflikt. Sie will sich mit allem und jedem gut stellen, und da ist es opportun, zu loben und zu schmeicheln statt zu „nörgeln“. Es ist verständlich, wenn sich die Kritisierten über Tadel ärgern und Lob stets für begründet halten, aber das darf für den Kritiker keine Rolle spielen. Er kann dem Augenkontakt ja entgehen, wenn er ihn nicht aushält, indem er Premierenfeiern meidet und darauf verzichtet, mit Künstlern fotografiert zu werden. Es gibt auch keine Verpflichtung, außer gegenüber der eigenen Eitelkeit, Sätze zu formulieren, die die Verlage und Theater auf ihren Waschzetteln und Homepages zitieren können. Es gilt, was Willi Winkler vor zwei Jahren in einer Erinnerung an den genialen Christian Schultz-Gerstein (wer kennt ihn noch?) geschrieben hat:
„Werkstattbesuche und freundschaftliche Interviews sind einfach näher am Menschen als die Rezension, eine strenge womöglich. Dass dafür mittelmäßige Saisonsensationen gefeiert werden, steht auf einem anderen Blatt.“
In Winklers Artikel kann man übrigens die Vorgeschichte zum heutigen Zustand nachlesen:
„Der Kritiker Hellmuth Karasek wusste bei Gelegenheit beredt Klage darüber zu führen, dass Deutschlands schlechtester Kritiker – er meinte Marcel Reich-Ranicki –, auch der bekannteste sei. Das war, als sie beide im Literarischen Quartett darum wetteiferten, wer schneller den Daumen über ein Buch heben oder senken konnte. Ob das noch Literaturkritik oder schon auf dem besten Weg zu Twitter war, muss die Forschung entscheiden, es herrschte jedenfalls ein prima Klima im Literaturbetrieb damals.“
Nun ist Kritik auch stets eine Geschmackssache, ein Ergebnis von Neigungen und Voreinstellungen. Manche Redaktionen vergeben habituell Bücher an Mitarbeiter zur Rezension, von denen sie wissen, dass sie die Autorin, den Autor mögen. Das Resultat ist voraussehbar. Es fiele anders aus, wenn man jemanden beauftragte, der Einwände oder einfach keine vorgefasste Meinung zum Autor hat. Was spricht dagegen, außer dem Verkaufsinteresse der Verlage?
In diesem Sinne bekenne ich, dass ich nicht zu den besonderen Liebhabern von Hip-Hop gehöre. Gentle Giant oder Rip, Rig and Panic entsprechen immer noch eher meiner musikalischen Lüsternheit. Aber ich muss auch zugeben, dass ich mich in meiner Einschätzung von Hip-Hop geirrt habe. Als er aufkam, war ich der festen Überzeugung, dass er sich nach wenigen Jahren erledigen, an seine Grenzen gelangen werde. Das ist nicht der Fall. Er hat schon jetzt einen längeren Atem gezeigt als, sagen wir, Reggae oder Grunge. Das Schicksal von Rubik’s Cube oder Aerobic blieb ihm erspart. Seine Resilienz teilt er mit Aperol Spritz, Caprese und Sneakers. Einer der Gründe könnte sein, dass er mit seinen Texten in die Literatur vordringen konnte und dort andere Zuhörerschichten erreicht hat als in der Popmusik. Und so ist es zwar unüblich, aber nicht unlogisch, dass er seinen Weg auch in die Oper gefunden hat. Diesmal als Gastspiel des HipHop Open Festivals, das seit 2000, mit einer längeren Pause und einer Zwischenstation in Mannheim, in Stuttgart stattfindet.
Am Stuttgarter Opernhaus war Hip-Hop schon ein paar Mal zu Gast. Diesmal präsentiert er sich massiv und beweist, dass sich zwischen Oper und Hip-Hop eine Kluft auftut. Das beginnt schon mit den beiden Damen neben mir, die unaufhörlich quatschen, wenn sie nicht gerade auf ihr Handy schauen. Es setzt sich fort mit der, pardon, erbärmlich dilettantischen Moderatorin. Sie ist es, die allen Auftretenden das nervtötende „Hallo Stuttgart“ vorsagt, das immerhin den Vorzug hat, dass es einem die Verlegenheit des Genderns erspart. Zu ihren abwechslungsreichen, von Kartons abgelesenen Sprüchen gehört auch: „Macht ordentlich Lärm für XY.“ Ja du meine Güte. Viel Lärm um nichts.
Dann geht es schnurstracks zu den Hip-Hop-Texten, etwa zu dem ironisch gemeinten „Der Markt regelt das selber“. Na ja, vielleicht gibt es ja noch ein paar schlichte Gemüter, die diese Phrase nicht durchschaut haben. Ein literarischer Höhepunkt lautet: „Alle meine Freundinnen spucken auf sein Auto/ Alle meine Freundinnen sehn, er ist ein Wichser.“ Wohl dem, der, oder vielmehr: die solche Freundinnen hat. Erst einmal singt das Publikum die erhellenden Verse im Kanon mit. Ein Höhepunkt auch der weiblichen Emanzipation. Jedenfalls sprachlich.
Das Publikum darf auch den folgenden Kurzsatz mitbrüllen: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ Das ist ja gewiss ehrenhaft und verdient Respekt. Es ist aber leider auch eine Offenbarung der üblichen Politrhetorik ohne praktische Konsequenzen, die uns verkündet, was angeblich „nicht sein kann“, obwohl es ist, oder „nicht zulassen will“, was längst vorhanden ist. Worte statt Taten. Ein Ausdruck der tatsächlichen Hilflosigkeit. Im Hip-Hop steht das Bekenntnis ohne Zusammenhang da. Es scheint, dass das eifrige Publikum die Wahlresultate vom vergangenen Wochenende bereits vergessen hat.
Dann tritt eine Langhaarige mit einer Klampfe auf, in den Spuren der Liedermacherinnen der sechziger Jahre, mit einer guten Stimme und schwachen Texten. Mit der angekündigten Musikrichtung hat das allerdings so viel zu tun wie die Festivals auf der Burg Waldeck mit dem HipHop Open.
Der Titel des Abends Oper meets Hip-Hop ist, abgesehen von dem hybriden Deutsch-Englisch (was kann es, was „Oper trifft“ oder „opera meets“ nicht können?), einigermaßen missverständlich. Gemeint ist nicht die Gattung des Musiktheaters, sondern das Gebäude, in dem sie stattfindet. Das ist, als titelte man: Berliner Ensemble meets Igor Levit.
Man kann das natürlich machen, aber Hand aufs Herz: mit Oper hat Hip-Hop so viel gemeinsam wie die Unterwäsche bei Tchibo mit Kaffee. Nämlich mit ordentlich Lärm den Ort. Mitveranstalter ist das noch junge alternative Kulturzentrum Im Wizemann. Werden wir dort demnächst der Oper begegnen? Nicht dem Haus, sondern der Kunstform.
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Thomas Rothschild – 15. Juni 2024 ID 14800
OPER MEETS HIPHOP (Staatsoper Stuttgart, 14.06.2024)
Mit: Chefket, Jolle, Lara Hulo, Bria, Sebastian 23 aka Mondschaf, Liser, Kaas und Dexter
Präsentiert vom HipHop Open Festival
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
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