Minimalismus und
Improvisation
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Bewertung:
Das Januar-Konzert des Sonar Quartetts im Kühlhaus Berlin (auf dessen eigener Fläche „Sonarloft“) war ein tolles Ereignis aktueller Musik. Nicht nur musikalische, sondern auch historische und technologische Dimensionen standen zum Diskurs. Ein Programm von Werken mit verschiedene Perspektiven auf Menschlichkeit, Erinnerung und unsere Beziehung zu Technologie. Der Abend bewegte sich von den Klängen des Minimalismus über experimentelle Kompositionen bis hin zu elektronischen Ikonen, eingebettet in die atmosphärische Kulisse des Kühlhauses – einem Ort voller Geschichte und Transformation.
Das Streichquartett Nr. 2 Company von Philip Glass eröffnete den Abend. Ein wunderbares Stück, welches Modernität mit den Potentialen der klassischen Streichinstrumente verbindet. Ursprünglich als Bühnenmusik auf Samuel Becketts gleichnamige Novelle geschrieben, spiegelt das Werk die Einsamkeit und innere Reise eines Individuums wider. Die repetitiven Muster und schwebenden Harmonien von Glass schaffen einen meditativen Zustand. Das Sonar Quartett interpretierte die vier kurzen Sätze mit intensiven Klarheit, welche die emotionale Subtilität des vordergründig technisch wirkenden Werkes spürbar machten.
Anschließend Solo-Arrangements von Roberts Balanas, dem Special Guest an der Violine aus London. Seine Kompositionen auf der akustischen und der elektronischen Violine zeichneten sich durch dynamische Intensität und nahezu romantische, erzählerische Tiefe aus.
Nach der Pause Steve Reichs Different Trains. Das Werk zählt ohne Frage zu den bedeutendsten Streichquartetten des 20. Jahrhunderts. Reich verknüpft hier seine Kindheitserinnerungen an Zugreisen durch die USA mit den Schrecken des Holocaust, die er als jüdisches Kind während des Zweiten Weltkriegs indirekt hätte erleben können. Die Verbindung von Streichquartett und vorab aufgenommenen Tonbändern, die Stimmen von Zeitzeugen und Klänge von Zügen enthalten, generiert eine beklemmende Atmosphäre. Das Sonar Quartett spielte mit Präzision und emotionaler Tiefe, während die maschinellen Rhythmen und Stimmen aus der Vergangenheit den Raum erfüllten. Es war, als würde sich die Musik durch Zeit und Raum weben, um individuelle und kollektive Erfahrungen miteinander zu verschmelzen.
Ein Höhepunkt des Abends war die Uraufführung eines neuen Werks des Sonar Quartetts, welches die Fähigkeit des Ensembles unterstrich, improvisatorische und kompositorische Ansätze nahtlos miteinander zu verbinden. Das Stück beschäftigt sich mit der Frage, wie Individuen inmitten von Tradition, Moderne und gesellschaftlichem Wandel navigieren. Elektronische Verstärkung und verfremdete Klänge erweiterten das Klangspektrum des klassischen Streichquartetts und ließen das Publikum in eine experimentelle, fast haptische Klangwelt eintauchen. Die Musik blieb nicht nur Darbietung, sondern war wie eine Einladung an das Publikum, gemeinsam mit dem Ensemble nach Antworten zu suchen.
Den Abschluss des Konzerts bildete Kraftwerks ikonischer Trans Europa Express, ein Meilenstein der elektronischen Musik, welcher die Beziehung zwischen Mensch und Technologie erforscht. Das Sonar Quartett interpretierte dieses Werk mit einer erfrischenden Perspektive, indem es elektronische Elemente mit akustischem Spiel verband. Die rhythmischen Muster und wiederkehrenden Motive zeichneten ein Bild von Mobilität und Vernetzung, das im 21. Jahrhundert aktueller denn je ist. Die Vorstellung von Europa als ein Netzwerk von Menschen, Ideen und Technologien wurde durch die klare Struktur und futuristische Vision des Werks lebendig. Das Publikum erlebte eine faszinierende Symbiose von Vergangenheit und Zukunft, die in der industriellen Atmosphäre des Kühlhauses eine zusätzliche Tiefe erhielt.
Der Aufführungsort (das historische Kühlhaus Berlin) bot die perfekte Kulisse für dieses Konzert. Mit seiner Mischung aus industrieller Vergangenheit und moderner Nutzung spiegelte es die Themen des Abends wider – Transformation, Erinnerung und Vernetzung. Die rauen, offenen Räume verstärkten die klangliche Wirkung der Musik und gaben den Performances einen zusätzlichen, fast greifbaren Resonanzraum.
Das Konzert des Sonar Quartetts verband Minimalismus, Improvisation und elektronische Musik in einen spannenden Dialog. Mit technischer Brillanz und emotionaler Tiefe führte das Ensemble das Publikum auf eine Reise durch Klangwelten, welche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbanden. Es war ein Abend, der die Bedeutung von Live-Musik und die unersetzliche Magie des Konzerterlebnisses im Bereich der Neuen Musik auf eindrucksvolle Weise unter Beweis stellte.
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Das Sonar Quartett am 24. Januar 2025, im Kühlhaus Berlin | Foto: Steffen Kühn
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Steffen Kühn - 26. Januar 2025 ID 15120
DIFFERENT TRAINS (Sonarloft im Kühlhaus Berlin, 24.01.2025)
Philip Glass: Streichquartett Nr. 2 Company
Sonar Quartett & Roberts Balanas: UA von neuer eigener Komposition
Steve Reich: Different Trains
Kraftwerk: Trans Europa Express
Wojciech Garbowski, Violine
Roberts Balanas, Violine
Ian Anderson, Viola
Konstantin Manaev, Violoncello
Weitere Infos siehe auch: https://sonarloft.de
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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