Osteuropäische
Bereicherung
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Bewertung:
Die Öffnung nach Osteuropa hat den deutschen Orchestern einen deutlichen Zustrom an hochtalentierten Musikerinnen und Musikern eingebracht. Ohnedies sind die Orchester geradezu das Modell für internationale Zusammenarbeit, bei der Geburtsort und Herkunft keine Rolle spielen. Es gibt auch kein Sprachenproblem. Musik ist universell.
Nicht nur im Orchester, auch vorne, auf dem Dirigentenpult, häufen sich die Zugänge aus Osteuropa, darunter zunehmend Frauen. Das 1. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart in der angelaufenen Saison (wie immer: am Sonntag Vormittag und am Montag Abend) dirigiert die 34-jährige Litauerin Giedrė Šlekytė, die nur drei Jahre jünger ist als ihre ebenfalls international erfolgreiche Landsmännin Mirga Gražinytė-Tyla. Die neuen, scharf beobachteten Umgangsformen verbieten einem Mann, zu erwähnen, dass beide auch, unbeschadet ihrer professionellen Qualität, angenehm anzuschauen sind. Eigentlich bedauerlich. Ich habe schon immer gefunden, dass es besser wäre, auch Männern in den Mantel zu helfen und ihnen die Tür auf zu halten, als es als anzüglich zu denunzieren, wenn man das für eine Frau tut. Aber zurück zum Thema.
Passend zur Frau ohne Schatten, mit der die Saison im Opernhaus eröffnet worden war, begann das Konzert mit Richard Strauss light, mit seiner Tondichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche. Giedrė Šlekytė besticht durch minutiöse Zeichengebung und scheint den Inhalt der „Dichtung“ mit ihrem ganzen Körper nachzuempfinden.
Danach hielt auch im Programm Osteuropa Einzug, allerdings mit Kompositionen sehr unterschiedlichen Charakters. Zunächst brillierte die Norwegerin Tine Thing Helseth im glitzernden Kleid als Solistin im Konzert für Trompete und Orchester B-Dur, op. 94 von Mieczysław Weinberg. Einmal mehr erwies sich, dass der Pole, der vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion fliehen musste und dessen umfangreiches Werk jetzt nach und nach mit großer Verspätung für die Konzertsäle und für Tonträger entdeckt wird, nicht ein Künstler zweiter Klasse und nicht bloß ein Protegé von Schostakowitsch, sondern einer der ganz großen Komponisten des 20. Jahrhunderts war. Faszinierend der Dialog zwischen der Trompete, die zu Beginn Tempo, Rhythmus und Gefühlslage vorgibt, und dem technisch wie musikalisch gewohnt einwandfreien Staatsorchester. Im zweiten Satz kontrastiert dann eine längere Zwiesprache zwischen Solo-Trompete und Querflöte mit dem vollen Orchester, das zwischendurch Mendelssohns "Hochzeitsmarsch" zitiert. Gegen Ende des Trompetenkonzerts kündigt sich zaghaft, wie von ferne, ein Walzer an. Das versöhnliche Ende einer hochdramatischen Komposition.
Auf Weinberg folgt, unter Missachtung der Chronologie, Dvořáks symphonische Dichtung Die Waldtaube, die den tschechischen Nationalkomponisten als Meister der Instrumentierung bestätigt. Das zweistündige Konzert schloss, einer sinnfälligen musikalischen Dramaturgie gehorchend, die Suite nach dem Ballett Der wunderbare Mandarin von Béla Bartók ab. Übrigens: der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer ließ 1926 das Ballett (Bartók nennt es „Tanzpantomime“) verbieten. So viel zur katholischen Liberalität. Man stelle sich vor, das wäre in der DDR passiert. Die Suite ist gerade 33 Jahre jünger als der Till Eulenspiegel, aber um wie viel moderner klingt sie, harmonisch, rhythmisch und im Ausdruck. Mit gutem Grund ließ die Dirigentin den Mann an der Großen Trommel als Einzigen sich verneigen, ehe das ganze Orchester sich erhob.
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Thomas Rothschild - 19. November 2023 ID 14481
STAATSORCHESTER STUTTGART (Liederhalle, 19.11.2023)
Richard Strauss: Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28
Mieczysław Weinberg: Konzert für Trompete und Orchester B-Dur, op. 94
Antonín Dvořák: Die Waldtaube op. 110
Béla Bartók: Der wunderbare Mandarin (Suite) op. 19
Tine Thing Helseth, Trompete
Staatsorchester Stuttgart
Dirigentin: Giedrė Šlekytė
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de/staatsorchester/
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