Überirdisches II – Mond
mit dem RIAS Kammerchor im Kraftwerk Berlin
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Bewertung:
„Alec Roths 2010 uraufgeführtes Stück Earthrise ist eine Meditation auf die Ausbeutung der Welt durch die Menschheit, auf Visionen aus dem Weltraum, ein Plädoyer für Weisheit und gegenseitiges Verständnis. Mit 8 Chören à 5 Stimmen bedient es sich dem Format von Spem in alium von Thomas Tallis. Die Motette (von Tallis) für 40 unabhängige Stimmen ist ein Fixstern in dessen Werk. 1573 muss das Publikum bei der Uraufführung verblüfft gewesen sein, unabhängig davon, ob es die Entstehungsanekdote kannte oder nicht. Tallis soll seine Komposition als Geste des Übertrumpfens auf seinen italienischen Kollegen Alessandro Striggio geschrieben haben, der zuvor ein ähnlich monumentales Werk nach England schickte. Die 12-stimmige Missa Et ecce terrae motus des Franzosen Antoine Brumel kommt als ein Stück Zukunftsmusik daher, das die Vision einer besseren Welt entwirft. Ein Meisterwerk des Kontrapunkts, das mit dichtem Stimmengewirr, komplexer Rhythmik und schwebendem Klangbild magisch-explosive Stimmung erzeugt.“
(Quelle: RIAS Kammerchor)
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Foto: Steffen Kühn
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Das ehemalige Heizkraftwerk Mitte ist ein Stück Berliner Industriegeschichte. Etwa zeitgleich mit der Berliner Mauer wurde es in den Jahren 1960 bis 1964 gebaut, um die Menschen in Berlins Mitte mit Fernwärme zu versorgen. Seit 2002 ist es ein Teil des Gebäudes die Heimat des Technoclubs Tresor. Das gesamte Gebäude wurde nach und nach um- und ausgebaut und ist heute ein besonderer Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen. Ein einzigartiger Raum immer noch voller Energie. Viele Veranstaltungen haben bisher von dieser Energie profitieren können. Den RIAS Kammerchor unter der Leitung von Justin Doyle hat diese Energie vorgestern Abend leider erschlagen. Das feingliedrige Programm für die ca. 40 Sängerinnen und Sänger war der Wucht der insgesamt 8.000 Quadratmeter großen Halle nicht gewachsen. Der Klang ging verloren in den charakteristischen Durchbrüchen zwischen Räumen und Ebenen. Der visuelle Reiz der Sichtachsen und Perspektiven konnte nicht in eine klangliche Inszenierung verwandelt werden. Gerade der für das Konzert gewählte Ansatz der Vielstimmigkeit vertrug sich nicht mit den akustischen Bedingungen von schätzungsweise 150.000 Kubikmetern Volumen. Sobald sich aus singulären musikalischen Aktionen polyphone Strukturen entwickelten, verloren sich die Kompositionen in den unterschiedlichen und sehr langen Nachhallzeiten und inferenten Echos. Ein Gesamterlebnis war das Konzert allerdings trotz alledem, zurück bleibt der Wunsch, das ambitionierte Programm in einem akustisch geeigneten Umfeld nochmal erleben zu können.
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Steffen Kühn - 1. Mai 2022 ID 13598
ÜBERIRDISCHES II - MOND (Kraftwerk Berlin, 29.04.2022)
Meredith Monk (geb. 1942): Earth seen from above
Johannes Ockeghem (gest. 1497): Deo Gratia
Alessandro Striggio (1540-1592): Ecce beatam lucem
Antoine Brumel (1460-1512): Missa "Et ecce terrae motus" à 12 vocis Sanctus
Thomas Tallis (1505-1585): Spem in alium
Anonymus: Unum cole deum
Alec Roth (geb. 1948): Earthrise für gem. Chor zu 40 Stimmen
RIAS Kammerchor
Dirigent: Justin Doyle
Weitere Infos siehe auch: https://www.rias-kammerchor.de/
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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