Mit Haut
und Haaren
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Antonia Tröstl als Tracy Turnblad in Hairspray am Theater Bonn | Foto © Bettina Stöß
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Bewertung:
Die Geschichte von Hairspray scheint an den Haaren herbeigezogen, wie ein ausgefallenes Nikolaus-Präsent ohne Schokolade. Das Broadway-Musical basiert auf dem gleichnamigen Filmklassiker von John Waters aus dem Jahr 1988, in dem die Drag Queen und Ikone Divine die Mutter der Hauptfigur verkörperte. Lustvoll überzeichnete, klischeehaft typisierte Figuren stehen ohne Angst vor Kitsch-Verdacht ein für Themen, die wir heute als Body Positivity, Empowerment oder Anti-Rassismus hochhalten. Seit kurzem zeigt das Theater Bonn in der Regie von Erik Petersen das Musical, in dem ein dickes Mädchen seinen Traum vom Tanzen vor jubelnden Fernsehpublikum verwirklicht. Texte der US-amerikanischen Songs klingen in einer deutschen Fassung manchmal ein bisschen naiv oder infantil, wie anfangs das schwungvoll groovende „Mama, ich bin nicht mehr klein“.
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1962 in Baltimore träumt Tracy Turnblad davon, in der Tanzsendung Corny Collins Show aufzutreten. Sie ist wie ihre Mutter Edna mollig und hat eine hohe, füllige Frisur. Beim Nachsitzen in der Schule übt sie mit Afroamerikanern gewagte und kühne Tanz-Schrittfolgen. Velma Van Tussle, die Produzentin der Corny Collins Show, gibt Tracy beim Casting überdeutlich zu verstehen, dass sie nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Die Produzentin möchte vielmehr die Karriere ihrer eigenen Tochter Amber voranbringen. Trotzdem geht Tracy mit ihrer Freundin Penny Pingleton zum nächsten Vortanzen und hat hier beim Showmoderator dann auch mehr Erfolg. Voller Tatendrang setzt sie sich bald sogar für die Rechte schwarzer Tänzer ein, um die Trennung von Schwarzen und Weißen im Fernsehen abzuschaffen.
In der Oper Bonn zeigt Dirk Hofackers flexible und detailreiche Bühne kleine Geschäfte einer Shopping-Mall der 60er Jahre. Hier befindet sich anfangs der Waschsalon von Tracys Mutter Edna oder das Scherzartikel-Geschäft ihres Vaters Wilbur. Auch ein Friseur oder ein Fernsehladen werden hier als Orte bespielt. Unter einer Skyline im Hintergrund ist die sechszehnköpfige Band unter der musikalischen Leitung von Jürgen Grimm platziert. Im Vordergrund werden wechselnde Gruppenszenen und packende Choreographien von Sabine Arthold dargeboten und mitunter Bühnenpodeste oder andere Requisiten platziert. Das spielfreudige Ensemble bietet Schlager wie „Niemand stoppt den Beat“ oder „Guten Morgen Baltimore“, bekannte Rhythm und Bluesmelodien der 60er und 70er Jahre von Marc Shaiman, mit Verve und in bunten Klangfarben dar.
Antonia Tröstl agiert als Tracy charmant und souverän. Fin Holzwart mimt ihren Schwarm Link Larkin solide und stimmschön. Sehr präsent und stimmkräftig ist zudem Friederike Zeidler als überzogen angelegte, verpeilte aber höchst liebenswürdige Freundin Tracys, Penny Pingleton. Sie verliebt sich in einen schwarzen Gleichaltrigen, Seaweed Stubbs, nicht nur tänzerisch ausdrucksstark verkörpert von Maickel Leijenhorst. Kerstin Ibald mimt die intrigante und niederträchtige Produzentin Velma Van Tussle kraftvoll, die ihre Tochter Amber (Kara Kemeny) als Vorzeige-Tänzerin etablieren möchte. Ein Highlight der Vorstellung ist Enrico de Pieri als resolute Edna, die gesanglich und im tänzerischen Zusammenspiel mit Mark Weigel als Wilbur fein ausbalanciert und warmherzig harmoniert, etwa bei der Solo-Performance von „Du bist zeitlos für mich“.
Hairspray verbindet humorvolle Szenen und stilvolle Tanzchoreographien mit nachdenklichen Momenten. Leider hapert es mitunter am Ton. Bei einigen Figuren sind die Mikrophone während des Gesangs zu leise eingestellt. Trotzdem reißt das trashig bunte und überdrehte Musical vom ersten Moment an mit.
Die Probleme der 6oer scheinen nach wie vor aktuell. Tracy kann immer noch erste Präsidentin der USA werden. Schwarze scheinen in gehobenen Positionen weiterhin unterrepräsentiert.
Es geht um Ideale, Gleichberechtigung und Diversität und darum, sich zu trauen, nicht perfekt zu sein. Am Ende tanzen alle gemeinsam gegen jedwede Einschränkungen: Schwarze und Weiße, Dicke und Dünne, Junge und Alte. Die paillettenbestickten Kostüme und Konfetti aus einer übergroßen Rakete lassen alle Barrieren oder Beschränkungen vergessen.
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Hairspray am Theater Bonn | Foto © Bettina Stöß
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n. k. - 6. Dezember 2024 ID 15043
HAIRSPRAY (Oper Bonn, 29.11.2024)
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm
Regie: Erik Petersen
Bühne und Kostüme: Dirk Hofacker
Licht: Boris Kahnert
Choreografie: Sabine Arthold
Einstudierung Kinder- und Jugendchor: Ekaterina Klewitz
Mit: Antonia Tröstl, Enrico De Pieri, Mark Weigel, Amani Robinson, Maickel Leijenhorst, Tara Friese, Mathias Schlung, Fin Holzwart, Kerstin Ibald, Kara Kemeny, Friederike Zeidler, Susanne Blattert, Volker Hoeschel, Clarissa Anyamele, Lara de Toscano, Coreena Brown, Amadin Piatello, Leo-Alexander Hewitt, Juan David Mendez, Schirin Zarre, Michelle Bergé, Liviana Degen, Pascal Schürken, Liam Tiesteel, Tobias Brönner, Samantha Marie Senn, Iman Khaleghi sowie dem Jugendchor des Theater Bonn
Premiere am Theater Bonn: 20. Oktober 2024
Weitere Termine: 23., 27.12.2024// 05., 08., 09.01./ 01., 06., 12.02./ 29.03./ 03., 21.04.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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