Fast zu viel
des Guten
|
Szene aus Janáčeks Die Ausflüge des Herrn Brouček - einer Koproduktion der Staatsoper Unter den Linden mit dem Nationaltheater Brünn und dem Teatro Real Madrid | Foto (C) Arno Declair
|
Bewertung:
Simon Rattle hat sich in den letzten Jahren ganz besonders auch als Janáček-Kenner nicht nur im Orchestergraben der Staatsoper Unter den Linden einen Namen gemacht. Seitdem er Aus einem Totenhaus, Katja Kabanowa, Die Sache Makropulos und Jenůfa dortselbst dirigierte, war das allbekannt.
Jetzt ist er wieder da:
Die hierzulande so gut wie nie gespielte tschechische Opernburleske Die Ausflüge des Herrn Brouček (Originaltitel: Výlety páně Broučkovy) hat’s ihm nunmehr angetan, ja und seit gestern Abend steht sie halt auf dem Programm – es handelt sich hierbei um eine in jeder Hinsicht aufwändige Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn und dem Teatro Real Madrid, die bereits am 1. November 2024 in Brno Premiere feierte; dort dirigierte sie Rattles Kollege Marko Ivanović. Inszeniert hatte der kanadische Opernregisseur Robert Carsen, die Ausstattung besorgten Radu Boruzescu (Bühne) und Annemarie Woods (Kostüme).
Worum geht es in dem Stück?
“In seiner Stammkneipe ist der Prager Hausbesitzer Brouček als Spießer und Kleingeist verschrien. Er selbst ist es leid, sich ständig mit zahlungsunfähigen Mieter:innen herumzuschlagen und wünscht sich weit fort von den täglichen Ärgernissen. Nachdem er eines Nachts reichlich dem Bier zugesprochen hat, erfüllt sich sein Wunsch wundersamerweise durch zwei phantastische Ausflüge: Zunächst landet Brouček auf dem Mond, der von einer ebenso skurrilen wie vergeistigten Künstlergesellschaft bewohnt wird. Dann findet er sich plötzlich im mittelalterlichen Prag wieder, wo er zwischen die Fronten eines Glaubenskampfs gerät und mit den Hussiten in den Krieg ziehen soll…” (Quelle: staatsoper-berlin.de)
Die Handlung ist überbordend, wirkt langatmig und unübersichtlich; zu viele Figuren, keine oder wenig zwischenmenschliche Beziehungen, die emotional nachzuvollziehen ein mitfreuendes oder mitleidendes Gefühl erzeugen könnten; jedenfalls nicht bei mir. Das gleichen Regisseur und Ausstatter mit einem die Sinne geradezu piesackenden Überangebot an Bildern und Herumwuseleien inkl. Tanzeinlagen (Choreografie: Rebecca Howell) aus. Im hellblaumond- und bonbonfarbenen ersten Teil der Oper, dessen Brouček-Ausflüge auf dem Mond unter sonnenbrillentragenden Aliens und manisch überdrehten Hippies spielen, geht es einem zunehmend auf die Nerven; und ich bin froh, dass danach erstmal Pause ist.
Der zweite Teil – von Janáček sozusagen “nachgereicht” – kommt völlig anders rüber. Carsen/ Boruzescu/ Woods siedeln ihn rund um den gesellschaftspolitisch gescheiterten Prager Frühling 1968 an, die Russen (mit ihren T-34) kommen dabei nicht gut weg, am Schluss bricht so ein nachgebautes Ungetüm urplötzlich auf die Bühne, und man hält für kurz den Atem an und denkt: Da sind sie also wieder, Gott bewahre!
*
Was das Musikalische betrifft, ist kaum etwas erinnerlicherseits “behaltbar” – nur dieser für Janáček so typische Orchestersound fällt freudigst auf, und selbiger wird es wohl höchstwahrscheinlich auch gewesen sein, weswegen Rattle sofort auf ihn abgefahren war. Der Musizierstil der Staatskapelle Berlin erweist sich mehr denn je als unleugbar authentisch, Rattle kennt ihn längst und zur Genüge, er versteht ihn auszureizen, auszuwalzen bis zum Geht-nicht-Mehr. Einfach grandios!
Peter Hoare hat die undankbare Aufgabe, den unliebsamen Titelhelden glaubwürdig zu mimen und zu singen, und das macht er ziemlich gut.
Die anderen Akteurinnen und Akteure [alle Namen s.u.] stehen ihm in keiner Weise nach.
Premierenjubel, völlig klar.
|
Szene aus Janáčeks Die Ausflüge des Herrn Brouček - einer Koproduktion der Staatsoper Unter den Linden mit dem Nationaltheater Brünn und dem Teatro Real Madrid | Foto (C) Arno Declair
|
Andre Sokolowski – 17. März 2025 ID 15191
Die Ausflüge des Herrn Brouček (Staatsoper Unter den Linden, 16.03.2025)
Musikalische Leitung: Simon Rattle
Inszenierung: Robert Carsen
Regieassistenz: Gilles Rico
Spielleitung: Tabatha McFadyen
Bühne: Radu Boruzescu
Kostüme: Annemarie Woods
Licht: Robert Carsen und Peter van Praet
Video: Dominik Žižka
Choreographie: Rebecca Howell
Einstudierung Chor: Gerhard Polifka
Dramaturgie: Robert Carsen, Patricie Částková und Elisabeth Kühne
Besetzung:
Matěj Brouček … Peter Hoare
Mazal, Blankytný, Petřík … Aleš Briscein
Sakristan, Lunobor, Domšík von der Glocke, Svatopluk Čech … Gyula Orendt
Málinka, Etherea, Kunka … Lucy Crowe
Würfl, Čaroskvoucí, Schöffe … Carles Pachon
Hilfskellner, Wunderkind, Student … Clara Nadeshdin
Kedruta … Natalia Skrycka
Dichter, Oblačný, Vacek … Arttu Kataja
Maler, Stimme des Professors, Duhoslav, Vojta … Stephan Rügamer
Komponist, Harfoboj, Miroslav … Linard Vrielink
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere am Nationaltheater Brünn (Janáček-Theater): 1. November 2024
Berliner Premiere war am 16. März 2025.
Weitere Termine (in Berlin): 20., 27., 29.03./ 03.04.2025
Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn und dem Teatro Real, Madrid
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-berlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
Konzerte
Musiktheater
Neue Musik
Rosinenpicken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|