OPERNFESTSPIELE HEIDENHEIM 2023
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Im traumhaften
Ambiente
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Sung Kyu Park als Don Carlo bei den Opernfestspielen Heidenheim | Foto (C) Oliver Vogel
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Bewertung:
Zugegeben: die Benennung „Opernfestspiele“ für eine Veranstaltungsreihe mit gerade zwei Opern und einer vom nicht besonders berühmten Theater der nahen Stadt Aalen übernommenen „Pop-up-Oper“ ist ein wenig hochgestochen. Immerhin ist es den OPERNFESTSPIELEN HEIDENHEIM gelungen, im Lauf der Jahre eine Reihe von ambitionierten Aufführungen mit respektablen Kräften in seine stimmungsvolle Schlossruine Hellenstein zu bringen. Die Auswahl der Opern war, wie zu erwarten, garantiert überraschungsfrei, wie seit der Intendanz von Elisabeth Sobotka auf der Bregenzer Seebühne, und nicht eben fordernd. Auf dem Spielplan standen unter anderem Die Entführung aus dem Serail, Der Barbier von Sevilla, Don Giovanni, Der Troubadour, Fidelio, Rigoletto, Carmen, Lucia di Lammermoor, Die verkaufte Braut, Der Freischütz, Die Zauberflöte, Tosca, Der fliegende Holländer, Nabucco, Aida, La Traviata, Turandot, Der Bajazzo, La Bohème, Tannhäuser. „The Best of Operngeschichte“ sozusagen. Dass nach Puccini noch Opern komponiert wurden, lässt sich an der Brenz nicht erahnen. Man geht auf Nummer sicher. Ein einziges Mal, 2009, wagte man sich an eine Wiederentdeckung, an den Vampyr von Heinrich Marschner, und der wurde 1828 uraufgeführt.
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Diesmal ist es, vor Verdis Giovanna d'Arco, dessen zweite Schiller-Veroperung Don Carlo, deren Aufführung schon 2020 geplant war, aber wegen Corona verschoben werden musste. Regie führt der gar nicht provinzielle vielseitige Georg Schmiedleitner, am Pult der Stuttgarter Philharmoniker und des Tschechischen Philharmonischen Chors Brünn steht der Lokalmatador und künstlerische Leiter der Opernfestspiele seit 2010 Manfred Bosch, der auch anderweitig beschäftigt ist. Was die Sänger angeht, gibt es in Don Carlo einen Prüfstein für deren Qualität. Wenn einen das Freundschaftsduett "Dio, che nell'alma infondere amor volesti e speme (Dieu, tu semas dans nos âmes)" zwischen Carlos (oder, nach Belieben, Carlo) und Posa zu Tränen rührt, dann stimmt die Chose. In Heidenheim singen Sung Kyu Park den Carlos und Ivan Thirion und Gerrit Illenberger im Wechsel – bei der Premiere war es Ivan Thirion – den Marquis von Posa. Und sie haben die Probe bestanden.
Aus dem Ensemble ragte sängerisch jedoch Leah Gordon als Elisabeth heraus. Zlata Khershberg gelangen als ihre Rivalin Eboli eindrucksvolle Momente. Dann wiederum musste sie offenkundig erfolglos ankämpfen gegen die schwierigen akustischen Verhältnisse im ehemaligen Rittersaal. Zumal wenn sie das Schleierlied unmittelbar vor der ersten Reihe, mit dem Orchester im Rücken, vorträgt. Der Chor im Hintergrund wedelt mit wallenden roten Gewändern die Koloraturen nach. Dass die intrigante Prinzessin eine Schlange auf dem Rücken zeigt, ist ein doch eher plumpes Symbol. Überzeugend auch Pavel Kudinov als Philipp II. Eben noch mit Krone und Ornat, singt er „Sie hat mich nie geliebt“ im Schlafrock: der leidende Privatmann. Verdis Musik erzählt, was viele Sprechtheaterinszenierungen verschweigen: die Ambivalenz des tyrannischen Charakters. Quälend war lediglich Anna-Lena Elbert in der Minirolle der „Stimme von oben“ (will sagen: von oben auf der Zuschauertribüne). Sie sang, wir müssen es leider um der Wahrheit willen erwähnen, schlicht falsch. Mit der ebenfalls nicht sehr großen Rolle des Pagen Tebaldo kam sie besser zurecht.
In Heidenheim hat man sich für die italienische Fassung von 1884 ohne den Fontainebleau-Akt entschieden, der den Handlungsabläufen größere Plausibilität verleiht, die aber gegenüber der französischen und der überarbeiteten italienischen Fassung den Vorzug hat, die Zuhörer früher auf den Heimweg zu entlassen. Die Bühne (Stefan Brandtmayr) hat eine nur geringe Tiefe. Dahinter gibt es einen zweistöckigen Quersteg, zu dem Treppen hinauf führen. Die Kostüme (Cornelia Kraske) sind zum Teil historisierend – Abteilungen des Hofstaats tragen dekorative Halskrausen –, zum Teil zeitlos salopp mit viel Silber.
Auf Aktualisierungsbemühungen hat Schmiedleitner weitgehend verzichtet. Marquis Posa berichtet vom verwüsteten Flandern wie von der Ukraine. Der König hört ungerührt zu. Der Rest ist „in the mind of the beholder“. Im Hintergrund sieht man ein riesiges zerfallenes Symbol der Friedensbewegung. Es deutet darauf hin, dass die Ordnung brüchig ist.
Der Großinquisitor ist in Heidenheim ein hermaphroditischer Metzgermeister mit Kruzifix. Wenn das Volk mit Transparenten nach Freiheit ruft, bringt er es brutal zum Schweigen. Giuseppe Verdi ist Schiller in seiner Kirchenkritik ebenso treu gefolgt wie in seinem Freundschaftspathos. Wo in der gegenwärtigen Dramatik findet man eine Figur wie den Großinquisitor oder auch den Patriarchen aus Lessings Nathan, die so krass die dunklen, ja mörderischen Seiten der katholischen Kirche benennt?
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Don Carlo von Verdi - bei den Opernfestspielen Heidenheim | Foto (C) Oliver Vogel
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Thomas Rothschild – 8. Juli 2023 ID 14281
DON CARLO (Rittersaal Schloss Hellenstein, 07.07.2023)
Musikalische Leitung: Marcus Bosch
Inszenierung: Georg Schmiedleitner
Bühne: Stefan Brandtmayr
Kostüme: Cornelia Kraske
Dramaturgie: Olaf Roth
Lichtdesign: Hartmut Litzinger
Besetzung:
Philipp II. ... Pavel Kudinov
Don Carlo ... Sung Kyu Park
Marquis von Posa ... Ivan Thirion
Großinquisitor/Mönch ... Randall Jakobsh
Elisabeth von Valois ... Leah Gordon
Prinzessin Eboli ... Zlata Khershberg
Tebaldo/Stimme vom Himmel ... Anna-Lena Elbert
Graf von Lerma ... Martin Piskorski
Herold ... Christoph Wittmann
Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Stuttgarter Philharmoniker
Premiere bei den OPERNFESTSPIELEN HEIDENHEIM: 7. Juli 2023
Weitere Termine: 09., 14., 15., 21., 28.07.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.opernfestspiele.de
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