Jugend und
Schönheit
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Hubert Zapiór als Don Giovanni an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Frol Podlesnyi
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Bewertung:
Sucht man auf Google nach ”Bardo”, bedient einem die dortige KI mit Folgendem:
"’Bardo’ (tib. འབར་དོ་, engl. ‘Zwischenzustand’, ‘Übergangszustand’) ist ein Begriff aus der tibetischen buddhistischen Lehre, der sich auf verschiedene Bewusstseinszustände bezieht, sowohl im Leben als auch nach dem Tod. Im Kontext des Tods und der Wiedergeburt bezeichnet ‘Bardo’ insbesondere den Zeitraum zwischen dem Tod und der nächsten Wiedergeburt.”
Ich kannte die Vokabel bisher nicht.
Kirill Serebrennikov benutzt sie für die Auf- und Einteilung seines Plots zu Don Giovanni/ Requiem, womit er Sonntagabend seinen dreiteiligen Mozart/Da-Ponte-Zyklus an der KOMISCHEN OPER BERLIN abschloss. Und fast wie bei Shakespeare gibt es daher plötzlich fünf Akte (à la “Bardo”); die werden mit “Bardo des Lebens”, “der Träume”, “der Visionen”, “der Schwelle zum Tod” und “des Todes” markiert, und der Schauspieler Norbert Stöß (als durch die Stückhandlung vagabundierender Dauer-Commendatore) steuert die eine oder andere philosophische Textur zum besseren Gesamtverständnis bei.
Die von mir zuletzt live wahrgenommene Don Giovanni-Inszenierung – sie wurde von Cecilia Ligoro an der Oper Köln besorgt – versteifte sich v.a. auf die testosterongeladene Maskulinität des Titelhelden, und kein Geringerer als Seth Carico wusste diesem programmatischen Anspruch auf das Lustvollste entgegenzukommen; sie hatte etwas durch und durch Durchtriebenes und führte einen Mann vor, dessen sexuelles Verschlissensein sich nicht annähernd körperlich bei ihm bemerkbar machte und er umso frohgemuter seinem Ende entgegenzuerigieren schien; ein körperlicher Triumph der Extraklasse.
Und so ungefähr wird dann der hochpotente Kerl halt meistens auf der Bühne dargestellt – nicht so dann aktuell, nein und schon gar nicht an der KOB (wo es bereits zig “herkömmlichere” Giovannis, von Felsenstein bis Fritsch, zu sehen und zu hören gab).
Serebrennikov hat seinerseits nach einem völlig andern Typ gesucht und fand ihn schließlich in Gestalt des Hubert Zapiór. Von der körperlichen Statur her könnte man ihn glatt für einen gymnasialen Abgänger oder angehenden Studenten halten, was seine entwaffnend-hochsympathische Erscheinung zusätzlich noch für ihn einnimmt, kurz und gut: keiner von uns (uns Zuschauer) würde erwarten wollen, dass des Jungen Leib & Seele einem wie auch immer gerarteten “Gericht” geopfert werden solle, höchstwahrscheinlich würden wir (wir Zuschauer) uns schützend vor ihm werfen, dass ihm hoffentlich dann nichts passiert.
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Ganz ähnlich, also jung & schön zugleich, kommt Leporello in Gestalt Tommaso Bareas herüber. Er und Zapiór sind gleichgroß, haben eine ähnliche Statur, und beide wirken wie als kannten sie sich jahrelang schon von der Schule oder gar vom Kinderladen her; die besten dicksten Freunde also, trotz dass ihre Menschen-Sichten sich in einigen Details womöglich unterscheiden – und der “fiese” Zapiór nutzt das freilich schamlos aus, indem er seinem inzwischen hörig ergebnen Kumpel den ihn gefühlssalvenmäßig belästigenden Don Elviro andreht; zur Erklärung:
Es gibt diesmal keine Donna Elvira, sondern [s.o.] ein männliches Pendant – das wird mit allen seinen Elvira-Arien vom brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá aufs Sensationellste gesungen und gespielt; somit haben wir es also diesmal mit einer queeren Variante der Mozartoper zu tun, und dieser Plan ging/ geht grandiosest auf.
Und auch Adela Zaharia (als selbstbewusste Donna Anna), Agustín Gómez (als Don Ottavio, leider ohne seine schöne Arie im 2. Akt), Penny Sofroniadou (als schwangere Zerlina), Philipp Meierhöfer (als etwas unterbelichteter Masetto) und Tijl Faveyts (als Stimme des Komtur) sind mehr oder weniger sehens- und hörenswert.
Evgeny Kulagin choreografierte den Abend fast gänzlich, einschließlich des Requiems, durch; die quirligen Tänzer Georgy Kudrenko, Mikhail Poliakov und Nikita Elenev sind dann meistens als “Kommentierende” unseres jugendlichen Titelhelden in seiner allernächsten Nähe - - und wie die zusätzlich choreografierten Chorsolisten der Komischen Oper Berlin anlässlich ihrer Großauftritte (beim Requiem) in ekstatische Verzückungen geraten, hätte so wohl niemand zu erwarten vermocht.
Es gibt ständig was zu sehen, und die regielichen Einfälle scheinen dem Serebrennikov nur so hervorsprudeln zu wollen; zugegeben: Es ist manchmal etwas viel auf einmal, und man weiß dann kaum noch, wo man hinsehen soll.
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Gesanglich bewegte es sich – außer der sensationellen Sopranistenpräsenz von Bruno de Sá – zwischen gehobenem Mittelmaß und ambitioniertem Höheren, das Orchester der Komischen Oper Berlin musizierte unter Leitung seines neuen GMD James Gaffigan.
Exorbitante Beifallsbekundungen.
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Mozarts Don Giovanni/ Requiem an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Frol Podlesnyi
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Andre Sokolowski – 29. April 2025 ID 15246
DON GIOVANNI/ REQUIEM (Schillertheater, 27.04.2025)
Musikalische Leitung: James Gaffigan
Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Co-Bühnenbildnerin: Olga Pavlyuk
Co-Kostümbildnerin: Tatiana Dolmatovskaya
Co-Choreografie: Ivan Estegneev
Choreografie: Evgeny Kulagin
Dramaturgie: Sophie Jira und Daniil Orlov
Chöre: David Cavelius
Licht: Olaf Freese
Video: Ilya Shagalov
Besetzung:
Don Giovanni … Hubert Zapiór
Leporello … Tommaso Barea
Donna Anna … Adela Zaharia
Don Ottavio/ Tenor … Agustín Gómez
Don Elviro … Bruno de Sá
Zerlina/ Sopran … Penny Sofroniadou
Masetto … Philipp Meierhöfer
Commendatore/ Bass … Tijl Faveyts
Die junge Frau/ Alt … Virginie Verrez
Die Seele des Commendatore … Norbert Stöß
Donna Barbara … Varvara Shmykova
Die alte Frau … Susanne Bredehöft
Die Seele Don Giovannis … Fernando Suels Mendoza
Geister und Gedankenformen … Georgy Kudrenko, Mikhail Poliakov, Nikita Elenev
Komparserie
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere an der Komischen Oper Berlin: 27. April 2025
Weitere Termine: 03., 09., 11., 14., 17., 23.05./ 19., 22., 25.12.2025// 02., 10., 18.01.2026
Weitere Infos siehe auch: https://www.komische-oper-berlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
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