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Premierenkritik

Zaza Forever



Ein Käfig voller Narren im Schauspielhaus Neubrandenburg | Foto (C) Christian Brachwitz

Bewertung:    



Der Juni ist da, und damit haben wir Pride Month. Dass dessen Relevanz derzeit eher zu- als abnimmt, zeigt – als ein Beispiel von vielen – die hitzig geführte Debatte um Drags, die in einer Münchner Stadtbibliothek Kindern vorlesen wollen. Den Knalltüten, die so eine Veranstaltung am liebsten verbieten lassen würden, sei gesagt: Seit fast 130 Jahren singen und spielen aufgefummelte Tenöre unter dem Dragnamen Rosina Leckermaul vor Kindern, vorzugsweise während des Festes, das die Geburt Jesu Christi feiert, ohne dass sich darüber jemand aufbläst. Albin macht den Transvestitenjob immerhin auch schon 40 Jahre, doch das Stück, in dem er als Zaza auftritt, könnte aktueller nicht sein: La Cage aux folles hat auf deutschen Bühnen gerade Hochkonjunktur - und wie man sieht, zurecht.

*

Sven Müller, Intendant der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz, zieht das Musical als „Neubrandenburger Sommerspektakel“ mit ordentlich Rambazamba im Schauspielhaus auf: Durch die Mitte des Saales führt ein Laufsteg, der die hintere Wendelstiege zum Boudoir Zazas mit einer zweigeteilten Showtreppe an der Bühnenfront verbindet. Das Publikum sitzt rechts und links wie in einem Club an Vierertischchen (auf denen leuchtende Penisvasen stehen) und damit mittendrin, im Käfig voller Narren.

Die erste Cagelle flattert herein, eine zweite raucht an der Tür. Als die fünfköpfige Band Platz genommen hat, erreicht uns eine schlechte und eine gute Nachricht: Die Darstellerin der Claudine, die quasi den Jacob ersetzt, kann aus gesundheitlichen Gründen nicht auftreten. Deshalb springt Regisseur Stephan Bruckmeier ein, was zur Folge hat, dass aus der Claudine nun doch wieder ein Jacob wird. Sofort schießt einem Helmut Baumann in die Birne, der 1985 ebenfalls kurzfristig in seine La Cage-Premiere einsprang. Von diesen Stunden des Sternenstaubs ist die Neubrandenburger Produktion eine Galaxie weit entfernt, aus unterschiedlichen Gründen. Ich mach's jetzt wie die Ansagerin: Erst die schlechten Nachrichten! So wie Bruckmeier das Werk in Szene setzt, kann die Besetzung mit einem Schauspielensemble nicht überzeugen. Nicht weil zu schlecht gespielt wird, sondern zu wenig. Die Regie versäumt, ans Eingemachte zu gehen, politisch zu werden, weh zu tun. Stattdessen: Altbackene Tuntenklischees, so weit das wimperngetuschte Auge reicht. Vielleicht schwebte dem Wiener eine Art Volkstheater im Sinne Nestroys vor, doch dafür mangelt es dem Abend an bissigem Charme, an Selbstironie. Auch das Timing läuft mehrmals aus dem Ruder, etwa wenn einige Herren aus dem Publikum mit den Cagelles eine Art Mini-Flashmob einstudieren, während alle anderen darauf warten, dass es weitergeht. Hinzu kommen - je suis désolé - die mitunter schauderhaften Gesangskünste. Warum muss sich der arme Momo Böhnke - der einen tollen Albin spielt - durch eine A-cappella-Version von Ich bin, was ich bin quälen? Kurzum: Das Stück wäre in der Musiktheatersparte deutlich besser aufgehoben gewesen.

Dorthin – und jetzt komme ich zum Positiven – hätten Steven Boreham (am Bass), Albrecht Ernst (am Saxophon), Damian Krebs (am Schlagzeug), Clemens Koch (an der Gitarre) und Jonas Timm (am Piano) gern mitkommen können, denn die Jungs verpassen den Nummern ein neuartiges, rockiges Sounddesign, welches das ganze Tatütata sensationell gegen den Strich bürstet. Ebenjene musikalisch mutige Frischzellenkur hätte auch der Szenerie gut getan. Schade.



Ein Käfig voller Narren im Schauspielhaus Neubrandenburg | Foto (C) Christian Brachwitz

Heiko Schon - 3. Juni 2023
ID 14230
EIN KÄFIG VOLLER NARREN (Schauspielhaus Neubrandenburg, 02.06.2023)
Musikalische Leitung: Jonas Timm
Inszenierung: Stephan Bruckmeier
Ausstattung: Alexander Martynow
Choreographie: Lars Scheibner
Dramaturgie: Joris Löschburg
Besetzung:
Georges … Thomas Pötzsch
Albin/ Zaza … Momo Böhnke
Claudine (Jacob) … Stephan Bruckmeier
Jean-Michel … Johann-Christof Laubisch
Anne Dindon … Josefin Ristau
Edouard Dindon … Dirk Schmidt
Marie Dindon … Angelika Hofstetter
Jacqueline … Anika Kleinke
Les Cagelles … Lothar Missuweit, Robert Will, Christoph Deuter, Karen Kanke, Felix Erdmann und Hendrike Stock
Live Band: Jonas Timm, Steven Boreham, Albrecht Ernst, Clemens Koch und Damian Krebs
Premiere war am 2. Juni 2023
Weitere Termine: 03., 04., 08.-11., 15.-18., 22.-25., 30.06./ 01., 02.07.2023


Weitere Infos siehe auch: https://tog.de/


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