Lust am
Musiktheater-
spielen
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Falstaff an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Iko FReese, drama-berlin.de
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Bewertung:
„Falstaff hat ein Happy End, strotzt vor Vitalität und Hoffnung und birgt so viel Freude in sich, dass es fast ein Kontrastprogramm zu den ersten 79 Jahren Verdi ist. Ending on a high note - aber was für einer!“ Was Barrie Kosky im Programmheft über Verdis Falstaff sagt, könnte man auch über Koskys 10-jährige Intendanz an der Komischen Oper Berlin, welche in zwei Monaten endet, sagen. Und weiter sagt er: „Es ist unmöglich, Falstaff zu spielen, ohne Falstaff zu lieben.“ Wieder ein Satz den man Kosky direkt in den Mund legen kann. Kosky liebt seine Sänger:innen, seine Musiker:innen! Er vergisst auch nicht die Inspizienten, Beleuchter und Regieassistenten bei der Premierenfeier vorzustellen und bejubeln zu lassen.
In Falstaff zeichnet Arrigo Boito nach der Vorlage Shakespeares ein unfassbar emotionales Spektrum. Sehnsucht und Melancholie, Zweifel und Selbstbewusstsein und über allem die strotzende Virilität eines Mannes, dessen beste Jahre, wie man so schön sagt, schon vorbei sind. Die Inszenierung beginnt in Falstaffs Küche. Falstaff fast nackt, nur mit einer Schürze begleitet ergötzt er sich an den köstlichen Zutaten und erlesenen Weinen. Nur, die Kasse ist leer, um Nachschub zu besorgen. Voller Ideen und mit Witz wird eine List erdacht. Alice Ford und Meg Page, zwei reiche Damen, sollen parallel erobert werden, um die finanzielle Situation im Hause des Ritters Falstaff zu verbessern und auch, um die Genusssucht des alten Herrn zu stillen. Zwischen den Akten in den Umbaupausen ergötzt sich eine Stimme im Vorlesen von Rezepten ausgewählter Speisen. Man kann die deutsche Übersetzung des erotisch überhöhten Italienisch mitlesen. So wird die Stimmung weiter in Richtung Genuss und Sinnesfreude angeheizt. Und auch in Richtung Witz und Humor. In Falstaff geht es nicht darum, im Elfenbeinturm zu reflektieren. Es geht um die Fähigkeit über sich selbst zu lachen und seine Probleme, Widersprüche und Fehler auszuhalten. Scott Hendricks als Sir John Falstaff bringt diese Fähigkeit schon mit. Uneitel mit sich selbst erträgt er Rückschläge und saugt seinen Honig auch aus bitteren Niederlagen wie zum Beispiel im Wäschesack in die Themse geworfen zu werden. Sein Kommentar dazu: hätte ich mir nicht so einen wohlgenährten Bauch angelegt, wäre ich sicher ertrunken. Der galante Günter Papendell als Ford muss solch lässige Lebensweisheit im Verlaufe des Stückes erst noch lernen. Musikalisch ist das Stück eine Art Anti-Ooper bezogen auf die Entstehungszeit. Kein großer vier- oder fünfaktiger Schinken mit Ouvertüre und Balletteinlagen. Musikalisch beginnt Falstaff wie das Leben ganz spontan und unvorbereitet. Organisch sind die Sänger:innen mit dem Orchester verzahnt. Ainārs Rubiķis schafft eine schwebende Leichtigkeit um teilweise zehn Menschen, die gleichzeitig singen, in verschiedenen Melodien und Metren...
Das alles ist ein großes Fest, und das wunderbare Bühnenbild und die witzigen Kostüme von Katrin Lea Tag sind das i-Tüpfelchen obendrauf. Diese Inszenierung muss man gesehen haben, das ist Lust am Musiktheaterspielen in reinster Form.
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Falstaff an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Iko FReese, drama-berlin.de
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Steffen Kühn - 2. Mai 2022 ID 13605
FALSTAFF (Komische Oper Berlin, 30.04.2022)
Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag
Dramaturgie: Olaf A. Schmitt
Chöre: David Cavelius
Licht: Franck Evin
Besetzung:
Sir John Falstaff ... Scott Hendricks
Ford ... Günter Papendell
Fenton ... Oleksiy Palchykov
Dr. Cajus ... Ivan Turšić
Bardolfo ... James Kryshak
Pistola ... Jens Larsen
Mrs. Alice Ford ... Ruzan Mantashyan
Nannetta ... Alma Sadé
Mrs. Quickly ... Agnes Zwierko
Mrs. Meg Page ... Karolina Gumos
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 30. April 2022.
Weitere Termine: 07., 12., 22., 28.05. / 05., 11., 25.06. / 09.07.2022
Koproduktion mit dem Festival d’Aix-en-Provence und der Opéra National de Lyon
Weitere Infos siehe auch: https://www.komische-oper-berlin.de/
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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