Der
untotkriegbare
Humor des
inzwischen
90-jährigen (!)
Multikünstlers
und Regisseurs
Achim Freyer
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Achim Freyer | Foto (C) Lucie Jensch
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Bewertung:
Nunmehr hat der inzwischen 90-jährige (!) Multikünstler und Regisseur Achim Freyer seine x-te Operninszenierung, die er gleich mal fünffach hinsichtlich Regie, Bühne, Kostüme, Licht und Video verantwortete, am Theater Altenburg-Gera realisiert - am Freitag war Premiere, und die Publikumsbegeisterung hierauf war geradezu überschwänglich, aber auch so war spürbar, dass v.a. die Ausführenden eine helle Freude an diesem ziemlich schräg gemachten und mitunter übergeschnappten Fliegenden Holländer hatten. Ein Gesamtkunstwerk!
(Ja und wie schaffte das der Intendant, dass er den Freyer für sein Haus gewann? Gera zählte bis da wohl kaum zu den verdächtigsten Häusern, die mit "sowas" international Furore zu machen glaubten - seit vorgestern scheint aber irgendwie eine neue Zeitrechnung für dieses wunderschöne Jugendstil-Theater angebrochen zu sein, also: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Feuilletons, jetzt rafft euch auf, macht einen Abstecher dorthin und schaut's euch einfach an!!)
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Das letzte Mal, dass ich eine Inszenierung Freyers live erlebte, war in Hamburg, wo er an der dortigen Staatsoper bei Parsifal für Regie, Bühne, Kostüme und Licht "gebucht" wurde - ein in jeder Hinsicht singuläres Erweckungserlebnis.
Aber nicht nur in puncto Wagner kannte/ kennt sich Freyer prima aus - siehe beispielsweise auch seinen futuristischen RING sowohl am Nationaltheater Mannheim wie kurz später in Los Angeles - , auch bei zig anderen Opern setzte er bildgewaltige Zeichen und tat mitunter seine hiervon oftmals völlig überforderten Zuschauer verstören; ich erinnere mich noch zu gut an die Buhgewitter sowohl nach seiner Salome (an der DOB) oder seinen Eugen Onegin an der Staatsoper Unter den Linden - hier, also in der Lindenoper, läuft übrigens noch immer die legendäre 1968er Berghaus-Inszenierung von Rossinis Barbier von Sevilla, für die er damals, erst 34-jährig, das nicht minder legendäre Bühnenbild und die Kostüme entwarf.
Als ehemaliger Brecht-Schüler hatte und hat er selbstredend auch ein sehr nachvollziehbares Faible fürs epische Sprechtheater. In der Peymann-Ära lieferte er am Berliner Ensemble etliche Bühnenbild- sowie Kostümentwürfe, und er inszenierte dort dann auch gelegentlich; bei einer seiner letzten BE-Produktionen dortselbst stieg ich dann allerdings vorübergehend aus: Seinen 2016er Abschlussball erachtete ich so als künstlerisches Endstadium von ihm; wenn ich das heute nochmal nachlese, tut es mir ungeheuer leid, dass ich so etwas schrieb, weil: Stimmte einfach nicht; siehe den aktuellen und noch immer anhaltenden Schaffensrausch bei diesem großartigen Mann!
Jetzt also Wagners Fliegender Holländer (seine allererste künstlerische Auseinandersetzung mit besagtem Werk, doch das nur nebenbei zu Protokoll gegeben):
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Der fliegende Holländer im Theater Gera - inszeniert von Achim Freyer | Foto (C) Ronny Ristok
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Wer sich mit der Freyer-Ästhetik einigermaßen auskennt, weiß, dass seine Bühnenbilder und Kostüme entweder grell-bunt oder schwarz-weiß von ihm auf Papppapier oder textilem Stoff gezeichnet und gemalt, mitunter gar gekrakelt werden; es sieht immer irgendwie naiv und kindlich aus, was er da jedesmal zusammenwerkt. Und prinzipiell ist alledem ein Großmaß an voraus- und nachgedachtem (und von ihm wahrscheinlich prinzipiell gelebtem) Witz gewissermaßen unter- oder überlegt. Natürlich wird das "etwas schwieriger" für diejenigen zu begreifen resp. zu verstehen sein, die mit so prinzipiellen künstlerischen Konzeptionsansätzen wenig oder gar nichts anzufangen wüssten.
Für das Geraer Theater sollte aktuell sein Plan in puncto Holländer zum allgemeinen Wohlgefallen (jedenfalls bei der Premiere) "störfrei" aufgegangen sein.
Die auf Heinrich Heine und andere Vorlagen des damaligen Biedermeier fußende Schauergeschichte tauchte Freyer konsequent und folgerichtig in beängstigendes Schwarz als "Farbgrundton". Interieurs oder Kostüme heben sich durch weiße Kontuierungen vom generellen Dunkel ab, das Geisterschiff wird als bemalte und zurechtgeschnittne Großpappe vom Schnürboden herabgelassen, ja und immer wenn die großen und beängstigenden Schauerchöre (der verfluchten Schiffsbesatzung) aus dem Lautsprecher erschallen, blicken ein paar weiß skizzierte Totenköpfe oberhalb der Reling, und das sieht dann in der Tat saukomisch aus. Allein das Lichtdesign bringt etwas Farbe in die allgemeinen Düsternisse, je nachdem wie sich die Stimmung der Agierenden aufheizt bzw. abkühlt.
Jede Menge optische Details auch, die das zuschauende Auge in ihrer Gesamtfülle kaum alle wahrzunehmen in der Lage ist - doch wer das eine oder andere zufällig dann erhaschte, freute sich wohl umso mehr hierüber...
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Ruben Gazarian dirigierte das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera, und seine Herangehensweise war beglückend flott und forsch, wobei er freilich auch auf das behaglich Leisere, Sensiblere behutsam achtzugeben wusste.
Der Holländer gilt nicht gerade als das Stück, das man so ohne Weiteres besetzen könnte, auf den sog. Weltbühnen wird beispielsweise immer wieder lang und intensiv nach einer "idealen" Senta Ausschau gehalten; es gibt wahrlich wenige Sängerinnen, die das Hochdramatische mit dem eigentlich mehr Lyrischen dieser (neben Isolde und Brünnhilde) doch gewagtesten Partie von Wagner koordinieren könnten - Anne Preuß stemmte die Rolle mit bewundernswerter Durchhalte, und ihre Stimme hatte/ hat was Angenehmes; kaum Vibrati, technisch gut erklimmte Höhen, und dass sie halt zwischendurch kurz "abrutschte", hatte wahrscheinlich mehr damit zu tun, dass sie sich noch in Rekonvaleszenz von einer heftigen Erkältung (wie es Intendant Kay Kuntze unfair nach statt vor der Vorstellung dem Publikum verkündete) befand, und so gesehen waren die vereinzelt argen und doch aggressiven Fan-Buhs nach dem Schlussvorhang völlig unangebracht.
Alejandro Lárraga Schleske verkörperte in absoluter Unbeweglichkeit, quasi als Geisterstatue, die Titelrolle, und sein stimmlicher Habitus konnte sich derart "unbeeindruckt" schön sonor und deutlich klar entfalten, angenehm zu hören.
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Alejandro Lárraga Schleske und Anne Preuß in Achim Freyers Inszenierung von Wagners Der fliegende Holländer am Theater Altenburg-Gera Foto (C) Rommy Ristok
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Philipp Mayer spielte einen mit Schuhplattler- und anderweitigen pantomimischen Gesten sich seiner anhaltenden Jugendlichkeit bewusst seienden Senta-Vater Daland; das machte er perfekt, und zudem klang er ziemlich gut.
Isaac Lee als Erik - für Freyer DIE tag- und nachtträumende Haupt- sowie Zentralfigur in seinem Holländer - befand sich permanent am linken vorderen Bühnenrand auf einer Art Jagdstand mit Behausung, aus dessen Tür er ständig auf- und abtrat; und immer, wenn er eine beziehungskistige Falle (durch den Holländer, quasi seinen Nebenbuhlen um die Gunst seiner Geliebten Senta) witterte, knallte er um so deutlicher die Tür dann immer wieder zu - und das entpuppte sich als humoristischer Knaller par excellence. Der Lee sang laut und über alle Maßen deutlich, und zum Schluss verdoppelte er sich sogar, und beide Eriks knallten sich schlussendlich gegenseitig mit 'ner Knarre ab, denn ohne Senta, die als Stoffpuppe "suizidal" vom rechts am Bühnenrand befindlichen Berggipfel flog, hätte das Leben für die zwei persönlichkeitsgespaltnen Eriks keinen Sinn gehabt.
Contraaltistin Eva-Maria Wurlitzer (als peitschenschwingende Spinnerinnenaufseherin Mary) wirbelte mit ihrer Rute derart schnell, dass es von vorn so aussah, als wäre sie höchstselbst ein sich drehendes Spinnrad; toll gemacht!
Last but not least sang/ mimte der Tenor Johannes Pietzonka den Steuermann, dessen Verschlafenheiten sich auch stimmlich irgendwie bemerkbar machten, doch was soll's.
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Alles in allem:
Aufs Dringendste zu empfehlen!!!!!
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Andre Sokolowski - 27. Oktober 2024 ID 14987
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER (Großes Haus Gera, 25.10.2024)
Musikalische Leitung: Ruben Gazarian
Regie, Bühne, Kostüme, Licht und Video: Achim Freyer
Mitarbeit Ausstattung: Moritz Nitsche
Mitarbeit Regie: Räy Lee
Choreinstudierung: Alexandros Diamantis
Dramaturgie: Sophie Jira
Besetzung:
Holländer ... Alejandro Lárraga Schleske
Senta ... Anne Preuß
Daland ... Philipp Mayer
Erik ... Isaac Lee
Steuermann ... Johannes Pietzonka
Mary ... Eva-Maria Wurlitzer
Opernchor des Theaters Altenburg-Gera
Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera
Premiere am Theater Altenburg-Gera: 25. Oktober 2024
Weitere Termine (in Gera): 27.10./ 10.11./ 08.12.2024// 03.01.2025
Weitere Infos siehe auch: https://theater-altenburg-gera.de/
https://www.andre-sokolowski.de
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