Peter Schlemihl
als Frau
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Die Frau ohne Schatten an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Matthias Baus
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Bewertung:
Viktor Schoners Experimentierfreude mit dem Hintergedanken, ein neues, jüngeres Publikum für die Oper zu gewinnen, lässt bei sieben Premieren im Jahr nicht viel Raum für das Kernrepertoire. Nun also Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss. Von Strauss steht nur noch Peter Konwitschnys zwischen Kopenhagen, Stuttgart und Leipzig wandernde Elektra auf dem Spielplan. Der letzte szenische Rosenkavalier hatte vor 14 Jahren Premiere. Und jedes Mal ist Hugo von Hofmannsthal mit im Gepäck. Ob Die Frau ohne Schatten als große Dichtung oder, wie der Jedermann, als schon zu Hofmannsthals Lebzeiten anachronistischer und ziemlich erbärmlicher, mit Symbolen überladener Kitsch zu betrachten sei, liegt wohl im Auge des Betrachters. Christoph Loy hat sich vor 12 Jahren in Salzburg der Festlegung entzogen, indem er das Libretto gar nicht erst inszeniert, sondern stattdessen eine historische Schallplattenaufnahme der Oper mit Karl Böhm in den Wiener Sofiensälen rekonstruiert hat.
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Die Frau ohne Schatten nimmt, wie der Titel bereits verrät, das beliebte Motiv des verlorenen oder verkauften Schattens oder Spiegelbilds auf, dessen bekannteste Verarbeitung wohl Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso ist. Bei Hofmannsthal und Strauss steht der Schatten für Gebärfähigkeit, die in diesem Kontext das Menschliche ausmacht und deren Abwesenheit Geister eben von Menschen unterscheidet. (Hier tut sich eine Verwandtschaft auch zu Rusalka auf.) Ideologiekritisch betrachtet besagt Hofmannsthals Libretto nicht mehr und nicht weniger als dies: Eine Frau, die sich der Mutterschaft verweigert oder zu dieser nicht fähig ist, ist kein Mensch. Das ist zwar reaktionär, aber reaktionär ist ja auch der Jedermann.
David Hermann inszenierte den Text, nicht, wenn man von dem eher rätselhaften Schlenker kurz vor dem Schluss absieht, seine Deutung. Die dreigeteilte niedrige Bühne von Jo Schramm hebt sich nach der ersten Szene und gibt den Blick frei, nein, nicht auf das Haus der Färbers, sondern auf einen kugelförmigen Bunker mit schmalen Fensterritzen. Die Figuren tragen Phantasiekostüme. Die misanthropische Amme, die am Ende, genau genommen: zu Unrecht, für ihre gut gemeinte Intrige bestraft wird, steht in dieser Aufführung buchstäblich im Zentrum.
Die Stuttgarter Oper ist in der glücklichen Lage, dieses nicht ganz einfache Werk mit Mitgliedern des Ensembles und Gästen auf höchstem Niveau besetzen zu können. Das gilt für Iréne Theorin als die Frau des Färbers ebenso wie für Simone Schneider als die Kaiserin – die titelgebende Frau ohne Schatten –, für Evelyn Herlitzius als die Amme ebenso wie für Benjamin Bruns als der Kaiser, für Martin Ganter als Barak, der Färber, ebenso wie für Michael Nagl in der kleinen Rolle des Geisterboten mit einem Tick, den Josefin Feiler als Hüter der Schwelle des Tempels kopiert.
Das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Cornelius Meister reduziert das Pathos, ohne in Trivialität zu verfallen. Eher betont es den schwelgerischen Charakter der Musik, ihre Legato-Seligkeit. Ganz ohne dramatische Steigerungen kommt Cornelius Meister freilich nicht aus, gegen Ende sowieso, aber auch, wenn vom verhassten Menschenduft die Rede ist.
Die Stuttgarter lieben ihre Operndirigenten. Das lässt sich auch bei Cornelius Meister nicht verhehlen. Er bekam den stärksten Applaus. Beim Regieteam mischten sich in den Beifall ein paar Buhs. Ob David Hermann für eine Fraktion immer noch nicht nah genug am Libretto war? Womit wir wieder bei dessen Qualität wären. Obwohl Hofmannsthal auch Komödien geschrieben hat, strotzt Die Frau ohne Schatten (wie übrigens auch der Jedermann) vor Humorlosigkeit. Die konnte (oder wollte) auch David Hermann nicht kompensieren. An deren Stelle musste er sich mit der doch etwas mühsamen Mystik anfreunden, die in dieser Oper provokanter daher kommt als, sagen wir, in The Turn of the Screw von Benjamin Britten.
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Die Frau ohne Schatten an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Matthias Baus
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Thomas Rothschild - 30. Oktober 2023 ID 14455
DIE FRAU OHNE SCHATTEN (Staatsoper Stuttgart, 29.10.2023)
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Regie: David Hermann
Bühne/Licht/Video: Jo Schramm
Kostüme: Claudia Irro und Bettina Werner
Dramaturgie: Ingo Gerlach
Chor: Manuel Pujol
Kinderchor: Bernhard Moncado
Besetzung:
Der Kaiser ... Benjamin Bruns
Die Kaiserin ... Simone Schneider
Die Amme ... Evelyn Herlitzius
Der Geisterbote ... Michael Nagl
Ein Hüter der Schwelle des Tempels/ Stimme des Falken ... Josefin Feiler
Erscheinung eines Jünglings ... Kai Kluge
Eine Stimme von oben ... Annette Schönmüller
Barak, der Färber ... Martin Gantner
Sein Weib ... Iréne Theorin
Der Einäugige ... Paweł Konik
Der Einarmige ... Andrew Bogard
Der Bucklige ... Torsten Hofmann
Dienerinnnen, Kinderstimmen, Stimmen der Ungeborenen: Alma Ruoqi Sun, Kyriaki Sirlantzi, Fanie Antonelou, Shannon Keegan, Deborah Saffery und Itzeli Jáuregui
Die Stimmen der Wächter der Stadt: Torsten Hofmann, Paweł Konik, Michael Nagl und Andrew Bogard
Kinderchor der Staatsoper Stuttgart
Chor der Staatsoper Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart
Premiere war am 29. Oktober 2023.
Weitere Termine: 01., 05., 11., 26.11./ 02.12.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de/
Post an Dr. Thomas Rothschild
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