Frau mit
Hexen-Gen
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Olesya Golovneva (als Silvana) in Ottorino Respighis La fiamma an der DOB | Foto: Monika Rittershaus; Detailansicht
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Bewertung:
Christof Loy, einer der beständigsten und verlässlichsten Opernregisseure unserer Tage, überschreibt das zugegebnermaßen etwas kompliziert-überkomplexe Stückgeschehen von La fiamma, dem letzten großformatigen Opus des italienischen Komponisten Ottorino Respighi (1879-1936), so hier:
"Die Handlung [...] spielt während der Auseinandersetzungen zwischen dem oströmischen und dem weströmischen Reich, zu einem Zeitpunkt, als große Teile Italiens zum Einzugsbereich von Byzanz gehörten. Als Stellvertreter Ostroms ist der Exarch Basilio eingesetzt, der schon vor vielen Jahren mit seiner Familie Konstantinopel auf kaiserlichen Befehl verließ. Mittlerweile ist seine erste Frau verstorben und sein Sohn Donello verbringt seine Studienjahre in Konstantinopel. Schließlich hat Basilio gegen den Willen seiner Mutter Eudossia die sehr viel jüngere, aus einfachen Verhältnissen stammende Silvana geheiratet. Nun lebt Silvana schon mehrere Jahre im Haus ihres Mannes Basilio, gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter, die ihre Abneigung gegen die junge Frau nie ablegen konnte." (Quelle: Programmheft)
Der opernreife Hauptkonflikt [s.o.] liegt demnach eindeutig auf der Hand:
Die Schwiegermutter (Eudossia: Martina Serafin) hasst die Schwiegertochter (Olesya Golovneva: Silvana) und tut alles, um's ihr schwer zu machen - das fängt schonmal damit an, dass sie ihr, ähnlich wie die Küsterin gegen Jenufa, hauswirtschaftlich determinierte Vorwürfe und Vorhaltungen macht; das lässt sie zwar rein vordergründig an den Mägden aus, soll aber hintergründig die in hauswirtschaftlichen Dingen vor sich hin schlampende Gattin ihres leiblichen Sohnes (Basilio: Ivan Inverardi) meinen. Erstklassiger Küchen-Kleinkrieg, wie es ihn auch heutzutage unbeendbar gibt.
Doch plötzlich bricht sich in La fiamma wie der Blitz aus heitrem Himmel ein ganz anderer und ungleich größerer Konflikt auf das Brachialste Bahn: Ein aufgehetzter Volksmob (Chor der Deutschen Oper Berlin, einstudiert von Jeremy Bines) ist auf der Hexenjagd, und die Gejagte (Doris Soffel als Agnese di Cervia) findet Unterschlupf im Hause des Basilio, aber nur für kurz, denn dort wird sie von dem ihr hinterherjagenden Volksmob prompt gestellt, ja und noch während ihr die Flammen aus dem Scheiterhaufen nach und nach den Garaus machen, behauptet sie, dass die Mutter von Silvana auch eine Hexe gewesen sein soll und deren Tochter, also Silvana, die ihr kurz zuvor noch diesen Unterschlupf gewährte, sich noch wundern würde, was mit ihr höchstselbst in dem Betreff, sprich Hexerei, passierte - und so endet justament der Erste Akt.
Inzwischen schlägt dann auch Donello (Großmutters Lieblingsenkel: Georgy Vasiliev) in La fiamma auf und verliebt sich in Schwiegermutters Schwiegertochter (= Silvana), die gleichsam als Stiefmutter ihres Geliebten (= Donello) gilt; die beiden kannten sich dann allerdings bereits aus ihren frühsten Kindertagen - und so endet halt der Zweite Akt im Beischlaf zwischen den zwei Kombattanten; merkwürdig war freilich, wie Donello wie auf Knopfdruck plötzlich zwecks des von Silvana gieriger denn je herbeigesehnten Beischlafs "auf der Matte stand"; und hatte sie ihn gar hierzu heraufbeschworen? Ist und bleibt sie also auch, wie ihre Mutter früher, eine Hexe??
Der Dritte Akt klärt nunmehr alles soweit auf, d.h. dass Schwiegertochters Schwiegermutter die "verbotene" Beziehung (= Stiefmutter schläft mit Stiefsohn) aufdeckt und jene Verhasste sowohl bei ihrem Sohn als auch bei ihrem Enkel und beim Bischof (Manuel Fuentes) und dem Exorzisten (Patrick Guetti) und noch vielen anderen der Hexerei bezichtigt - und das war's dann für Silvana...
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Irre Handlung, irre Musik!!
Es gibt kaum leise also besinnliche(re) Stellen, zumeist singen sie alle laut mit voller Kraft voraus. Das hierfür hochextrem geschulte Personal stand dem italienischen Stardirigenten Carlo Rizzi vollumfänglich zur Verfügung; das Orchester der Deutschen Oper Berlin musizierte in erwartbarer Bestform.
Die Inszenierung Loys begnügte sich mit einer irgendwie abstrakt wirkenden In-die-Gegenwart-Versetztheit, wollte sich demnach "gesellschaftspolitisch" nirgendwo festlegen.
Herbert Murauer hatte die Saaltäfelung der DOB auf seiner zweietagigen Cinemascope-Bühne (erste Handlungshöhe nach drei Treppenstufen, zweite Handlungshöhe nach weiteren vier Treppenstufen) fortgesetzt; die obere Querleinwand zeigte ab und zu eine schöne grüne wilde Wiese, und von links und rechts wurde die Aktionsfläche über den unteren drei Treppenstufen immer wieder mal von herein und heraus fahrenden Saaltäfelungsbarrieren abgeschirmt.
Barbara Drosihn kreierte zeitlose Kostüme in Schwarz, wobei Silvanas Kleid fast wie das Kleine Schwarze von Coco Chanel aussah, nur dass es kniebedeckter also doch dann unauthentisch war.
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Das Publikum (und ich!) waren begeistert über diese hochsportife Ausgrabung.
Nochmal würde ich mir diesen Schinken freilich nicht antun.
Übersättigungsgefahr.
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Ottorino Respighis La fiamma an der DOB | Foto (C) Monika Rittershaus
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Andre Sokolowski - 30. September 2024 ID 14945
LA FIAMMA (Deutsche Oper Berlin, 29.09.2024)
Musikalische Leitung: Carlo Rizzi
Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Herbert Murauer
Kostüme: Barbara Drosihn
Licht: Fabrice Kebour
Chöre: Jeremy Bines
Einstudierung des Kinderchors: Christian Lindhorst
Dramaturgie: Konstantin Parnian
Besetzung:
Silvana ... Olesya Golovneva
Donello ... Georgy Vasiliev
Basilio ... Ivan Inverardi
Eudossia ... Martina Serafin
Agnese di Cervia ... Doris Soffel
Monica ... Sua Jo
Agata ... Cristina Toledo
Lucilla ... Martina Baroni
Sabina ... Karis Tucker
Zoe ... Caren Van Oijen
Exorzist ... Patrick Guetti
Bischof ... Manuel Fuentes
Mutter ... Caitlin Gotimer
Tenor solo ... Chance Jonas-O'Toole
Agnese di Cervia auf dem Scheiterhaufen ... Silvia Pohl
sowie Andrea Spartà, Nicolas Franciscus und Koray Tuna
Kinderchor, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 29. September 2024.
Weitere Termine: 02., 07., 11., 15., 18.10.2024
Weitere Infos siehe auch: https://deutscheoperberlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
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