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Premierenkritik

Suizid



MESSIAS an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Jan Windszus Photography

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Der Komischen Oper Berlin, die die überlange Interimszeit bis zur etwaigen Wiedereröffnung (?!) ihres zu rekonstruierenden Stammhauses in der Behrenstraße außer im Schillertheater noch in anderen Ausweichstätten kreativ verbringt, ist jetzt mit ihrem MESSIAS erneut ein sowohl auswärtiger wie auch aufsehen- und aufhorchender Clou geglückt:


"Eigentlich ist Händels Oratorium Messiah eine Reflexion über die christliche Erlösungsidee. Doch Damiano Michielettos Inszenierung MESSIAS verlässt den religiösen Rahmen und erzählt eine 'menschlich, allzu menschliche' Geschichte. Im Mittelpunkt steht der Kampf der krebserkrankten Brittany Maynard, die im Angesicht des Todes um ihr selbstbestimmtes Leben bis zum selbstgewähltem Ende kämpft. Nicht religiöse Auferstehung bestimmt Michielettos MESSIAS, sondern das Erleben von Freiheit auf einem persönlichem unabwendbarem Leidensweg." (Quelle: komische-oper-berlin.de)


Der nicht zum ersten Mal an der KOB arbeitende Regisseur (Cindrillon, 2016) stieß vor etwa zehn Jahren auf jene authentische Geschichte [s.o.], die durch zig Gazetten ging, und ihn beeindruckten v.a. Brittanys Zeugnisse, die sie der Nachwelt auf YouTube hinterlassen hatte; insbesondere ging es um die Tatsache, dass sie von Kalifornien nach Oregon umziehen musste, um letztendlich die Medikamente zu erhalten, die ihr ihren selbstbestimmten Freitod ermöglichten; in den meisten US-Bundesstaaten steht ärztlich begleiteter Suizid nach wie vor unter Strafe; auch in Deutschland kann man sich nicht "ohne Weiteres" aus dem Leben stehlen, es sei denn, dass man es auf herkömmlich-brutale Weise (selbst erschießen, erhängen, ertränken usw.) praktiziert. Ein herausforderndes Dilemma für Betroffene und ihre Angehörige.

In seinem MESSIAS-Stück (Dramaturgie: Mattia Palma und Daniel Andrés Eberhard) verteilt der Regisseur die Handlung auf fünf gleichberechtigte Personen plus einer aus sage und schreibe 360 Choristinnen und Choristen bestehenden öffentliche Meinung. Und so treten auf: die hirntumorkranke Frau (geschauspielert von Anouk Elias), deren Eltern (gesungen und gespielt von Rachael Wilson und Tijl Faveyts), der Freund oder Ehemann der Frau (gesungen und gespielt von Julien Behr) und die Onkologin sowie spätere ärztliche Sterbebegleiterin (gesungen und gespielt von Julia Grüter).

Sämtliche Rezitative, Arien, Duette und Chöre aus dem Händel'schen Messias ordnen sich Obigem unter, und das teils Verrückte ist, dass das meiste vom gesungenen Libretto irgendwie dann, stellenweise sogar punktgenau, zur Handlung passt. Zwischendurch erfolgen englische Sprechtexte (vorgelesen von Katharina Sporrer), die das Innen-Ich der Todgeweihten auf das Hochemotionalste preisgeben; wahrscheinlich waren/ sind diese Zitate Brittanys Originalaussagen entnommen oder nachempfunden worden; der Beipackzettel gibt hierüber keine eindeutige Auskunft.

Eine der erschütterndsten und gleichsam überzeugendsten Szenen dieses Großspektakels - in dem 5,4 Hektar großen, 18 Meter hohen und 1.700 Zuschauerinnen und Zuschauer fassenden Hangar 4 des Flughafens Tempelhof - beginnt mit der Hereinfuhr eines MRT-Gerätes, in dem der ausstreuende Hirntumor der jungen Frau von der ihn bestätigenden Onkologin definitiv festgestellt und sich die Betroffene nach vollzog'nem Scan darüber bewusst wird, dass sie nur noch höchstens 6 Monate zu leben hätte; und wie sie das ihren Eltern und ihrem Geliebten mitteilte und wie sie sich darauf hilflos und traurig in den Armen liegen, und wie definitiv der Suizid-Entschluss gefasst wurde...

Das alles packt einen dann schon.

*

Musikalisch geleitet wurde die Großaktion von George Petrou; er ist der Leiter der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen, kennt sich daher wohl in der Materie bestens aus.

Sämtliche Akteurinnen und Akteure trugen unscheinbare Mikros; die Tontechnik verteilte all ihr Gesungenes über zig Lautsprecherboxen in den weiten Raum.

Problematisch war, dass v.a. wegen dieses kaum zu überblickenden und zu bespielenden Großfelds eine adäquate Klangsynchronität schier unerreichbar zu sein schien, d.h. dass es zwischen dem eigentlich sensationell gut musizierenden Orchester der Komischen Oper Berlin und dem geballten "Rest" an vokal Auszuführenden erhebliche Koordinationsprobleme gab. Entweder hatte es den Eindruck, dass die Sängerinnen und Sänger teils schleppten oder dem Orchester teils voraus waren.

David Cavelius studierte die Hundertschaften an Chören [Namen aller beteiligten Chöre s.u.] ein - im diesbezüglichen Zentrum freilich die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin.

Ein gigantischer hoch und runter schwebbarer elyptischer Leuchtring bestimmte die Bühnenausstattung von Paolo Fantin.

Die Alltagskostüme entwarf Klaus Bruns.

Beim finalen "Amen" regnete die Sprinkleranlage tränenreich.

Zum Heulen schön.



MESSIAS an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Jan Windszus Photography

Andre Sokolowski - 22. September 2024
ID 14932
MESSIAS (Flughafen Tempelhof, Hangar 4 - 21.09.2024)
Musikalische Leitung: George Petrou
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühnenbild: Paolo Fantin
Kostüme: Klaus Bruns
Choreografie und Co-Regie: Thomas Wilhelm
Dramaturgie: Mattia Palma und Daniel Andrés Eberhard
Chöre: David Cavelius
Licht: Alessandro Carletti
Sounddesign: Holger Schwark
Mit: Julia Grüter (Sopran), Rachael Wilson (Alt), Julien Behr (Tenor), Tijl Faveyts (Bass) und Anouk Elias (Die Frau)
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin in Zusammenarbeit mit dem Berliner Konzert Chor, dem Vokalensemble Sakura, der Kantorei Karlshorst der ev. Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde Lichtenberg, dem Konzertchor Friedenau, dem Apollo-Chor der Staatsoper Unter den Linden, dem Chor Unität, dem Händelchor Berlin, der ORSO - Orchestra and Choral Society Berlin und Sänger:innen aus der Berliner Chorszene
Premiere an der Komischen Oper Berlin: 21. September 2024
Weitere Termine: 24., 25., 27.-29.09./ 02.-06.10.2024
In Kooperation mit Chorverband Berlin


Weitere Infos siehe auch: https://www.komische-oper-berlin.de


https://www.andre-sokolowski.de

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