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Carl Rumstadt als ein Mann in Vespertine von Björk - im Schauspielhaus Bad Godesberg | Foto © Matthias Jung

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Wer online aktuelle Tourdaten der Pop-Ikone Björk sucht, wird als rare Konzertgelegenheit mitunter auf den Vespertine-Abend im Schauspielhaus Bad Godesberg geleitet. Am 5. April feierte hier eine musikalische Performance Premiere, die das vierte Studioalbum der heute 59-jährigen Isländerin orchestral und gesanglich neu umsetzt. Erstmals war 2018 am Nationaltheater Mannheim eine verwandte Produktion zu sehen, auch hier ohne direkte Beteiligung der Musikproduzentin und Komponistin selbst.

Der Albumtitel vespertine leitet sich vom lateinischen Adjektiv vespertīnus ab, das sich mit „Abends“ übersetzen lässt. Eine Vesper gilt auch als Abendgebet. Das vierte Studioalbum der Künstlerin erschien 2001. Eine Innerlichkeit, Ruhe und Intimität zeichnet das Opus aus und grenzt es von weniger minimalistischen Vorgänger-Platten ab. Björk nannte ihr Album in Selbstaussagen ein “Winteralbum“ und einen “Kokon“. Nach „Hidden Place“ und „Pagan Poetry“ war „Cocoon“ die dritte Single zum Album.

Die Pop-Künstlerin arbeitete drei Jahre an der Platte. Sie schrieb Songs für vespertine während der Dreharbeiten zu Lars von Triers Dancer In The Dark (2000). Im dänischen Kinodrama spielte sie die Hauptrolle und komponierte auch den Soundtrack. Sie war in der Zeit des Songwritings frisch mit dem Medienkünstler Matthew Barney zusammen und brachte 2002 die gemeinsame Tochter Ísadóra zur Welt. 2002 war sie für vespertine für den Grammy für das Best Alternative Music Album nominiert. Mit insgesamt acht Nominierungen in dieser Kategorie hält Björk bis heute den Rekord als meistnominierte Künstlerin ohne Auszeichnung.

Björks introvertiertes Album handelt von Sexualität und Intimität, von der neuen Liebe zu einem Mann und einhergehenden erotischen Sehnsüchten. Am Theater Bonn wird das Album mehrdeutig und assoziationsreich auf einen größeren Kontext erweitert. Die opernartige Performance-Adaption dreht sich um Naturwesen im ewigen Eis, ein höheres Weltverständnis, Forschung und Einsamkeit vor dem Hintergrund weiter Polarlandschaften:

Eine Biologin untersucht in einer Polarstation eine tödliche Hirschkrankheit. Die Schweizer Sopranistin Nicole Wacker verkörpert die Hauptfigur. Sie übersetzt Björks charakteristisch kippenden, sprunghaften und hochemotionalen Ausbrüche der Stimme in getragenen Operngesang mit nuancenreichen Schwankungen. Björks mädchenhafter, mitunter flüsternder oder gehauchter, stets dramatischer Gesang wird auch von Ava Gesell arienartig mit wohltemperierten Timbre interpretiert. Die Sopranistin, die dem Bonner Ensemble seit 2020 angehört, mimt eine Doppelgängerin der Polarforscherin. Die einsame Forscherin und ihre Doppelgängerin werden von Phantasien und Träumen heimgesucht, die theatral nachgestellt werden. Ein Junge (Karl Kristiansen) und ein „Hirschmann“ (audrucksstark: Bariton Carl Rumstadt) hinterlassen hierbei nachhaltige Eindrücke.

Das Ensemble Musikfabrik ist als Orchester rechts seitlich auf der Bühne platziert. Das kammermusikalisch mit Streichern, Harfen und Schlagwerk besetzte Orchester spielt klangfarbenreich und präzise unter der musikalischen Leitung von Hermes Helfricht. Björks Songs werden erweitert und variiert. Fein gewebte und experimentelle Sounds vibrieren im Raum. Ein Frauenchor, der auf der Bühne die meiste Zeit nicht sichtbar ist, steuert raunend und suggestive schwirrend helle Klänge bei. André Kellinghaus hat mit dem Chor die theatralischen und sphärischen Gesangslinien einstudiert.

Der Abend am Schauspielhaus Bad Godesberg ist vom Dekor recht bieder gestaltet (Bühne: Eylien König), bedenke man, dass Björk selbst gerne avantgardistisch auftritt. Eine links platzierte Iglu-Behausung gibt, sich drehend, Einblicke in häuslich einfache Innenräume frei. Ein weißes, auf der Bühne liegendes Laken symbolisiert Schnee und wird im Stückverlauf emporgehoben und wieder abgelegt. Menschengroße Puppen kommen zum Einsatz. Hirschgeweihe werden auf- und wieder abgesetzt.

Die Musik steht klar im Vordergrund. Das Publikum kann so getrost auch mal die Augen schließen und die oft ein bisschen vorhersehbare Bühnenhandlung ausblenden. Klanglich erinnern einige Darbietungen mitunter nur entfernt an Björk. Trotzdem lassen die sanften, zurückhaltenden, sogar behaglichen Melodien das Opus aus einer höchst kreativen Schaffensperiode der Künstlerin Revue passieren: Das Kommando Himmelfahrt fängt die gesteigerten Wahrnehmungen einer Frau, ihre verhaltene Sehnsucht und melancholische Einsamkeit, mit eindringlichen Klängen und ausgewählten Bildern atmosphärisch stimmungsvoll ein.



Hermes Helfricht und das Ensemble Musikfabrik in Vespertine von Björk am Schauspielhaus Bad Godesberg © Matthias Jung

Ansgar Skoda – 11. April 2025
ID 15225
VESPERTINE (05.04.2025, Schauspielhaus Bad Godesberg)
Musikalische Leitung: Hermes Helfricht
Regie: Kommando Himmelfahrt (Julia Warnemünde, Jan Dvořák, Thomas Fiedler)
Bühne: Eylien König
Kostüme und Puppen: Kathi Maurer
Video: Carl-John Hoffmann
Dramaturgie: Julia Warnemünde
Choreinstudierung: André Kellinghaus
Besetzung:
Eine Wissenschaftlerin ... Nicole Wacker
Ihre Doppelgängerin ... Ava Gesell
Ein Junge ... Karl Kristiansen
Ein Mann ... Carl Rumstadt
Damen des Hauschores des Theater Bonn
Statisterie des Theater Bonn
Ensemble Musikfabrik
Premiere war am 5. April 2025.
Weitere Termine: 20.04./ 10., 23., 25., 29.05.2025

Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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