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Ballett

William

Forsythe

war da



Polina Semionova und Gregor Glocke in Approximate Sonata 2016 von William Forsythe | Foto (C) Yan Revazov

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Der US-amerikanische Tänzer und Choreograf William Forsythe (75) gilt - spätestens seit den 1980ern - als Vorkämpfer und Lichtgestalt des zeitgenössischen Tanzes. Laienhaft ausgedrückt könnte man seinen Stil auch als "Modern auf Spitze" bezeichnen; heißt, dass er Elemente des klassischen Balletts zu elektronischen Klangstrukturen (bevorzugt von seinem langjährigen Komponistenfreund Thom Willems kreiert) oder populär sich anhörenden Rhythmen oder Songs be-nutzt.

Er leitete und prägte 20 Jahre lang das (bis zu seiner Auflösung existierende) Ballett Frankfurt, danach gründete er seine eigene Forsythe Company mit Spielorten in Frankfurt am Main sowie dem Festspielhaus Hellerau.


"Die zu Beginn der fünfziger und sechziger Jahre anhaltende Wandlung des Balletts vom klassischen zum neo-klassischen war an seine Grenzen gekommen. Auf der permanenten Suche nach Neuem gelang es Forsythe, diese Stagnation zu unterbrechen und eine Zäsur zu setzen. Das Vokabular des klassischen Balletts ergänzte Forsythe, indem er die Zuordnung des Körpers, alleine zum Zuschauer hin, aufhob und plötzlich für die Seitengasse oder gar das Rückportal tanzen ließ. War es bisher vor allem das Brustbein, das zum Zuschauer zeigen sollte, so waren es nun alle Gliedmaßen und alle Richtungen, die eine wesentlich Rolle zu spielen hatten.

Daraus ergab sich eine unendliche Bewegungs- und Raumvielfalt, die dem Balletttänzer so bis dahin fremd war. Befreit von Ablenkendem hat sich so das Ballett neu konstituiert. Viele Ballette von Forsythe enthalten nur spärliches Bühnenbild (z. B.
Limb’s Theorem), wodurch dem Tänzer an sich nochmals mehr Bedeutung entgegengebracht wurde. Hat sich in den frühen sechziger Jahren Wieland Wagner um die Entstaubung der Darstellung in der Oper verdient gemacht, so war es Forsythe, der begann, im Ballett mit Konventionen zu brechen. Ausgeklügeltes Licht versetzte Tänzer in eine noch nie dagewesene Silhouette. Teils scherenschnittartig, seitlich teilausgeleuchtet oder auch mal mit Bühnenarbeitslicht, erschuf er eine noch nicht gekannte Wahrnehmung getanzter Körper. Der Bruch mit dem Abonnementspublikum, die kurze Egon-Madsen-Zeit (1981–1984), hielt sich mindestens drei Jahre mit sehr starken Unmutsäußerungen. In den alten Stuttgarter Produktionen, die noch aus der Madsen-Zeit in Frankfurt im Repertoire blieben, wurde William Forsythe das eine oder andere Mal sogar als Tänzer entdeckt."

(Quelle: Wikipedia)


*

Das Staatsballett Berlin brachte nunmehr drei Klassiker aus dem Forsythe'schen Fundus zur Wiederaufführung - und der Maestro war sich nicht zu schade, sie höchstpersönlich mit den Tänzerinnen und Tänzern zu proben.

Am überzeugendsten und gleichsam betörendsten wirkte (jedenfalls auf mich) seine Approximate Sonata 2016: Nach und nach traten vier Paare auf und vollführten traumhaft schöne Pas de deux, die vom lebendigen Ernst, aber auch von körperlicher Lust und Freude sich gegenseitig liebender oder begehrender Menschen erzählten; und es war dann schon beeindruckend, diesen acht Tänzerinnen und Tänzern zuzusehen, wie sie all das nachzuvollziehen suchten: Michelle Willems & Matthew Knight, Aurora Dickie & Jan Casier, Polina Semionova & Gregor Glocke [s. Foto o. re.] sowie Weronika Frodyma & Cohen Aitchison-Dugas.

Danach - angereichert von elektronischen Klängen, die der Musiker Nils Mudde live aus dem Hintergrund erzeugte - erfolgte zu Beginn des Tanzstücks One Flat Thing, reproduced ein schier ohrenbetäubender Lärm, als die aus dem Dunkel nach vorn strömende Company 15 Tische herbeischleifte, um auf/ unter/ neben selbigen einer Art von kollektivem Ekstatisierungschaos zu frönen. Angeblich "handelte" es sich um Forsythes choreografische Interpretation einer gescheiterten Südpol-Expedition anno 1912. Die Akteure trugen auffällig bunten Alltagslook. Und so, wie sie mit den Tischen angestürmt kamen, entschwanden sie nach der sportiv arg aufgeladenen Performance wiederum zurück ins Dunkel; und das Publikum geriet postwendend gänzlich aus dem Häuschen.



One Flat Thing, reproduced von William Forsythe - mit dem Staatsballett Berlin | Foto (C) Yan Revazov


Nach der Pause dann ein weiterer Forsythe-Klassiker; das Stuttgarter Ballett reanimierte Blake Works I vor Kurzem erst für seinen dreiteiligen Themen-Abend Shades of Blue and White.

Und was passierte?

Sieben relativ belanglose Songs des sich mehr oder weniger angenehm anhörenden James Blake wurden über Lautsprecherboxen in den Saal gespült, zum Schluss hin konnte ich Blakes weinerliche Stimme kaum noch ertragen; aber egal. Zu diesem Potpourri tanzten dann alle aus der Company - abwechselnd auch als Pas de trios (Polina Semionowa, Haruka Sassa, Danielle Muir) oder Pas de deux (Haruka Sassa & Alexei Orlenco sowie Polina Semionowa & Martin ten Kortenaar) - mit himmelblaugrauen Röckchen (die Damen) und entsprechenden Trikots (die Herren); nur Alexei Orlenco "tanzte etwas aus der Reihe", denn er hatte als Einziger einen grünen T-Shirt an.

Nicht enden wollender Jubel am Schluss, vor allem als William Forsythe selber vor den Vorhang trat.

Großer Bahnhof, ein Ereignis.



Blake Works I von William Forsythe - mit dem Staatsballett Berlin | Foto (C) Yan Revazov

Andre Sokolowski - 17. Februar 2024
ID 14606
WILLIAM FORSYTHE (Deutsche Oper Berlin, 16.02.2024)
Choreographien von William Forsythe


Approximate Sonata 2016
Choreographie: William Forsythe
Musik: Thom Willems
Bühne und Licht: William Forsythe
Kostüme: Stephen Galloway
Einstudierung: Stefanie Arndt und Thierry Guiderdoni
Bühnen- und Lichteinrichtung: Tanja Rühl
Toneinrichtung: Niels Lanz
Mit: Michelle Willems, Matthew Knight, Aurora Dickie, Jan Casier, Polina Semionova, Gregor Glocke, Weronika Frodyma und Cohen Aitchison-Dugas
UA mit dem Ballett Frankfurt: 20. Januar 1996
UA der revidierten Fassung mit dem Ballett der Pariser Oper: 4. Juli 2016


One Flat Thing, reproduced
Choreographie: William Forsythe
Musik: Thom Willems
(live aufgeführt von Niels Mudde)
Bühne und Licht: William Forsythe
Kostüme: Stephen Galloway
Einstudierung: Thierry Guiderdoni, Ayman Harper, Eva Dewaele und Alexandre Simões Bühnen- und Lichteinrichtung: Tanja Rühl
Toneinrichtung: Niels Mudde
Mit: Tänzerinnen und Tänzern des Staatsballetts Berlin
UA mit dem Ballett Frankfurt: 2. Februar 2000

Blake Works I
Choreographie: William Forsythe
Musik: James Blake
Bühne: William Forsythe
Licht: Tanja Rühl
Kostüme: Dorothee Merg und William Forsythe
Einstudierung: Stefanie Arndt, Ayman Harper und Yannick Sempey
Bühnen- und Lichteinrichtung: Tanja Rühl
Toneinrichtung: Niels Lanz
Mit: Tänzerinnen und Tänzern des Staatsballetts Berlin
UA mit dem Ballett der Pariser Oper: 4. Juli 2016

Premiere mit dem Staatsballett Berlin war am 16. Februar 2024.
Weitere (Berliner) Termine: 19., 23.02./ 04., 10., 13., 14.03./ 01., 06., 09.04.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsballett-berlin.de


https://www.andre-sokolowski.de

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