Mittelalterliche Analphabetin
probiert modernen Engel aus
WRITTEN ON SKIN von Martin Crimp (Text) und Sir George Benjamin (Musik) an der Deutschen Oper Berlin
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Bewertung:
Es waren einmal ein Gutsbesitzer (Protector) und sein "leibeigenes" junges Mädchen (Agnès), das die Schwester von Marie und gleichsam Schwägerin von John, dem Mann von Agnès' Schwester, war; der Protector war angeblich reich und brutal, und Agnès konnte außerdem weder lesen noch schreiben... Da kam ein engelgleicher Wanderer des Weges (The Boy) und brachte das bis dahin außerordentlich harmonische Zuzweitsein von Protector/Agnès durcheinander; er wurde vom Protector als Ghostwriter engagiert und sollte diesbezüglich aufschreiben bzw. illustrieren, was für ein toller Kerl der Protector war und ist, sowas wie eine geschönte Autobiografie, wenn man im Nachhinein so will.
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Written on Skin von Martin Crimp (Text) und Sir George Benjamin (Musik) kannte ich schon von einem Livestream her - die Oper Köln konnte die damalige Premiere, die für den 1. 12. 2020 angesetzt war, wegen des Lockdowns leider nur ins Internet übertragen. Ich war berauscht von der Musik mit all ihren sphärischen Verinnerlichungen und explosiven Aufgereiztheiten; unter Hifi-Kopfhörern erfährt sich so ein emotionaler Angriff freilich fast noch besser als "in echt" und live vor Ort.
Nunmehr, da ich das anderhalbstündige Werk zum ersten Male "richtig" auf der Bühne sehen und aus dem Orchestergraben hören konnte, gestalteten sich meine sinngerichteten Sortierungen ganz anders - und ich richtete den Fokus mehr auf das zu Sehende als das zu Hörende, denn:
Katie Mitchells 2012er Uraufführungsinszenierung vom Festival d' Aix-en-Provence (für die DOB einstudiert von Dan Ayling) wurde gezeigt. Ihre Ausstatterin Vicky Mortimer baute eine zweistöckige Bühne mit je zwei bespielbaren Binnenräumen, also zwei oben, zwei unten, wobei die beiden auf der linken Bühnenseite einen in Schwarz-Weiß beleuchteten Gegenwarts- und die beiden auf der rechten Bühnenseite einen in Sepia getauchten mittelalterlichen Vergangenheitsbezug assoziierten. Das machte dahingehend Sinn, weil das besagte Buch der Bücher [s. Ghostwriter-Abschnitt oben] zum einen die heutigen und zum anderen die früheren Paradies & Hölle meinten oder meinen sollten, und was das betrifft, hätte und hat sich seither nicht sehr viel geändert - behauptete der engelgleiche Junge als das Alter Ego Martin Crimps.
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Written on Skin von George Benjamin - an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bernd Uhlig
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Dirigent Marc Albrecht war für die musikalische Einstudierung zuständig. Das bläser- und schlagzeugstarke Orchester der Deutschen Oper Berlin wurde zusätzlich bereichert durch den instrumentalen Einsatz einer Bassgambe und einer Glasharmonika; die beiden ließen sich nicht überhören, und es wäre daher nett gewesen, wenn die Beipackzettelredaktion die Namen jener zwei Solisten ausgewiesen hätte.
Mark Stone sang/ spielte den Protector, Georgia Jarman die Agnès und Aryeh Nussbaum Cohen den engelgleichen Jungen - alle drei spektakulär gut!!!
Auch Anna Werle (als Marie) und Chance Jonas-O'Toole (als John) standen dem o.g. Trio in keiner Weise nach.
Das "Archiv der Engel" wurde von Leander Gaul, Yasmina Giebeler, Milli Keil und Maximilian Reisinger gesungen.
Starker Beifall.
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Andre Sokolowski - 28. Januar 2024 ID 14576
WRITTEN ON SKIN (Deutsche Oper Berlin, 27.01.2024)
von George Benjamin
Text von Martin Crimp nach dem anonymen okzitanischen Text Guillem de Cabestanh – Le cœur mangé aus dem 13. Jahrhundert
Musikalische Leitung: Marc Albrecht
Inszenierung: Katie Mitchell
Szenische Einstudierung: Dan Ayling
Bühne und Kostüme: Vicki Mortimer
Licht: Jon Clark
Dramaturgie: Sebastian Hanusa
Besetzung:
Protector ... Mark Stone
Agnès ... Georgia Jarman
First Angel / The Boy ... Aryeh Nussbaum Cohen
Second Angel / Marie ... Anna Werle
Third Angel / John ... Chance Jonas-O'Toole
Orchester der Deutschen Oper Berlin
UA am Grand Théâtre de Provence in Aix-en-Provence: 7. Juli 2012
Berliner DOB-Premiere war am 27. Januar 2024.
Weitere Termine: 01., 05., 09., 15.02.2024
Weitere Infos siehe auch: https://deutscheoperberlin.de/
https://www.andre-sokolowski.de
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