Tut nicht weh,
also nicht
wirklich
|
James Rutherford (als Sachs) und Elisabet Strid (als Evchen) in den neuen Meistersingern von Nürnberg an der Oper Leipzig | Foto (C) Kirsten Nijhof
|
Bewertung:
Jetzt fehlt also "nur noch" der Lohengrin (in der wegen Corona mehrfach hintangestellten Inszenierung von Katharina Wagner), und Ulf Schirmer kann, bevor er ab dem Ende der Saison als Intendant & GMD in Personalunion demissioniert, sein kraftstrotzendes WAGNER 22-Projekt - mit sage und schreibe allen (mit der Betonung auf allen!) Musikdramen des gebürtigen Leipzigers - in zwei vollständigen Zyklen, konkret vom 20. Juni bis zum 14. Juli, abfeiern. Ein untoppbares Leckerli für alle Wagnerianerinnen und Wagnerianer auf dem Globus, und es werden sich hierzu gewiss hunderte sitzgestählte Gäste aus der ganzen Welt einfinden, um live mit dabei zu sein. Das dürfte Schirmers Hauptvermächtnis seiner zehn- bzw. zwölfjährigen Ära an der Oper Leipzig sein, und damit wird er auch in die Annalen eingehen; wir gönnen ihm das. Nicht ganz unerwähnt sein darf dann allerdings schon heute, dass von ihm nicht sonderlich erwähnenswerte konzeptionelle Wegmarkierungen für dieses Haus zu registrieren waren, ja und mehr als gut verwalten und den Laden unauffällig führen und v.a. möglichst alle seine Lieblingsopern, die er immer schon gern dirigierte oder bisher nicht oder schon lange Zeit nicht mehr auf seinem Dirigentenpult gelegt hatte, zu leiten, fällt mir da im Augenblick nicht ein - - an einen seiner weitblickendsten Vorgänger, den in der vorigen Woche im Alter von 78 Jahren verstorbenen Udo Zimmermann, hätte er sich womöglich messen können, musste er natürlich nicht; bestellte Führungskräfte pflegen immer ihren eig'nen Führungsstil.
*
Vorgestern leitete er die Premiere der Meistersinger von Nürnberg:
Vom Musikalischen her bestach sie erstrangig durch den in sensationeller Hochform agierenden Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint), und ich kann mich nicht entsinnen, ihn jemals zuvor derart perfekt unter- und miteinander abgestimmt, so wohlklingend ("Da zu dir der Heiland kam"), so scharf koordiniert (Prügelfuge) und so stimmgewaltig ("Wach auf", "Ehrt eure deutschen Meister" etc.) erlebt zu haben wie an diesem Samstagabend!
Ein gar nicht vorhersehbares Highlight war zudem das kongenialische Zusammenspiel des am Premierenabend plötzlich stimmlos gewordenen Mathias Hausmann und des wenige Stunden vorher (quasi unter Blaulichteskorte) zur kameradschaftlichen Hilfe einbestellten Ralf Lukas, einem altgedienten Alleskönner aus Kleinmachnow. Sie agierten parallel als Beckmesser: Mathias Hausmann (auf der Bühne) szenisch, und Ralf Lukas (von der Seite her) gesanglich. Das zu sehen und zu hören war es schon mal extrawert nach Leipzig angereist zu sein!!
Erwartbar durchhaltig und also über alle Maßen souverän: James Rutherford (= Hans Sachs).
Matthias Stier (= David) gefiel die Rolle, die er darstellte und sang, ja und dem Publikum gefiel das ebenso.
Magnus Vigilius (= Walter von Stolzing) machte eine gute Figur, obgleich er mit den waghalsigen Höhen, die diese Partie ihm aufhalste, spürbar zu kämpfen hatte.
Die hochdramatische Elisabet Strid, die an der Oper Leipzig auch schon Salome oder die Siegfried-Brünnhilde zum Besten gab, vermochte ihrer Stimme das Auch-Lyrische und "etwas Verhaltenere", was sie im Register hat, zweckdienlich anzudienen, um als Evchen bravourös zu überzeugen.
Auch Kathrin Göring (= Magdalene) und Sebastian Pilgrim (= Pogner) spielten/ klangen gut.
Das Gewandhausorchester Leipzig folgte der mehr oder weniger professoralen Maßgabe seines Dirigenten, und es hörte sich daher auch un-besonders an.
|
Die Meistersinger von Nürnberg an der Oper Leipzig | Foto (C) Kirsten Nijhof
|
* *
Der Brite David Pountney, ein Routinier der alten Schule, hatte inszeniert.
Und Leslie Travers (Bühnenbild) kreierte ihm ein Puppenstuben-Nürnberg, das im dritten Akt dann, nach der Prügelfuge am Schluss des zweiten, einer Puppenstuben-Trümmerwüste glich; ein Gänsehautmoment war beim "Wahn! Wahn! Überall Wahn!"-Monolog des Sachs der videofizierte Querverweis zur bombardierten Stadt anno 1945.
Kostümbildnerin Marie Jeanne Lecca ließ sowohl moderne Fantasie- als auch traditionelle Meistersinger-Klamotten schneidern; und in der Prügelfuge teilte sie die aufeinander einschlagenden Horden gleich mal in rote Linke und in schwarze Rechte mit ihren jeweiligen Schlägertrupps ein.
Nun konnte man vielleicht nicht unbedingt erwarten, dass das Inszenierungsteam die distanziert-komische und gleichsam überaus schlüssig gemachte Meistersinger-Vorlage von Barrie Kosky (Bayreuth 2017) übertroffen haben wollte - aber ein bisschen mehr als durchgängig gediegen hätte es schon sein können. Wagners unbedingter Aufruf zur Toleranz, um den es in den Meistersingern auch geht, entpuppt sich unverfroren eindeutig als "deutsch" gewolltes und gemeintes Tolerieren, und das scheint der wunde und hochangreifbare Punkt dieser vermaledeiten Nationaloper:
Nein, dieses "Heil! Heil! Heil dir..." - - - kann man heute doch nicht mehr so ungebrochen stehen lassen. Oder?
|
Andre Sokolowski - 25. Oktober 2021 ID 13242
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG (Oper Leipzig, 23.10.2021)
Musikalische Leitung: Ulf Schirmer
Inszenierung: David Pountney
Choreografie: Denni Sayers
Bühne: Leslie Travers
Kostüme: Marie Jeanne Lecca
Licht: Fabrice Kebour
Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint
Besetzung:
Eva ... Elisabet Strid
Magdalene ... Kathrin Göring
Hans Sachs ... James Rutherford
Veit Pogner ... Sebastian Pilgrim
Kunz Vogelgesang ... Sven Hjörleifsson
Konrad Nachtigall ... Marek Reichert
Sixtus Beckmesser ... Mathias Hausmann (szenisch) und Ralf Lukas (gesanglich)
Fritz Kothner ... Tobias Schabel
Balthasar Zorn ... Paul Kaufmann
Ulrich Eißlinger ... Andrew Dickinson
Augustin Moser ... Ric Furman
Hermann Ortel ... Franz Xaver Schlecht
Hans Schwarz ... Roman Astakhov
Hans Foltz ... Jean-Baptiste Mouret
Walther von Stolzing ... Magnus Vigilius
David ... Matthias Stier
Nachtwächter ... Sejong Chang
Chor der Oper Leipzig
Gewandhausorchester Leipzig
Premiere war am 23. Oktber 2021.
Weitere Termine: 06., 11., 21., 26.11.2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper-leipzig.de/
https://www.andre-sokolowski.de
Konzertkritiken
Premierenkritiken
Rosinenpicken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|