Erlösung
im Regen
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Händels Alcina an der Oper Bonn | Foto (C) Bettina Stöß
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Bewertung:
Georg Friedrich Händels Oper Alcina aus dem Jahr 1735 gehört zu den häufig gespielten Werken des Barockkomponisten. Und das hat gute Gründe: Eine Vielzahl schöner Arien, ein spannendes Setting auf einer Zauberinsel, eine Handlung mit vielen Wendungen. In der Oper Bonn kommen Regisseur Jens-Daniel Herzog und Bühnenbildner Mathis Neidhardt zunächst gänzlich ohne Zauber aus. Der erste Blick fällt auf eine schwarze Steinmauer, portalbreit und -hoch, auf die Regen projiziert wird. Dahinter liegen die Verlockungen von Alcinas Zauberwelt, auf die sich durch eine Tür ein Blick erhaschen lässt, schließlich werden die Wände nach außen aufgeklappt.
Aber auch hier ist wenig Zauberhaftes zu sehen: Das Ganze erinnert an ein Hotelfoyer, immerhin ausgestattet mit gemütlichen Sofas und einer Wendeltreppe, die sich vom Publikum wegdrehen lässt und dann den Blick auf eine große Fensterfront freigibt. Diese dient im Laufe des Abends verschiedenen Zwecken: Dahinter kann beispielsweise geduscht werden (Ruggiero tut dies). Und im finalen Akt wird auf die Fenster eine überdimensionale Großaufnahme von Alcina projiziert, als sie ahnt, dass Ruggiero nicht zu ihr zurückkehrt.
Plakative Schaueffekte sind die Sache des Regieteams nicht, und das ist auch gut so. Was sich in drei Stunden auf der Bühne der Oper Bonn zeigt, ist exzellente Figurenarbeit, kluge Bebilderungen und – schließlich sind wir in der Oper – herausragende musikalische Darbietungen allerorten. Hier stimmt alles: etwa das nuancierte und feinfühlige Spiel des Beethoven Orchesters unter der Leitung von Barockspezialistin Dorothee Oberlinger. Jedem Instrument wird individueller Raum gegeben, so dass phasenweise ein sehr intimer Klang möglich ist neben dem sehr effektvollen Gesamtklang des Orchesters. Das Beethoven Orchester ist kein ausgewiesenes Barockorchester, dennoch wird es an diesem Abend Händel und seiner faszinierenden Musik mehr als gerecht. Barockmusik wird ja gelegentlich auch als Leierkastenmusik abgestempelt, in diesem Fall bleiben die Motive und Melodien noch tagelang im Ohr.
Auch den Sängerinnen und Sängern gelingen beeindruckende Rollenporträts, und es zeigt sich, dass szenisches Denken, Figurenarbeit und Gesang voneinander profitieren und sich auf das Beste ergänzen – wenn es denn eben alles gut gearbeitet und durchdrungen ist. Anna Alàs I Jové verleiht Bradamantes Suche nach ihrer großen Liebe Ruggiero von Beginn an musikalisches Gewicht und Überzeugung. Ihr Begleiter Melisso, gesungen von Pavel Kudinov, wechselt zunächst widerstandslos in Frauenkleidung, um dann schlussendlich den überzeugten Militär zu geben, der Ruggiero an seine Bestimmung als Soldat erinnert. Gloria Rehms Morgana flirrt wie eine Biene von einer Blume zur nächsten von Mann zu Mann, niemand ist vor ihr sicher, sehr zum Ärgernis ihres Mannes Oronte (Stefan Sbonnik). Traumwandlerisch sicher steigt ihr Sopran in die höchsten Höhen. Stefan Sbonniks lyrischer Tenor darf sich in drei großen Arien entfalten, und das völlig zu recht. Jede ist ein Kleinod der Charakterkunst. Charlotte Quandt überzeugt sowohl optisch als auch in Sachen Nuancierung, stimmlicher Flexibilität und traumwandlerischer Sicherheit als ehemaliger Soldat Ruggiero, der Alcina verfallen ist und dem erst am Ende die Augen geöffnet werden. Letztere wiederum ist bei Marie Heeschen bestens aufgehoben, die nie einen Zweifel daran aufkommen lässt, dieser schwierigen Partie gewachsen zu sein, vor allem stimmlich nicht. Beinahe mühelos bewältigt sie ihre große Arie „Ombre pallide“, in der sie vergeblich ihre hilfreichen Geister beschwört. Aber auch Karola Sophia Schmidt gelingen als jungem Oberto, der auf der Suche nach seinem Vater ist und von Alcinas an Kindesstatt aufgenommen wurde, ein stimmlich wie szenisch eindrucksvoller Auftritt.
Ein weiterer Pluspunkt der Inszenierung sind die kleinen Szenen, die oftmals während der Arien ablaufen, sie bebildern, aber zugleich auch kommentieren und gelegentlich für Komik sorgen. Während Orontes (Stefan Sbonnik) Arie über die Untreue betreten Paare die Bühne, bei denen sich die Männer wie dressierte Hündchen verhalten und den Frauen, die alle wie Alcina aussehen (und in Wahrheit verkleidete Männer sind), hinterherlaufen. Als Ruggiero (Charlotte Quant) seine Liebe zu Bradamante (Anna Alàs I Jové) besingt, nachdem er wieder zu Sinnen gekommen ist, wird ein kleiner Zeitraffer zu dem Paar gezeigt: Erst kommen zwei wie Ruggiero und Bradamante gekleidete Personen als verliebtes Paar auf die Bühne, dann Bradamante schwanger, dann beide mit Kinderwagen und schließlich als altes Ehepaar. Das ist witzig, teilweise sogar anrührend. Morganas Arien wiederum werden oftmals wie Revuenummern inszeniert, mit vielen Tänzern, ebenso wie Ruggieros Auftrittsarie. Das ist oftmals klug gelöst, ermöglicht überraschende Einblicke, lenkt aber nicht vom Wesentlichen der Szene ab. So ist es keinen Moment langweilig und im besten Sinne unterhaltend.
Alcinas Zauberwelt ist vor allem ein warmer heller Platz für viele Menschen, die es am Ende aber vorziehen, wieder in die kalte nasse Welt vor der Tür zurückzukehren, weil sie sich in Alcina getäuscht sehen. Die Erlösung im Regen ist allerdings zweischneidig, und so knubbeln sich alle unter dem einzigen Regenschirm weit und breit.
Im Parkett war man sich weitgehend einig: Barockoper muss nicht immer sein, diese Alcina aber unbedingt. In diesem Sinne: Hingehen und sich bezaubern lassen von einer durchweg überzeugenden Produktion, szenisch wie musikalisch.
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Alcina an der Oper Bonn | Foto (C) Bettina Stöß
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Karoline Bendig - 14. Dezember 2024 ID 15055
ALCINA (Oper Bonn, 08.12.2024)
Musikalische Leitung: Dorothee Oberlinger
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Bühne: Mathis Neidhardt
Kostüme: Sibylle Gädeke
Licht: Max Karbe
Choreografie: Ramses Sigl
Choreinstudierung: Andre Kellinghaus
Dramaturgie: Georg Holzer, Hans-Peter Frings und Polina Sandler
Mit: Marie Heeschen (Alcina), Charlotte Quadt (Ruggiero), Gloria Rehm (Morgana), Anna Alàs I Jové (Bradamante), Stefan Sbonnik (Oronte), Pavel Kudinov (Melisso) und Karola Sophia Schmidt (Oberto) sowie desn Tänzern Chayan Blandon-Duran, Luca Graziosi, Aron Nowak, Antonio Rasetta, Felix Schnabel, Victor Zapata
Cembalo: Olga Watts
Chor und Statisterie des Theaters Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 10. November 2024.
Weitere Termine: 20., 25.12.2024// 12., 18., 25., 31.01.2025
Koproduktion mit dem Staatstheater Nürnberg
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
Post an Karoline Bendig
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