Rosinenpicken (530 | 531)
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Melancholien
bei der SCHUBERT-WOCHE 2022 im Berliner Pierre Boulez Saal
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Bewertung:
"In mehr als 600 Liedern hat Franz Schubert nahezu alle Facetten menschlicher Emotionen musikalisch zum Leben erweckt. Seine unerschöpfliche Experimentierfreude und Gabe, 'Gefühle in begrenzte, aber scharf ausgeprägte Konturen' zu fassen, wie Franz Liszt über seinen Kollegen sagte, machten das Wort 'Lied' zu einem unübersetzbaren Ausdruck. Auch in dieser Saison ist dem Kosmos Schubert (und ausgewählten Werken seiner Zeitgenossen) eine ganze Woche im Januar gewidmet, in der namhafte ebenso wie junge Künstlerinnen und Künstler auf Einladung von Kurator Thomas Hampson in Konzerten und Workshops im Pierre Boulez Saal zusammenkommen.
Als Teil der Kooperation zwischen der Lied-Akademie des Heidelberger Frühlings, der Hampson Foundation und dem Pierre Boulez Saal geben außerdem wieder junge Musikerinnen und Musiker in zwei öffentlichen Workshops und einem Abschlusskonzert Einblicke in ihre Arbeit mit Thomas Hampson. Diese drei Veranstaltungen sind auch als Livestream auf der Website und über die Facebook- und YouTube-Kanäle des Pierre Boulez Saals zu erleben."
(Quelle: boulezsaal.de)
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Heute also endet die diesjährige SCHUBERT-WOCHE im Boulezsaal, und abermals wird sich ihr Publikum in einem wahren Eldorado des frühromantischen Liedgesanges wohlig aufgehoben gefühlt haben.
Was das Schubertlied vom Lied seiner Kollegen fundamental unterscheidet, ist die in und aus ihm wühlende Melancholie, eine merkwürdige und schier süchtig machende Stimmung; ja und ich für meinen Teil bekomme beispielsweise - immer, wenn ich Schubertlieder höre und sogleich erlebe - Caspar David Friedrichs Mönch am Meer als melancholischste aller Melancholien, so vom Bild her, schwerlich aus dem Sinn.
Der Zwerg D 771, ein Schubertlied, was ich bis da nicht kannte, verstetigte dann, als ihn Bariton Samuel Hasselhorn (den Joseph Middleton vom Flügel aus begleitete) vorgestern Abend sang, meine diffuse Assoziation: Ein Hofnarr liebte seine junge Königin, die dessen Liebe nicht erwiderte, stattdessen trauerte sie ihrem Königsgatten, der aus irgendeinem Grunde vor ihr starb, in Liebe hinterher, sodass ihr in sie einseitig verliebter Hofnarr es zum Schluss nicht mehr ertragen konnte und er sie (Mord im Affekt?) erwürgte; und das alles spielte sich auf offner See ab, und im gleichen Augenblick, wo er sie nach der Tötung in das Meer versank, folgte er seiner schönen Wasserleiche hinterher o.s.ä. Hellster Wahnsinn das!! Den tollen Text hatte sich Schubert von Matthäus von Collin (1779-1824), von dessen Existenz ich bislang keine Ahnung hatte, ausgeliehen.
Sowieso waren in Hasselhorns Programm mit 14 Schubertliedern überwiegend Raritäten auf Gedichte weiterer mir bis da völlig unbekannter Lyriker entdeckbar. Oder hatten Sie jemals zuvor etwas von Aloys Wilhelm Schreiber (1761-1841), Christoph Kuffner (1780-1846), Johann Georg Jacobi (1740-1814), Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg (1750-1819) oder Karl Gottfried von Leitner (1800-1890) gehört geschweige denn gelesen?
Aber Hasselhorn hatte gerissnerseits natürlich auch das Zugpferd Erlkönig, den wegen dessen eigentlicher Vorgeschichte völlig unklar bleibenden Pädophilenkrimi Goethe'scher Prägung, auf Lager. Selbiges tat er, hyperdramatisch aufgesattelt, als unsere allerfeinsten und geheimsten Sinne überstrapazierendes Kurzoper'chen veranstalten - ja, warum nicht?!
Die Textverständlichkeit von ihm: superb - seine Gesangskultur: sehr elegant und - spuckfrei (was bei Sängerinnen oder Sängern oftmals nicht zur Selbstverständlichkeit gereicht).
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Der Bariton Samuel Hasselhorn (Foto: Nikolaj Lund) und die Mezzosopranistin Ema Nikolovska (Foto: Kaupo Kikkas, Bildquelle: boulezsaal.de) bestritten jeweils einen Liederabend bei der SCHUBERT-WOCHE 2022 im Pierre Boulez Saal in Berlin.
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Hochfreudig überrascht zeigten wir SCHUBERT-WOCHE-Fans uns, als die Mezzosopranistin Ema Nikolovska (die für die gesundheitlich verhinderte Christiane Karg kurzfristig eingesprungen war) an der bewährten Seite Gerold Hubers auftrat, um ihren quasi fast wie in Windeseile zusammengestellten Liederabend darzubieten; und auch sie - kurioser Zufall - trumpfte justament mit Schuberts Zwerg auf, den sie allerdings dann, ganz im Unterschied zu Hasselhorn am Vortag, mit mehr Abstand zu der merkwürdigen Handlung und einer fast coolen wie sportiven Unabhängigkeit zum Besten gab; auch solch ein Interpretationsansatz ließ aufhorchen.
Ihre gezielte Auswahl der 12 Schubertlieder baute zwar auf einem halben Dutzend Goethe'scher Gedichtvorlagen, aber auch bei solchen Raritäten wie Der Sänger am Felsen und Der Unglückliche, beide nach Gedichttexten von Caroline Pichler (1769-1843) oder Nacht und Träume (nach dem Text unseres Zwerg-Autors Collin) fanden die Nikolovska und der Huber blendend zueinander!!
Außerdem standen noch Robert Schumanns Liederkreis nach Gedichten von Joseph von Eichendorff op. 39 (in Gänze) und zwei Einzellieder Clara Schumanns auf dem üppigen Programm.
Von ihrem Timbre her hätte ich eine etwaige Ähnlichkeit der Nikolovska mit den Stimmen Christa Ludwigs oder Jessye Normans konstatieren wollen; und ich ahne längst, dass sie in gar nicht allzu ferner Zukunft sicherlich so ziemlich alles zwischen Mozart, Strauss und Wagner auf die Reihe kriegen müsste und wir dementsprechend reichlich Unerhörtes von ihr hören werden: Alles Gute bis dahin!
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Andre Sokolowski - 30. Januar 2022 ID 13430
SAMUEL HASSELHORN & JOSEPH MIDDLETON (Pierre Boulez Saal, 28.01.2022)
Franz Schubert: Der Zwerg D 771
- Sehnsucht „Ach, aus dieses Tales Gründen“ D 636
- An den Mond in einer Herbstnacht D 614
- Glaube, Hoffnung und Liebe D 955
- Rastlose Liebe D 138
- Der blinde Knabe D 833
- Am Tage Aller Seelen D 343 „Litanei auf das Fest Aller Seelen“
- Erlkönig D 328
- Auf dem Wasser zu singen D 774
- Des Fischers Liebesglück D 933
- Lied eines Schiffers an die Dioskuren D 360
- Totengräbers Heimweh D 842
- Nacht und Träume D 827
- Abschied D 475 „Über die Berge zieht ihr fort“
Samuel Hasselhorn, Bariton
Joseph Middleton, Klavier
EMA NIKOLOVSKA & GEROLD HUBER (Pierre Boulez Saal, 29.01.2022)
Franz Schubert: Auf dem See D 543
- Abendstern D 806
- Der Sänger am Felsen D 482
- An den Mond „Geuß, lieber Mond“ D 193
- Der Zwerg D 771
- Meeres Stille D 216
Clara Schumann: Volkslied
- Lorelei
Robert Schumann: Liederkreis nach Gedichten von Joseph von Eichendorff op. 39
Schubert: An die Entfernte D 765
- Sehnsucht „Was zieht mir das Herz so“ D 123
- Der Musensohn D 764
- Schäfers Klagelied D 121
- Der Unglückliche D 713
- Nacht und Träume D 827
Ema Nikolovska, Sopran
Gerold Huber, Klavier
Weitere Infos siehe auch: https://www.boulezsaal.de/
https://www.andre-sokolowski.de
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