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Die Orchester-Entdeckung

des Jahres: EROICA BERLIN

Rossinis L´ITALIANA IN ALGERI im Theater im Delphi

Bewertung:    



Rossini hat 42 Opern geschrieben. Es gibt zwei bedeutvolle und schöne Sommerfestivals, wo alle (oder fast alle) immer wieder neu zur Aufführung gelangen, das eine findet im italienischen Pesaro und das andere im süddeutschen Bad Wildbad statt. Freilich ereignen sich auch an den großen Weltbühnen Rossini's ohne Unterlass, zumeist dann allerdings "nur" solche stetig abgespielten Reißer wie z.B. Il barbiere di Siviglia oder La Cenerentola oder Semiramide. Auch L’italiana in Algeri zählt zu diesen immer wieder gern gehörten Rennern - und obgleich die Dame in der letzten Zeit viel weniger (nicht bloß) auf deutschen Bühnen aufgeführt wurde.

Das änderte sich jetzt gottlob abrupt:

Nach 14jähriger Abstinenz ließ das mit historischer Aufführungspraxis geschulte und geübte Orchester von Eroica Berlin unter Leitung seines Gründers Jakob Lehmann dieses zauberhafte und beschwinkte Opus endlich wieder in der Hauptstadt hör- und sichtbar werden. Im Theater im Delphi führte Dennis Krauß Regie und baute auch das Bühnenbild; Kostümentwürfe stammten von Pauline Heitmann.






Eroica Berlin und ihr Gründer und Dirigent Jakob Lehmann | Foto (C) Robert Niemeyer

*

Was ich da gestern Abend in der letzten der drei angesetzten Vorstellungen im, was die Akustik angeht, nicht gerade idealisch zu nennenden Gemäuer des ehemaligen Berliner Stummfilmkinos Delphi [spektakuläre Babylon Berlin-Szenen wurden hier gedreht] erlebte, verschlug mir fast die Sprache! So ein extraordinär vormusizierter Gioachino - so derart raffiniert getrieben und, bei aller frischluftigen Angetriebenheit, nicht minder transparent - war mir bis dato in realo völlig fremd, obgleich ich ihn mir freilich im Geheimen so oder so ähnlich wünschte. Ja und Fakt war, ist und bleibt, dass ausschließlich wohl nur mit solchen Mitteln (Instrumentarium, Art zu musizieren) also unter strikter "Einhaltung" oder Beachtung aktueller Forschungen hinsichtlich historisch informierter Aufführungspraktiken derart bahnbrechende musiziererische Leistungen erst möglich werden; Naganos Rheingold mit Concerto Köln, um nur eines der neuesten und in praxi gelungenen Beispiele zu nennen, sprach/ spricht eindeutig und einladend dafür.

Allein die räumliche Aufstellung des aus 31 Musikerinnen und Musikern bestehenden Orchesters: drei Kontrabässe (einer ganz links, einer ganz rechts, einer in der Mitte), zwei Celli (das eine ganz links, das andere in der Mitte); die beiden sich mittig hinten befindlichen "Tiefgeigen", welche für die Rezitativbegleitung zuständig sind, haben direkten Blickkontakt zum Dirigenten, welcher vor einem Hammerklavier, das er während der Rezitative aus dem Stand heraus bedient, ergo mit bloßen Händen dirigiert. In der hinteren Reihe, links und rechts neben den beiden "Tiefgeigen", die Bläser- und Schlagzeugformation (rechts 2 Hörner, 2 Trompeten, 1 Pauke, 1 Becken, Schellen - links 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 1 Fagott). Die "höheren" Streicher sind in jeweiliger Doppelreihe mit 2 mal 6 Geigerinnen und Geigern (rechts und links vom Dirigenten), sich jeweils gegenübersitzend, positioniert.

Der aus 11 Solisten bestehende Neue Männerchor Berlin (Einstudierung: Adrian Emans) singt vom rechten Seitenrang des Saales aus "herunter".

Lehmann übt also Totalkontrolle aus; ich konnte keine A-Synchronitäten konstatieren. Er nimmt die Gesamtbelegschaft mit und scheint sie fortlaufend zu inspirieren und mit seiner guten Laune permanent voranzutreiben. Es sieht hochprofessionell aus, wie er das so macht, und es bereitet Lust beim Hören und beim Sehen (freudige und freundliche Gesichter); und Rossini lebt und lebt und lebt...

Nach knapp drei Stunden ist schon Schluss. Wo war die Zeit geblieben?

Und dass du Rossini-Opern ohne Spitzenpersonal für deren Haupt- und Nebenrollen sowieso nicht aufzuführen wagen würdest, das verstünde sich von vornherein [alle Namen s.u.]. Stellvertretend muss die koloratur- und höhen- als wie tiefensichere Altistin Hannah Ludwig angeführt sein! (Besser hätte es Cecilia Bartoli, in ihren Glanzzeiten, auch nicht gekonnt.)

Sensationell in allem.




L’italiana in Algeri im Theater im Delphi, Berlin | Foto (C) Anna Tiessen


Andre Sokolowski - 24. Oktober 2022
ID 13872
L'ITALIANA IN ALGERI (Theater im Delphi, 23.10.2022)
Musikalische Leitung: Jakob Lehmann
Regie und Bühne: Dennis Krauß
Kostüme: Pauline Heitmann
Besetzung:
Isabella ... Hannah Ludwig
Mustafà ... David Oštrek
Lindoro ... Miloš Bulajić
Taddeo ... Manuel Walser
Elvira ... Polly Ott
Zulma ... Laura Murphy
Haly ... Adam Kutny
Neuer Männerchor Berlin
(Einstudierung: Adrian Emans)
Eroica Berlin
Premiere war am 20. Oktober 2022.

"Eroica Berlin ist ein Kammerorchester, welches aus jungen Berliner Musiker:innen besteht und 2015 von Jakob Lehmann gegründet wurde. Die direkte, ungefilterte Übertragung von Emotionen sowie das Einbeziehen der Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis vereint das Ensemble ebenso wie die Überzeugung, dass in der heutigen Event- und Performancekultur trotz allem die Musik selbst und ihr Gehalt im Mittelpunkt stehen müssen. Die Musiker:innen suchen mit Energie und Enthusiasmus nach Wegen, der klassischen Musik in der Gesellschaft der Zukunft die zentrale Stellung einzuräumen, welche sie in ihrem eigenen Leben bereits besitzt. Eroica Berlin gastierte bislang an führenden Bühnen Deutschlands und Österreichs, wie z.B. der Elbphilharmonie Hamburg und dem Brucknerhaus Linz, und arbeitet mit renommierten Solist:innen zusammen. 2022 wurde das Kammerorchester in das Ensemble-Förderprogramm von Neustart Kultur aufgenommen und präsentiert 2022 an seinem musikalischen Heimatort, dem Theater in Delphi in Berlin-Weißensee, eine Reihe von Konzerten mit Werken von so unterschiedlichen Komponist:innen wie Johann Sebastian Bach, Gioachino Rossini, Sofia Gubaidulina oder Arvo Pärt. Im November 2022 wird das Ensemble erstmals in der Berliner Philharmonie auftreten." (Quelle: Eroica Berlin)


Weitere Infos siehe auch: https://www.eroicaberlin.de/


https://www.andre-sokolowski.de

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