Finales an der
Oper Frankfurt
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Die ersten Menschen an der Oper Frankfurt | Foto (C) Matthias Baus
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Bewertung:
Das erste Mal erlebte ich den in Ost-Berlin geborenen Dirigenten Sebastian Weigle (62), als er 2007 in Bayreuth die Meistersinger in der Inszenierung Katharina Wagners musikalisch leitete; das war sein Festspieldebüt auf dem Grünen Hügel. Danach ging es mit ihm kontinuierlich bergauf, obgleich er längst kein unbeschriebenes Blatt mehr war; 2004-2009 GMD am Liceu Barcelona, um ein Beispiel nur zu nennen. Seine markanteste Langzeitstation bisher: der Posten des Generalmusikdirektors an der OPER FRANKFURT (Opernhaus des Jahres 2022, bereits zum sechsten Mal in Folge!!), wo er nun seit über zwei Jahrzehnten wirkte und ab nächster Spielzeit von dem jungen Senkrechtstarter Thomas Guggeis abgelöst sein wird. Daneben debütierte er, auch vorher schon, an der MET in New York, am Opernhaus Zürich, bei den Münchner Opernfestspielen, an den Staatsopern in Hamburg oder Wien sowie am Royal Opera House Covent Garden; seit 2019 ist er außerdem Chefdirigent des Yomiuri Nippon Symphony Orchestra in Tokio.
Weigle erreichte, weit noch vor seiner erstaunlichen Dirigentenkarrriere, zunächst als Hornist (1982-1997 Solo-Hornist der Staatskapelle Berlin) erheblichen Bekanntheitsgrad; seit 1993 hat er eine Professur für Horn an der UdK Berlin inne; so mehrten sich seine Kapellmeisterverpflichtungen, v.a. in Berlin (er hatte ja ab 1977 an der HfM Hanns Eisler neben Horn, Klavier halt auch noch Dirigieren studiert).
Jetzt, wie gesagt, neigt sich die (Amts-)Zeit Weigles an der OPER FRANKFURT ihrem Ende entgegen - und ich nutzte seine höchstwahrscheinlich letzte Produktion, die er dort musikalisch leitete und leitet, um dann überhaupt das allererste Mal in diesem von Georg Solti (1952-61), Christoph von Dohnányi (1968–1977), Michael Gielen (1977–1987), Sylvain Cambreling (1993–1996) sowie Paolo Carignani (1999–2008) nacheinander musikalisch verantworteten Haus zu weilen; wurde aber auch allerhöchste Zeit!
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Die ersten Menschen von Rudi Stephan (1887-1915) galt es zu entdecken: ein in seiner unorthodoxen Maßlosigkeit und eigenwilligen Hybris sich jedwedem Vergleich entziehendes Opus - von seinem Inhalt sowie Text her selbst für relativ geübte Rezipienten (ich mein' keine Sachverständigen mit ausgestellten Expertisen) eine echte Zumutung, von der Musik her freilich eine Offenbarung sondergleichen; die Partie der Eva beispielsweise - in dem umständlichen Libretto von Otto Borngräber als "Chawa" bezeichnet - vereint, rein hörerisch, die dramatische Kraft und Höhensicherheit der Strauss'schen Elektra mit der Wagner'schen Brünnhilde, also beides zusammen genommen; die Sopranistin Ambur Braid ließ in der kongenialen Inszenierung von Tobias Kratzer keine Wünsche offen!
"Chawa erinnert sich sehnsüchtig daran, wie Adahm sie einst, im Frühling ihrer Liebe, begehrt hatte. Doch Adahm ist müde geworden und vollauf mit dem Ringen um das nackte Dasein beschäftigt. Sein Sohn Kajin verweigert sich diesem Ringen 'im Schweiße des Angesichts'; stattdessen gibt er seinem inneren Drang nach und streift durch die Wildnis auf der Suche nach einer Frau. Chabel wiederum sucht das »Heil« in der Anbetung eines gütigen Gottvaters, dem er ein Opfer darbringt. Beide begehren ihre Mutter auf unterschiedliche Weise. Als Kajin Chawa und Chabel nachts in ekstatischer Vereinigung überrascht, erschlägt er den Bruder. In einer Vision sieht er die Zukunft voraus: Ihr Kennzeichen ist 'kommendes Blut kommender Menschheit'." (Quelle: oper-frankfurt.de)
Überhaupt geht es in diesem Werk fast ausschließlich nur laut und überspannt zu. Wie der Weigle diese Ausgeburt an Expressivität einhegend übersichtlich zu gestalten also musikalisch erträglich zu machen verstand, nötigte mir gewaltigen Respekt ab. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester - seit den über 20 Jahren "unterm" Weigle adäquat trainiert - war/ ist für solche Zwecke höchstwahrscheinlich auch dann eine ausgewiesene Adresse; bravi, kann ich da nur sagen!
Wie auch die drei anderen Protagonisten jener postalttestamentarischen Versuchung keinesfalls hier unerwähnt bleiben sollen: Andreas Bauer Kanabas (als Adam), Iain MacNeil (als Kain) und Ian Koziara (als Abel)!!!
Und die Leute tobte nach diesem von ihnen bereitwillig erlebten Exzess.
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Die ersten Menschen an der Oper Frankfurt | Foto (C) Matthias Baus
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Wie still und rein und fein besagter Klangkörper [s.o.] zudem auch klingen mag, vermochte eine Sonntagnachmittagsaufführung von Frank Martins weltlichem Oratorium Le Vin Herbé - einer schweizerisch-französischen Adaption des bei uns Deutschen allbekannten und natürlich (wegen Wagner) allzu hochbeliebten Tristan-und-Isolde-Themas - nachdrücklich zu bekunden.
Tillmann Köhler hat für dieses psychologisch ausgefeilte Kammerspiel mit nicht mal einem Dutzend Instrumentalisten sowie einem 24-köpfigen Kammerchor und 8 Gesangssolisten eine sinnreiche und über alle Maßen schöne Inszenierung geschaffen. Eine Art aufgeblätterter Altar mit jeweils 16 (je 4 neben- und übereinander) "mannshohen" Quadern (Bühne von Karoly Risz!) , worein die jeweiligen Protagonistinnen und Protagonisten, in wechselnden Aufstellungen, stehen und singen, vermittelte sakrale Ruhe und v.a. handwerkliche Gediegenheit. Das nicht mal zwei Stunden währende Stück wird quasi vom Chor erzählt und mittendrin von den je angesprochenen Rollen-Vertretern vor- und nachgespielt.
Das alles sah und hörte sich sehr gut an.
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Le vin herbé an der Oper Frankfurt | Foto (C) Barbara Aumüller
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Andre Sokolowski - 17. Juli 2023 ID 14294
DIE ERSTEN MENSCHEN (Oper Frankfurt, 15.07.2023)
Oper von Rudi Stephan
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier
Licht: Joachim Klein
Video: Manuel Braun
Dramaturgie: Bettina Bartz und Konrad Kuhn
Besetzung:
Adahm ... Andreas Bauer Kanabas
Chawa ... Ambur Braid
Kajin ... Iain MacNeil
Chabel ... Ian Koziara
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Premiere war am 2. Juli 2023.
Weitere Termine: 27., 20.07.2023
LE VIN HERBÉ (Oper Frankfurt., 16.07.2023)
Weltliches Oratorium von Frank Martin
Musikalische Leitung: Takeshi Moriuchi
Inszenierung: Tilmann Köhler
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Orest Tichonov
Bühnenbild: Karoly Risz
Kostüme: Susanne Uhl
Licht: Jan Hartmann
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy
Besetzung:
Iseut, die Blonde ... Juanita Lascarro
Iseut, die Weisshändige ... Cecelia Hall
Tristan ... Rodrigo Porras Garulo
Branghien ... Clara Kim
König Marc ... Kihwan Sim
Kaherdin ... Theo Lebow
Die Mutter von Iseut der Blonden ... Cláudia Ribas
Herzog Hoël ... Jarrett Porter
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Neueinstudierung nach coronabedingter Premierenabsage: 7. Juli 2023
Weitere Infos siehe auch: https://oper-frankfurt.de
https://www.andre-sokolowski.de
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