Salonmusik zum
Thema "Sevilla"
|
|
Bewertung:
Meine Wenigkeit zählt ganz zweifelsohne zu den inbrünstigsten und v.a. treuesten Fans der kammermusikalischen Vereinigung Le Quatuor Romantique. Das letzte Mal hatte ich sie anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Kölner Richard-Wagner-Vereins bei einem Konzertauftritt in den Balloni-Hallen live erleben dürfen, das war im Oktober vor zwei Jahren, ist dann also schon ein ganzes Stückchen her.
Jetzt scheint die Formation, gefühltermaßen, wiederum aus der Versenkung auferstanden zu sein, und ich und weitere Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber konnten sie am letzten Sonntag bei einem ihrer neuesten Programme unter dem recht vielversprechenden Titel BELLE FILLE DE SEVILLE (dt.: "Schönes Mädchen von Sevilla") in der Versöhnungskirche Köln-Neuehrenfeld akustisch als wie visuell begutachten.
Sofort kläre ich auf, was es mit diesem BELLE FILLE... auf sich hat; also:
Es handelt sich hierbei um die gleichnamige Gavotte von Alphonse Czibulka (1842-1894), einem österreichisch-ungarischen Militärkapellmeister und Komponisten, der seinerseits sowohl an der französischen Oper in Odessa, am Nationaltheater in Innsbruck als auch am damaligen Carltheater in Wien beschäftigt resp. angestellt gewesen war. Aus seiner Feder stammnen ca. 400 Werke, insbesondere Märsche oder Wiener Tanzmusiken; auch konnten sich zu seinen Lebzeiten zwei Operetten von ihm (Pfingsten in Florenz sowie Der Glücksritter) einigermaßen behaupten. Heutzutage spricht natürlich kaum noch wer von ihm, aber egal. Seine Gavotte um das so "schönen Mädchen aus Sevilla" bleibt es wert dann hin und wieder aufgefüht zu sein - das fanden dann auch die vier Musiker von Le Quatuor Romantique (der Geiger Vassili Voronin, der Cellist Edward John Semon, der Harmoniumspieler Joachim Diessner und der Pianist Pascal Schweren) und setzten es an vorletzte Stelle ihres insgesamt schon etwas arg voll gepackten BELLE FILLE...-Programms, welches dann außerdem noch mit neun weiteren Salonmusiken ähnlichen Sevilla-Inhaltes bestückt gewesen war.
Der umtriebige Autor, Regisseur und Dramaturg Thomas Höft, der dem Ensemble seit dessem Bestehen als eine Art von grauer Eminenz mit geistvollen wie -reichen Rat & Tat zur Seite stand und steht, hat einen schönen Beitext zum Konzert verfasst, in dem er unter anderem auch auf die "musikalische Exotisierung Sevillas" abhebt und die diesbezüglich existierende Flut von thematischen Musiken - angefangen von (um nur drei Beispiele unter zig anderen zu nennen) Rossinis Barbier von Sevilla über Bizets Carmen bis zum Beethovens Fidelio - erklärt:
"...erstaunlicherweise stammen die Vorlagen zu all den wundervollen Opern keineswegs aus Andalusien. Sie handeln also nicht von echten Erlebnissen mit dieser Stadt, sondern vielmehr davon, wie man sich woanders Sevilla vorstellt. Und das hat wirklich faszinierende Gründe. Der wichtigste: der wirtschaftliche Niedergang Spaniens seit dem späten 16. Jahrhundert. Die Zeit der mittelalterlichen Herrschaft durch Juden oder Moslems in Andalusien war geprägt von einer einmaligen kulturellen Blüte. Nach der Rückeroberung lenkte die Ausbeutung der amerikanischen Kolonien zunächst schwindelerregenden Wohlstand nach Spanien. Doch schneller als gedacht brachen die aufstrebenden Konkurrenten in England und den Niederlanden schließlich die spanische Dominanz. Das Land isolierte sichj immer mehr, verlor den Anschluss und verpasste auch die sich anbahnende industrielle Revolution. Für die französischen Nachbarn im Norden war Spanien also immer mehr eine ebenso rückständige wie fremdartig und exotisch anmutende Region, in die man abenteuerlustig reisen konnte und in die man all das hineinlas, was man zu Hause nicht hatte."
Es gab dann mindestens 3 oder 4 Sevilla-affine "Gassenhauer", also Stücke, die die Allgemeinheit irgendwie dann kennt - z.B. den Espana-Walzer von Émile Waldteufel, den spanischen Walzer La Tortajade von Camillo Morena, den Paso Doble Espana Cani von Pascual Marquina oder Emmanuel Chabriers Espana-Fantasie - , denen wir Zuhörerinnen und Zuhörer bereitwilligermaßen zu lauschen uns entschlossen; aber auch dem vielen Rest des Ganzen (wie schon mitgeteilt: 10 mehr oder weniger umfangreiche Stücke!) gaben wir uns gutgelaunt dann hin.
*
Einen wesentlichen Teil des jetzthin vorgestellten BELLE FILLE...-Programms wird Le Quatuor Romantique übrigens beim bevorstehenden Alte-Musik-Festival in Utrecht (konkret am 26. August um 17 Uhr) zum Besten geben.
|
Le Quatuor Romantique | Bildquelle: oudemuziek.nl
|
Andre Sokolowski - 3. Juni 2024 ID 14780
BELLE FILLE DE SEVILLE (Versöhnungskirche Köln-Neuehrenfeld, 02.06.2024)
Musik aus Konzerthaus und Salon
Émile Waldteufel (1837-1915): España, Walzer
Charles Gounod (1818-1893): Le Tribut de Zamora, Grande fantaisie
Olivier Métra (1830-1889): La Sérenade espagnole, Walzer
Moritz Moszkowski (1854-1925): Spanische Tänze op. 12
Camillo Morena (1867-1940): La Tortajada, Valse espagnole op. 10
Adolphe Adam (1803-1856): Le toréador, Fantasie
Samuel Sando Dicker (1894-1935): Félicidades, Serenata espagnola op. 209
Pascual Marquina (1873-1948): Espana Cani, Paso Doble
Alphons Czibulka (1842-1894): Gavotte aus Belle Fille de Seville
Emmanuel Chabrier (1841-1894): Espana, Fantasie D44
Le Quatour Romantique:
Vassili Voronin, Violine
Edward John Semon, Violoncello
Pascal Schweren, Klavier
Joachim Diessner, Harmonium
Weiterer Termin: 26.08.2024 (Festival Oude Muziek, Utrecht)
Weitere Infos siehe auch: https://quatuor-romantique.weebly.com/
https://www.andre-sokolowski.de
Konzerte
Musiktheater
Neue Musik
Rosinenpicken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|