Fantasien
vom Fremden
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La Compagni Hervé Koubi mit Les Nuits Barbares | Foto (C) Pierangela Flisi
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Bewertung:
Die Vorstellung beginnt im Dunkeln mit sich geheimnisvoll bewegenden Lichtpunkten. Das spärliche Bühnenlicht wird in Helmen reflektiert, aus deren Krone spitze Objekte wie Eselsohren herausragen. Hierbei handelt es sich um Klingen oder Messer, die bald an Röcken befestigt werden. Eine Ansammlung von Körpern wird sichtbar. Maskiert mit den spiegelnden Helmen präsentiert sich eine kriegerische Männlichkeit sinnlich, mit muskulösen, nackten Oberkörpern, in Leggings oder Röcken. Die Tänzer wirbeln ihre Röcke wie Derwische, schwingen Keulen zu den Klängen sakraler Musik. Bald rennt, springt und tänzelt das Tanzcorps in atemloser Bewegung mit entblößten Gesichtern.
Nach einer internationalen Tournee mit Ce que le jour doit à la nuit kehrten Hervé Koubi und seine rein männliche Kompanie an die Oper Bonn zurück, um Les Nuits barbares ou les premiers matins du monde (dt.: Die barbarischen Nächte oder die ersten Morgen der Welt) zu präsentieren. Koubi bebildert dabei anmutig die uralte Angst vor dem Fremden. In dieser Choreographie widmet sich Koubi erneut seinen algerischen Wurzeln, den Gemeinsamkeiten aller Kulturen des Mittelmeerraums und der Frage nach dem Begriff und der Geschichte der Barbarei.
Koubi, der erneut selbst in einem Kurzvortrag auf Deutsch seine Produktion vorstellte, ist algerischer Abstammung und wurde in Cannes, Frankreich, geboren; seine Mutter ist Muslimin, sein Vater ist Jude, und seine Hautfarbe ist weiß und spiegelt in seinem Sinne die "Barbaren" wider, die aus Europa nach Nordafrika kamen. Für dieses Projekt konnte Koubi vierzehn Tänzer gewinnen, überwiegend autodidaktische Straßentänzer aus Burkina Faso und Algerien. Seine Tänzer waren weitgehend an den Überlegungen zu dieser neuen Aufführung beteiligt.
Es geht um männliche Gemeinschaft, physisch anmutige Rituale, das Kampftraining. Kriegerische Welten der Wikinger, Vandalen, Hunnen oder Araber verschmelzen stimmungsvoll mit spektakulären Saltos, Wagenrädern, akrobatischen Breakdance-Drehungen oder sufistischen Hip-Hop Elementen. Hinzu kommen Anleihen an Kampfsportarten wie Capoeira und zeitgenössischen oder klassischen Tanz, wenn die Tänzer wie Ballerinas „Pirouetten“ drehen. Ein Tänzer wechselt während einer Drehung sein Standbein. Ein anderer Tänzer dreht sich kopfüber. Aus seiner Taille fliegen silbrige Messer, welche die anderen Tänzer hier zuvor befestigt haben. Männer heben einzelne Kameraden hoch, werfen sie in die Luft und fangen sie auf. Das Tanzcorps trägt einen ihrer Kameraden aufgerichtet auf ihren Rücken. Dieser lässt sich später gerade nach vorne fallen und wird über dem Boden aufgefangen.
Der Choreograph Hervé Koubi hinterfragt Ängste, Fantasien und die Historie rund um den Begriff der „Barbarei". Seine energiegeladene Choreographie beleuchtet sinnlich männliche Körper aus der arabischen Welt und persischen Kultur. Um seinen choreografischen Blick auf die Geschichte zu unterlegen, greift Koubi auf Wagners Rheingold, Mozarts Requiem, gregorianische Gesänge und Gabriel Fauré zurück. Er bringt sein Tanzcorps so in einen Dialog mit dem musikalischen und spirituellen Erbe des Westens. Aber auch Armand Amar und traditionelle algerische Musik werden von Band übertragen und schlagen so eine Art Brücke zwischen den Kulturen.
Kraftvolle rituelle Männlichkeit und eine machtvolle virile Gemeinschaft wird ästhetisch körperlich verherrlicht und zur Schau gestellt. Eleganz und Athletik verbinden sich dabei mit einem Gefühl der Bedrohung. Vorurteile gegenüber Kulturen, die als „barbarisch“ wahrgenommen, werden schlussendlich jedoch entlarvt. Insbesondere auch leise Homoerotik erhöht den Reiz der Vorführung, wenn etwa Partner einander gegen Ende langsam auf die Schultern hoben und feierlich wie eine Eroberung gen Ausgang trugen.
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La Compagni Hervé Koubi mit Les Nuits Barbares | Foto (C) Pierangela Flisi
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Ansgar Skoda - 28. Mai 2022 ID 13644
LES NUITS BARBARES (Oper Bonn, 24.05.2022)
Choreographie: Hervé Koubi
Management, Arrangements, Kostüme und Accessoires: Guillaume Gabriel
Licht: Lionel Buzonie
Musik: Maxime Bodson
Assistent/ Training: Fayçal Hamlat
Messer: Esteban Cedres
Masken: Swarvoski Elements
Mit: Houssni Mijem, El Houssaini Zahid, Youssef El Kanfoudi, Tomi Cinej, Badr Benr Guibi, Mohammed Elhilali, Beren D’Amico, Giacomo Buffoni, Oualid Guennoun, Nadjib Meherhera, Abdelghani Ferradji, Vladimir Gruev, Ismail Oubbajaddi und Bendehiba Maamar
UA Uraufführung beim Festival International de Danse in Cannes war am 29. November 2015 .
Gastspiel von La Compagni Hervé Koubi in Bonn
Weitere Infos siehe auch: https://www.cie-koubi.fr
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