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Tanztheater

Sieben

Lebenslügen



Ute Lemper und Emily Castelli in Die sieben Todsünden vom Tanztheater Pina Bausch am Wuppertaler Opernhaus | Foto © Ursula Kaufmann

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Bewegungen fließen voller Dynamik. Das Ensemble zeigt eine detaillierte Körperarbeit voller Balance. Mit präzise getanzten Bewegungsformen deuten einzelne Tänzer Emotionen an. Körperlich-sinnlich vergewissern sich diese Figuren ihrer selbst im Tanz, auch wenn ihre Not groß ist.

Das Opernhaus Wuppertal kündigt sensible Inhalte und Darstellungen sexualisierter Gewalt an. Heute gilt der zweiteilige Tanzabend Die sieben Todsünden/ Fürchtet Euch nicht als Klassiker: Pina Bauschs satirisches Ballett mit Musik von Kurt Weill und Texten von Bertolt Brecht über Ausbeutung und Prostitution wurde vor fast 50 Jahren uraufgeführt. Es markiert eine Wende im Schaffen der Choreografin (1940-2009), da die Produktion nicht mehr dem Modern Dance verpflichtet ist. Das Bühnenkonzept führt über Sparten hinweg Genres wie Tanz, Jazz, Revue und Schauspiel zusammen. Während der Performance wird mit Haltungen, Erfahrungen und Situationen experimentiert. Seit kurzem zeigt das TANZTHEATER WUPPERTAL PINA BAUSCH eine neue Einstudierung. Die Probenleitung hatten hierbei die australischen Tänzerinnen Josephine Ann Endicott und Julie Shanahan, langjährige enge künstlerische Wegbegleiterinnen um die Tanzlegende Pina.

Das Sinfonieorchester Wuppertal spielt dabei unter der musikalischen Leitung von Jan Michael Horstmann auf der Hinterbühne. Die Herren des Tanzensembles tragen im ersten Teil Anzüge mit weißen Kragen, die Damen Abendkleider, im zweiten Teil trägt das gesamte Ensemble Abendroben (die Herren sind dann überwiegend cross-dressed). Requisiten und Beleuchtung unterstützen die thematisch dargestellten Motive im freien Aktionsraum.

Pina Bausch setzte in ihrer ersten Werkphase Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse in Szene und untersuchte diese aus historischen Blickwinkeln und aus der Perspektive der Gegenwart.
Anders als Bertolt Brechts Ballettlibretto (uraufgeführt in einer Choreographie von George Balanchine 1933 am Théâtre des Champs-Elysées) fokussiert die Choreographin das persönliche Schicksal zweier zentraler Frauenfiguren, die Alter Egos oder Schwestern verkörpern:

Die beiden Frauen machten sich auf den Weg, um für ein eigenes Haus in Louisiana Geld zu verdienen. Eine erzählende, streng mahnende, ältere Anna (Ute Lemper) staffiert singend eine jüngere, naive und übermütig tanzende Anna (Stephanie Troyak) aus, die nur selten Widerworte gibt. Die Jüngere soll sich für das Familienprojekt „brav“ aufopfern und prostituieren. Besuchte Stationen stehen jeweils für eine der sieben Todsünden, vor denen die ältere Anna warnt. Die jüngere Anna wird angeleitet, sich lasziv zu verhalten. Alsbald marschieren Herren in Anzügen auf und begutachten sie schonungslos.

Währenddessen ertönt Vokalgesang von einem links im Halbdunkeln platzierten Männerquartett (Sergio Augusto, Mark Bowman-Hester, Sebastian Campione und Simon Stricker), das die Eltern und Brüder von Anna darstellt, die auf Annas Einnahmen für den geplanten Eigenheimkauf warten.

Während Brecht noch marxistisch gesellschaftliche Bedingungen des Kapitalismus, wie den Verkauf des eigenen Körpers, als zermürbend und monoton hervorhob, berühren in Bauschs Choreographie vor allem die Frauenfiguren. Die jüngere Anna orientiert sich an den Vorgaben der Älteren und wird hier zum Opfer. Sie lernt Abschied zu nehmen von einem Geliebten und einen anderen wohlhabenden Mann gewähren zu lassen, obwohl dieser sie schlecht behandelt, alles zum Wohle ihrer Familie. Hierbei wird nur Ersteres von der älteren Anna als die Todsünde Unzucht denunziert. Anna II möchte gleichzeitig zunehmend selbstbestimmter agieren und setzt ihren Körper bewusst ein. Zu guter Letzt hat sie erschöpft jeglichen Enthusiasmus
verloren.

*

Als zweiter Teil folgt die Revue Fürchtet Euch nicht mit Songs von Bertolt Brecht und Kurt Weill, eine von Pina Bausch zusammengestellte Collage bekannter Balladen aus Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, der Dreigroschenoper, Happy End und dem Berliner Requiem. Assoziationsreiche Bilder stellen Übergriffigkeit hier noch bitterer dar, als noch im ersten Teil.

Ein Mann (Steffen Laube) singt A-capella „Fürchte dich nicht“, während er eine junge Frau (Emily Castelli) verfolgt, bedrängt und sie schließlich verwaltigt. Derweil tanzt das Ensemble synchron zu den von Ute Lemper vorgetragenen Klassikern „Way to the next Whisky Bar“ und „Moon of Alabama“.

Die Riege namhafter Solistinnen als Gastsängerinnen erweitert sich im zweiten Teil um Melissa Madden Grey, die unter anderem sinnenfroh und leidenschaftlich „Liebe ist doch an Zeit nicht gebunden“ und „Surabaya Johnny“ vorträgt. Außerdem steuert Erika Skrotzki Gesangsbeiträge bei wie beispielsweise „Was die Herren Matrosen sagen“. Auch Tänzerinnen des Ensembles treten als Sängerinnen auf: Genüsslich auf pelzähnlichen Kleidungsstücken ausgebreitet, streiten sich vier Tänzerinnen [alle Namen s.u.] kreischend im sogenannten Eifersuchtsduett aus der Dreigroschenoper miteinander um einen Mann.

Im Brecht/Weill-Abend beeindruckt das damals noch neue choreographische Verfahren der Montage. Aktionen erscheinen assoziativ ineinander verschränkt. Fragmentarisch aneinander montierte Szenen wirken nach. Rhythmusänderungen in vorgetragenen Musikperformances erleichtern dabei Übergänge zwischen einzelnen Erzählsträngen und führen Szenen zusammen. Der fortwährende, sich steigernde Bilderfluss zu kraftvoll-pointierter Live-Musik sorgt insgesamt für einen mitreißenden und vielschichtigen Abend.



Die sieben Todsünden vom Pina Bausch im Wuppertaler Opernhaus | Foto © Paul Andermann

Ansgar Skoda – 18. April 2025
ID 15231
DIE SIEBEN TODSÜNDEN (Opernhaus Wuppertal, 13.04.2025)
Choreografie: Pina Bausch
Bühne und Kostüme: Rolf Borzik
Mitarbeit: Hans Pop
Musikalische Beratung: Matthias Burkert
Probenleitung: Josephine Ann Endicott und Julie Shanahan
Assistenz Probenleitung: Çağdaş Ermiş
Mit: Edd Arnold, Andrey Berezin, Dean Biosca, Emily Castelli, Maria Giovanna Delle Donne, Taylor Drury, Samuel Famechon, Luciény Kaabral, Reginald Lefebvre, Nicholas Losada, Alexander López Guerra, Eddie Martinez, Blanca Noguerol Ramírez, Franko Schmidt, Julie Anne Stanzak, Michael Strecker und Frank Willens sowie (als Gäste:) Pier Paolo Lara, Babacar Mané, Melanie Martinez, Jan Möllmer, Claudia Ortiz Arraiza, Isis Stamatakos, Stephanie Troyak, Sanne Vree, Melissa Madden Gray, Steffen Laube, Ute Lemper, Erika Skrotzki und Sergio Augusto, Mark Bowman-Hester, Sebastian Campione und Simon Stricker
Maki Hayashida, Klavier
Jan Kazda, Gitarre
Sinfonieorchester Wuppertal
Dirigent: Jan Michael Horstmann
UA war am 15. Juni 1976.
Weitere Termine: 19., 20., 21.04.2025

Weitere Infos siehe auch: https://www.pina-bausch.de


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