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CD-Kritik

Kunst der

Fuge mit Senf





Bewertung:    



Und noch eine Kunst der Fuge. Diesmal ist es die Accademia Strumentale Italiana unter der Leitung von Alberto Rasi, die sich ihrer annimmt. Es gibt kaum eine Besetzung, in der Bachs späte Komposition, die nach heute kaum umstrittener Einschätzung für ein Tasteninstrument konzipiert war, nicht gespielt worden wäre. In der vorliegenden Aufnahme – sie folgt, historisch penibel, der Schreibweise des Autographs Die Kunst der Fuga – musizieren sieben Ensemblemitglieder auf einer Violine, einer Diskantviole, einer Tenorviole, einer Bassviole, einem Violone und einer Orgel. Alberto Rasi weist darauf hin, dass die Kombination von Violine – der Armgeige – mit Instrumenten der da gamba-Familie – der zwischen den Beinen gehaltenen Geigen – in die seit dem 16. Jahrhundert herausgebildete deutsche wie englische Musiktradition fällt.

Die CD enthält ein Beiheft mit einem ungewöhnlich ausführlichen aus dem Italienischen ins Englische übersetzten Text von Luca Guglielmi, dem Turiner Organisten des Ensembles und Spezialisten für historische Aufführungspraxis. Er – und die Aufnahme – bemühen sich um den Nachweis, dass der in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrte Autograph, entgegen einem bis vor kurzem bestehenden Konsens, die „späteste und die der finalen Kunst der Fuga am nächsten stehende Version“ sei und somit Bachs Absichten besser entspreche als die erste gedruckte Fassung von 1751. Eine Tabelle dokumentiert die Unterschiede. Guglielmi geht in die Details der einzelnen Teile und führt eine Reihe von Argumenten auf, die seiner These Plausibilität verleihen.

Man kann diesen akribischen Versuch einer Textkritik wie einen Detektivroman mit den Elementen der Spurensuche, der Indizien, der logischen Ableitung lesen. Seine Ergebnisse freilich dürften dem breiten Publikum verborgen bleiben und in der Praxis – also auch beim Anhören der vorliegenden Aufnahme – von begrenzter Bedeutung sein. Authentizität ist heute ja ein durchaus kontrovers diskutiertes Konzept – man denke an die Freiheiten, die sich das Theater gegenüber literarischen Texten nimmt –, und die Feinheiten, die hier entdeckt werden, erschließen sich nicht unmittelbar. Für Spezialisten freilich sind sie nicht weniger aufregend als die Frage, ob Hitler oder Kujau die Tagebücher verfasst hat, die der Stern einst veröffentlicht hat. Und der gedämpfte, etwas spröde Klang der alten Instrumente, der Kontrast zwischen den Streichern und der intimen Barockorgel dürfte auch auf jene einen Reiz ausüben, denen die Frage des Verhältnisses von Autograph und Druckfassungen eher gleichgültig sein mag. So ist das halt mit den Künsten. So abwegig die Behauptung ist, Wissen stände ihrem Genuss im Wege, so sehr ist eine „naive“ Rezeption möglich. Würstel schmecken auch ohne Senf. Aber Senf schadet nicht. Und noch etwas: Wer da meint, man müsse einem italienischen Ensemble beim deutschen Bach die Herkunft anmerken, wird sich belehren lassen müssen. Solche Klischees gehören der Vergangenheit an.


Thomas Rothschild – 10. Juli 2020
ID 12347
Label-Link zu Die Kunst der Fuga


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