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CD-Kritik

Jazz is

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Hinter dem Spitznamen Pres (kurz für President) verbirgt sich einer der Großen des Tenorsaxophons: Lester Young. 1956, als der Bebop und mit ihm auch Lester Young längst die Jazzszene beherrschte, nahm er zusammen mit dem nicht weniger stilbildenden Pianisten des Swing Teddy Wilson mit den charakteristischen Dezimen der linken Hand, die einen Kontrabass fast überflüssig machten, eine LP auf, die solche viel gespielten Standards wie All Of Me, Love Me Or Leave Me, Taking A Chance On Love oder Love Is Here To Stay enthält. Jetzt wurde sie, zusammen mit nicht weniger als zwölf, allerdings nur halb so langen, 1951 aufgenommenen Bonus Tracks mit John Lewis vom Modern Jazz Quartet anstelle von Teddy Wilson am Klavier, als CD neu aufgelegt. Gene Ramey am Bass und Jo Jones am Schlagzeug vervollständigen das Quartett. Die Bonus Tracks rücken John Lewis aufnahmetechnisch in den Hintergrund und nehmen so eher den Charakter einer Einspielung eines Solisten mit Rhythmusgruppe als eines Dialogs zwischen Saxophon und Klavier an.

Lester Young, von seinen Kollegen hoch geschätzt, führte nicht das Leben eines Stars. Das Klischee vom alkohol- und drogenabhängigen Jazzmusiker traf über längere Perioden auf ihn zu und richtete ihn gesundheitlich zugrunde. Seiner Musik ist das nicht anzumerken. Lester Young soll einmal gesagt haben: „Ein Musiker sollte den Text der Musik kennen, die er spielt.“ Das mag in dieser Verallgemeinerung auf Widerspruch stoßen. Aber bei Youngs Spiel auf Pres and Teddy hat man in der Tat den Eindruck, als würde er in Tönen sprechen, den Text auch ohne Worte zum Ausdruck bringen.

So zugleich cool und lebhaft, so gelassen und in den Improvisationen fantasievoll kann man Jazz in der Gegenwart kaum noch und wenn doch, so eher als unterlegene Kopie, erleben. Im Theater wird Stücken aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts häufig attestiert, dass sie veraltet und kaum noch aufführbar sein. In der Musik verhält es sich anders. Der Jazz jener Zeit ist ebenso wenig überholt wie György Ligeti oder Elvis Presley. Dass er in den Medien marginalisiert wurde, dass junge Musikliebhaber ihm kaum noch begegnen, schuldet sich nicht seiner mangelnden Qualität oder Zeitgemäßheit, sondern dem Kulturbetrieb, der generellen Missachtung des Jazz durch die Förderpolitik. Auch der Gegenwartsjazz leidet unter der Vernachlässigung seiner Tradition, an einer Geschichtslosigkeit, die den Jazzbereich in besonderem Maße trifft. Mehr noch: Mit der Ausgrenzung des Jazz ist auch ein Lebensstil verloren gegangen, eine Spielart der sozialen Kommunikation. Am Rauchverbot allein kann es nicht liegen. Die Entwicklung hat schon zuvor eingesetzt. Zu den blamabelsten Zeugnissen gehört das Stuttgarter Jazzopen, ein frecher Etikettenschwindel, der Kraftwerk, Bonnie Raitt, Paul Simon, Christina Aguilera, Lenny Kravitz oder Suzanne Vega als Jazz buchstäblich verkauft. Sie haben ohne Zweifel ihre Verdienste, aber mit Jazz so viel zu tun wie ein Falscher Hase mit dem über die Wiese hoppelnden Säugetier.


Thomas Rothschild – 27. Januar 2023
ID 14021
Weitere Infos unter in-akustik.de


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