Sternstunden
der Didaktik
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Es ist inzwischen weit verbreitet, dass vor Konzerten und Opern Einführungen angeboten werden, und wenn man beobachtet, wie zahlreich die Besucher dieser Veranstaltungen sind, kann man nur bestätigen, dass für sie ein Bedarf besteht. Man kann die didaktischen Anstrengungen, mit denen jenen „Nachhilfe“ geleistet wird, die nicht das Glück und den sozialen Hintergrund hatten, in den Genuss einer musikalischen Bildung zu gelangen, gar nicht laut genug loben. Das hat man allerdings in Deutschland im Vergleich zu den englischsprachigen Ländern erst sehr spät begriffen. Diese haben eine lange Tradition der musikalischen Volksbildung, und ihre Kulturpolitiker erweisen sich, zumindest unter diesem Gesichtspunkt, als die besseren Demokraten.
Der Wille freilich ist kein Garant für eine optimale Ausführung. Die „Lehre“ ist nur so gut wie die „Lehrer“. Zweierlei ist erforderlich: solide musikalische Kenntnisse und ein überdurchschnittliches didaktisches Talent. Dass beides zusammenkommt, ist nicht alltäglich. Einer freilich hat bislang unübertroffen demonstriert, was im Idealfall gewonnen wird: der Dirigent und Komponist Leonard Bernstein, der in den Jahren 1958-1972 mit seinen Young People's Concerts im Konzertsaal und im Fernsehen die unterschiedlichsten Aspekte von Musik vorgeführt und erläutert hat. Jetzt liegen die ersten 17 Fernsehaufzeichnungen, die es bislang nur mit dem amerikanischen Regional-Code gab, als Box auch für europäische DVD- und Blu-ray-Player vor. Zwei weitere Boxen sind angekündigt.
Die Konzertserie wandte sich, wie der Titel verrät, an Kinder und Jugendliche, und die Fernsehbilder zeigen, dass sie tatsächlich einen großen Teil des Publikums ausmachten. Aber ihre Eltern waren offensichtlich nicht nur als Begleitung dabei. Bernsteins Lektionen sind für Erwachsene nicht weniger erhellend als für Kinder. Die Konzerte hatten jeweils ein Thema. Manche waren einzelnen Komponisten gewidmet wie Mahler oder Stravinsky, manche beschäftigten sich mit musikalischen Formen wie dem Concerto, manche diskutierten Begriffe wie Orchestrierung, Melodie oder Impressionismus, manche gingen auf Spezialfragen ein wie den Humor in der Musik, den Jazz oder die Volksmusik im Konzertsaal. Fast immer aber traf Bernstein den richtigen Ton, wenn er sich, schwitzend, an das Publikum wandte und von den New Yorker Philharmonikern und einzelnen Solisten vorgetragene Beispiele erläuterte oder seine Ausführungen vom Orchester illustrieren ließ. Gerne rekurrierte er auf Erfahrungen seiner jugendlichen Zuhörer und erwies sich dabei auf der Höhe der Zeit.
Leonard Bernstein, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre, war ja nicht nur ein herausragender Musiker, sondern auch ein echter Intellektueller mit universaler Bildung, ein Vollblut-Amerikaner zwar, aber von einer anderen Sorte als der gegenwärtige Präsident. Er hatte erkennbare Vorlieben für die osteuropäische oder die deutsche und österreichische Musik, aber, als Amerikaner eben, auch für Aaaron Copland, der bei uns nicht gerade im Zentrum der Konzertprogrammierung steht.
Auf einer der sieben DVDs bzw. der vier Blu-rays findet man drei Folgen einer Sub-Serie, in der Bernstein junge Künstler vorstellte. Die Edition kommt mit deutschen Untertiteln.
Vielleicht muss man das Selbstverständliche erwähnen, um Enttäuschungen vorzubeugen: Die bis zu 60 Jahre alten Fernsehaufnahmen entsprechen nicht heutigen Standards. Wer freilich mehr auf Inhalte achtet als auf technische Perfektion, wird daran keinen Anstoß nehmen.
Thomas Rothschild – 4. Dezember 2018 ID 11084
Link zur DVD:
https://www.naxos.com/catalogue/item.asp?item_code=800208
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